Berlin, 30. April 1945, 15 Uhr 30: Im Bunker der Reichskanzlei sitzt der in sich zusammengesunkene „Führer“ des Deutschen Reiches auf einem Sofa neben Eva Braun. Einige Momente zuvor hatte er sich in die rechte Schläfe geschossen, während seine Lebensgefährtin Gift nahm. Kurz darauf erklingen im Rundfunk zur Untermalung der Todesnachricht ein Satz aus der Siebten Symphonie Bruckners sowie Szenen aus Richard Wagners Götterdämmerung. Seither sind die Versuche, das Wesen des Diktators zu dechiffrieren, nicht abgerissen. In seiner mehr als 500 Seiten starken Charakterstudie Charisma und Dämonie legt der Frankfurter Autor Werner Bräuninger Wert darauf, alle Vereinseitigungen zu vermeiden, das Buch kann HIER bestellt werden!

    Entstanden ist das Porträt einer Doppelnatur, die sich von einem Träumer und Wagner-Verehrer zu einem gleichermaßen eiskalten wie nervenstarken Machtmenschen entwickelte. Ausführlich werden die ziemlich verworrenen familiären Wurzeln sowie die Herkunft aus den bitterarmen Verhältnissen des niederösterreichischen Waldviertels geschildert.

    Linz, Wien, München

    Der junge Hitler gab sich ganz seinen Träumen hin. Besonders fasziniert war er von der Musik Richard Wagners und hier insbesondere von dessen Oper Rienzi, die den Aufstieg eines spätmittelalterlichen römischen Volkstribunen schildert, der am Ende nach einem kometenhaften Aufstieg scheitert. Bräuninger vermutet, dass die Musik Wagners Hitler die „visionären Leitbilder“ lieferte, „deren Verwirklichung er sich zur Lebensaufgabe“ machte und dass Wagner wohl die einzige Person gewesen sei, die Hitler jemals als Vorbild akzeptiert habe.

    Bräuninger schließt sich hier dem Urteil Thomas Manns an, der einmal feststellte, dass man im „Phänomen Hitler“ im Grunde genommen „eine Erscheinungsform des Künstlertums“ wiedererkennen müsse, wofür ja nicht nur seine Wagnerverehrung, sondern auch seine ebenfalls lebenslang beibehaltene Begeisterung für Architektur spricht. Gerade der Rückzug in seine Innenwelten brachte Hitler bald nach seinem Umzug von Linz nach Wien in eine materiell äußerst schwierige Situation, wo er sich als Kunstmaler eher schlecht als recht durchschlagen konnte und in der sozialen Hierarchie ganz nach unten, bis in das berühmte Obdachlosenasyl in der Wiener Meldemannstraße, abrutschte.

    Metamorphose zum Volksredner

    Für Hitler jedoch war Wien zum Ort vieler Niederlagen und Deklassierungen geworden, so dass er 1913 nach München zog, um dort sein Glück zu versuchen. Der Kriegsausbruch im August 1914 gab seinem Leben dann – wie so vielen anderen aus seiner Generation – eine entscheidende Wendung, und schon einen Tag nach der Mobilmachung des Deutschen Reichs am 2. August 1914, verfasste er ein persönliches Gesuch an den bayerischen König mit der Bitte, als Österreicher in einem bayerischen Regiment kämpfen zu dürfen. Dieses Gesuch wurde schon einen Tag später bewilligt und er trat in das Bayerische Reserve Infanterieregiment Nr. 16 List ein, mit dem er im Verlauf des Krieges an vielen großen Schlachten teilnahm.

    Kurz nach dem Ersten Weltkrieg, in den Wirren der bürgerkriegsgeschüttelten Weimarer Republik, erhielt Hitler dann von einem Vorgesetzten den Auftrag, eine Versammlung der „Deutschen Arbeiterpartei“(DAP) zu beobachten, die damals eine unter etlichen weiteren Politsekten in München war. Im Laufe dieser Versammlung entdeckte Hitler dann auch sein größtes Talent, nämlich seine rednerische Naturgewalt, mit der er einen anderen Veranstaltungsteilnehmer demontierte, der eine Ablösung Bayerns vom Reich forderte.

