Es war vor allem ein Ereignis, das aus den Grünen eine Kriegspartei machte: das Massaker im bosnischen Srebrenica. Um deutsche Kampfflugzeuge an die Front zu schicken, mussten die Serben dämonisiert und die Muslime verharmlost werden. Dieser Artikel erschien im COMPACT-Spezial 21: „Der Krieg der Grünen – Bomben für den Islam“.

    _ von Jürgen Elsässer

    Bosnien-Herzegowina war das blutigste Schlachtfeld der jugoslawischen Erbfolgekriege. Zwischen Frühjahr 1992 und Herbst 1995 starben zwischen Bihac, Tuzla und Sarajevo etwa 100.000 Menschen. Die Kämpfe waren ausgelöst worden durch die Abspaltung der Teilrepublik von Jugoslawien, die – entgegen ihrer Verfassung – nur von zwei Volksgruppen proklamiert wurde, nämlich von Kroaten und Muslimen. Die Serben, die etwa ein Drittel der Bevölkerung stellten, riefen daraufhin ihre eigene Republik in Bosnien aus, die Republika Srpska. Deren Territorium umfasste vor allem die ländlichen Regionen, in denen seit der osmanischen Besatzung orthodoxe Christen lebten. In den Städten dagegen hatte seit alters her die muslimische Oberschicht das Sagen.

    «Europas schlimmstes Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg». Spiegel

    Erbittert wurde vor allem um Sarajevo gekämpft, die Front verlief mitten durch die Stadt. Auch die muslimischen Enklaven im Osten standen unter serbischer Belagerung. Zu ihnen gehörte Srebrenica, die Silberstadt, mit ihren damals etwa 35.000 Einwohnern. Während sich die UNO mit ihren Blauhelmen weitgehend unparteiisch verhielt, diskutierten die NATO-Staaten seit der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten Bill Clinton im Januar 1992 ein militärisches Eingreifen gegen die Serben. Doch die Debatte stockte immer wieder – unter anderem deswegen, weil die Muslime zwischenzeitlich auch die für sie ungläubigen Kroaten bekriegten. Die Fronten erstarrten, es wurde kaum noch geschossen. Doch das sollte sich im Sommer 1995 ändern.

    Fischers spektakuläre Wende

    Kurz nach Srebrenica wurden 200.000 Serben von den Kroaten aus ihrem seit Jahrhunderten angestammten Siedlungsgebiet, der Krajina, vertrieben. Die USA unterstützten die Aktion mit Militärberatern. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Bis zum Juni 1995 galt in der deutschen Politik das vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) verkündete Axiom: Niemals Bundeswehrsoldaten in Gebieten einsetzen, die einst die Wehrmacht okkupiert hatte. Vorstößen aus der Union und aus dem konservativen Medienkartell, dieses Dogma aufzuweichen und deutsche Soldaten zum dritten Mal in jenem Jahrhundert gegen Serbien in Marsch zu schicken, standen ebenso starke Widerstände der rot-grünen Opposition entgegen. So versuchte etwa die SPD, der Beteiligung der Luftwaffe an den NATO-Überwachungsflügen in Bosnien durch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht einen Riegel vorzuschieben, und die Bündnis-Grünen unterstrichen ihr kategorisches Nein zu allen Out-of-area-Einsätzen – auch UN-Blauhelmmissionen! –, bisweilen sogar durch außerparlamentarischen Protest.

    Der 30. Juni 1995 markiert das Ende des Kohl-Axioms, der Bundestag gab mit den Stimmen von Union und FDP grünes Licht für den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr. Zur Unterstützung einer britisch-französischen Bosnien-Eingreiftruppe wurden die Luftwaffe und Sanitätszüge bereitgestellt. Jörg Schönbohm (CDU), Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, sagte dazu: «Jetzt werden deutsche Soldaten außerhalb des NATO-Verteidigungsgebietes eingesetzt, mit der Möglichkeit, kämpfen zu müssen.»

    Doch die Abwehrfront von SPD und Grünen stand an diesem 30. Juni, abgesehen von einigen Abweichlern, noch immer. Fischer etwa bezeichnete den Bundestagsentscheid als «historische Zäsur» und als «Debakel, für das noch viele politisch und manche vielleicht auch mit ihrem Leben bezahlen müssen».