    „Fememord großen Stils“

    An diesem Tag an hatte er eine entscheidende persönliche Metamorphose durchgemacht, denn aus einer Person, die vorher völlig erfolglos gewesen war, wurde praktisch über Nacht der wohl gefürchtetste Redner der Weimarer Republik und aus der vorher völlig erfolglosen DAP wurde die NSDAP, die schon ab dem Februar 1920 in der Lage war, mit dem Redner Hitler als Publikumsmagneten den Zirkus Krone zu füllen. Der Versailler Vertrag war dabei ganz klar der Humus für den Aufstieg Hitlers. Lesen Sie mehr zu diesem Thema in der fünften Ausgabe unseres Geschichtsheftes Versailler Vertrag: Der Pakt der Hitler an die Macht brachte, das hier oder durch Anklicken des Banners unten bestellt werden kann.

    Bräuninger beschreibt nun die Stationen des Aufstiegs Hitlers vom gescheiterten Putsch am 9 November 1923, die Wiedergründung der NSDAP am 27. Februar 1925, der Entwicklung der Nürnberger Parteitage zu großen Heerschauen, den sich steigernden Wahlerfolgen der NSDAP im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab dem Jahr 1929 bis hin zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933.

    Seine Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur eine oberflächliche Befriedung des Reiches gelang und der Bürgerkrieg der späten Weimarer Republik im Grunde genommen in weit verschärfter und geradezu exterministischer Form weitergeführt wurde, und zwar nicht nur gegen klare politische Gegner der NSDAP, sondern auch gegen Häretiker in den eigenen Reihen. Dies wurde besonders am 30. Juni 1934 deutlich, als sowohl Exponenten des nationalrevolutionär-sozialistischen Parteiflügels als auch Vertreter der nationalkonservativen Intelligenz in einem „Fememord großen Stils“ eliminiert wurden.

    Der Anti-Bismarck

    Den deutschen Juden wiederum ließ Hitler nicht die geringste Chance zur Beteiligung am neuen Staat, auch nicht solchen zur Zusammenarbeit bereiten Männern wie Leo Löwenstein, der als Führer des „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ für 85 000 jüdische Frontsoldaten sprach, von denen 12.000 für das Reich gefallen waren.

    Von seiner politischen Vorgehensweise her war Hitler – trotz aller demonstrativ zur Schau gestellter Bismarck-Verehrung ‒ im Grunde genommen ein zu außenpolitischen Va-Banque-Spielen neigender Anti-Bismarck, der, wie Bräuninger treffend feststellt, „das Wort Bismarcks, Politik sei die ‚Kunst des Möglichen‛, in das Dogma ‚Die Politik ist die Kunst, das Unmögliche möglich zu machen‛ umdeutete“.

    Sein politisches Denken hatte einen stark ins Utopische gehenden Zug und mit seinen kommunistischen Gegenspielern teilte er den Wunsch, einen „neuen Menschen“ zu schaffen, der im Nationalsozialismus freilich ganz anders aussehen sollte als im Kommunismus; „ein Typus, der gewissermaßen spartanische Zucht und Askese, römisches Staatsethos, britische imperiale Herrennatur und die rassische Selbstabschottung und Reinheit des orthodoxen Judentums vereinen sollte.“

    Nominierung für den Friedensnobelpreis

    Im Ausland erreichte Hitlers Renommée in diesen Jahren immer neue Höhepunkte. Bräuninger weist zurecht darauf hin, dass das amerikanische Time Magazine Hitler 1938 zum Man oft the Year wählte und der deutsche Diktator im kommenden Jahr gemeinsam mit Mahatma Gandhi auf der Nominiertenliste für den Friedensnobelpreis stand – ein deutlicher Fingerzeig an jene nachträglichen Widerstandskämpfer, die dem deutschen Volk bis heute eine Kollektivschuld anhängen wollen, weil es nicht vom ersten Tag der der Machtübernahme Hitlers an geschlossen Widerstand geleistet hat.

    Schon am Ende der Friedensjahre des Dritten Reichs kapselte Hitler sich freilich zunehmend von seiner Umgebung ab. Waren ihm seine großen Erfolge zu Kopf gestiegen, hielt er sich für unfehlbar? Bräuninger führt dazu aus: „Aus dem ‚Ersten unter Gleichen‛, dem Volkskanzler, war ein nahezu absoluter Monarch geworden. Der Staat erschien immer mehr als eine Figuration des Leviathan, der seine Vorbilder eher aus Byzanz zu nehmen schien, statt aus der germanischen Kaiseridee.“ Fakt ist aber auch, dass es damals nicht nur das Deutsche Reich war, das auf einen großen Krieg zusteuerte. Lesen Sie dazu die vierte und von dem ehemaligen Generalmajor der Bundeswehr Gerd Schultze-Rhonhof verfasste Ausgabe unseres Geschichtsheftes Der Krieg, der viele Väter hatte, die hier bestellt werden kann.

    Unbedingter Sozialdarwinismus und Antisemitismus

    Verhängnisvoll war am Ende – vor allem für sein eigenes Volk – der unbedingte Sozialdarwinismus Hitlers, der im Dritten Reich diejenigen mit aller Härte traf, die mehr oder weniger willkürlich aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden. Selbst Bräuninger ist hier ratlos und notiert: „Es ist eine der augenfälligsten Charaktereigenschaften Hitlers, dass er wohl kaum so etwas wie Mitleid, Anteilnahme oder auch nur Rührung kannte, wenn es um seine Feinde ging. Dieses ‚Gen‛ schien ihm schlicht und ergreifend zu fehlen “.

    Hitlers Antisemitismus sprengte alle Maße, durch die normalerweise auch die giftigste Feindschaft noch eingehegt wird und Bräuninger weist darauf hin, dass „Judentum“ auch das letzte Wort war, das Hitler in seinem Leben diktiert hat. Am Ende dürfte auch Bräuninger einer These des Historikers Ernst Nolte zustimmen, der in seinen im Jahr 2011 erschienenen Späten Reflexionen bemerkt, dass ein Sieg des Antibolschewisten und Kapitalismuskritikers Hitlers möglich gewesen wäre, sich Hitler dabei aber als Antisemit und Verächter vermeintlich ‚niederer Rassen‛ selbst im Wege stand.

    Ein „Capriccio aus Deutschland“

    Bräuninger zeigt Hitler als das, was er alles in einer Person war: ein Charismatiker, ein verantwortungsloser und untergangswilliger Hasardeur, ein von seiner Geschichtsmission unbedingt erfüllter historischer Akteur, ein im persönlichen Zusammentreffen meist einnehmender Wiener Charmeur und ein mitleidloser Täter, der über Leichenberge ging. Der „lebendigste Tote aller Zeiten“ wird weder als Monstrum noch als Heilsfigur dargestellt und gewinnt hier so die Plastizität, die anderen Darstellungen abgeht.

    Insofern erklärt sich auch der Untertitel des Buches Hitler – Ein Capriccio aus Deutschland. Als Begriff der Kunsttheorie bezeichnet das Capriccio den absichtlichen, lustvollen Regelverstoß, die phantasievolle, spielerische Überschreitung der akademischen Normen, ohne die Norm außer Kraft zu setzen. Auch Bräuninger setzt sich mit seiner charakterologischen Arbeit von allen gängigen Darstellungen ab und ermöglicht so neue Einblicke, die anderen Darstellungen abgehen. Sein Buch kann HIER oder durch das Anklicken des Banners unten bestellt werden!

     

     

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