    «Seit Srebrenica habe ich meine Position verändert.» Joschka Fischer

    Aber als zwei Monate später die Kohl-Regierung unter Berufung auf den Bundestagsbeschluss vom 30. Juni grünes Licht zum Angriff gab, war von der rot-grünen Opposition nichts mehr zu hören: Am 30. August begannen NATO-Kampfflugzeuge einen vierzehntägigen Luftkrieg gegen serbische Stellungen in Bosnien. Tornados der Bundesluftwaffe bombten fleißig mit. Mehrere hundert Menschen starben, auch radioaktive Uranmunition wurde eingesetzt. Dies, und nicht der Angriff auf Jugoslawien 1999, war der erste Kriegseinsatz des westlichen Bündnisses und der Bundeswehr – aber kaum jemand hat es bemerkt, denn die Öffentlichkeit war durch die Zustimmung von SPD und Grünen eingelullt.

    Radovan Karadzic, Präsident der bosnisch-serbischen Republik. «Der Balkan-Hitler», schrieb «Turkish Weekly» 2008. Foto: Der Spiegel

    Das Einknicken der parlamentarischen Kriegsgegner zwischen dem 30. Juni und dem 30. August wurde durch ein einziges Ereignis ausgelöst: die Eroberung der ostbosnischen UN-Schutzzone Srebrenica durch die Serben am 11. Juli 1995. «Seit Srebrenica habe ich meine Position verändert», sagte Fischer im Rückblick. Auf dem grünen Parteitag im Dezember 1995 erhielten Anträge, die sich in unterschiedlicher Radikalität für einen deutschen Interventionismus gegen die «marodierende Soldateska» (Ludger Volmer) der Serben aussprachen, erstmals mehr Stimmen als die der Interventionsgegner und Pazifisten.

    Spurensuche

    In den Tagen nach dem 11. Juli 1995 habe sich «Europas schlimmstes Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg» ereignet, resümierte der Spiegel. Die bosnischen Serben hätten 7.000 muslimische Männer gefangen genommen und ermordet – so die bis heute in westlichen Medien gängige Mindestzahl.
    7.000 Ermordete? Das Internationale Rote Kreuz hat bis zum Sommer 2001 insgesamt 7.475 aus Srebrenica Verschwundene registriert. Wie viele von diesen Verschwundenen tot sind, ist nicht geklärt, wie auch Alexander Dorin in seinem wichtigen Buch über Srebrenica beschreibt.

    Ein wichtiger Zeuge sagte dazu aus: «Ich habe von Leuten, die der kroatischen Staatssicherheit nahestehen (…), gehört, dass sich an verschiedenen Orten noch 5.600 Überlebende aus Srebrenica befinden.» Dieses Zeugnis stammt von Ibran Mustafic, Vorsitzender der bis zum Sommer 1995 in Srebrenica regierenden Moslempartei SDA (im Interview mit der muslimischen Wochenzeitung Slobodna Bosna am 14. Juli 1996). Von den Serben war er nach der Eroberung der Stadt gefangen genommen und trotz seiner hohen Position wieder freigelassen worden.

    Das serbische Lager Omarska in Bosnien, 1992. Foto: genocideinbosnia.com

    Das UN-Tribunal in Den Haag, das Grabungsarbeiten in und um Srebrenica koordinierte, gab im August 2001 die Gesamtzahl der gefundenen Leichen mit «mindestens 2.028» an. Diese seien aus 21 Massengräbern geborgen worden, 18 weitere seien noch nicht untersucht. Dabei spricht nicht jedes Massengrab für eine vorhergehende Massenexekution – auch die Gefechtstoten werden oft in schnell ausgehobenen Gruben beerdigt, um so den Ausbruch von Seuchen zu verhindern.

    Strittig ist also, wie viele der Opfer als wehrlose Gefangene abgeschlachtet wurden – und wie viele bei Gefechten starben. Den Haag stellte dazu im Verfahren gegen den bosnisch-serbischen Armeegeneral Radislav Krstic fest: «Der Gerichtshof kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass ein Prozentsatz der in den Gräbern gefundenen Leichen Männer sein könnten, die im Kampf getötet wurden.»

    Der Haager Chefermittler Jean René Ruez geht davon aus, dass alle 2.628 Toten der 28. muslimischen Division bei den Gefechten zwischen Srebrenica und Tuzla «im Kampf umgekommen» sind (Interview im Buch von Julija Bogoeva/Caroline Fetscher, Srebrenica – Ein Prozess ).

    «Die islamische Bewegung sollte und muss die Macht übernehmen…» Alija Izetbegovic

    Keine Frage: Selbst wenn man von der Zahl der angeblich «Abgeschlachteten» die Verschwundenen, die noch am Leben sein könnten, und die Opfer militärischer Auseinandersetzungen abzieht, fand in Srebrenica ein schreckliches Massaker an Wehrlosen statt. Schätzungsweise 1.500 Muslime dürften außerhalb jeder Kampfhandlungen exekutiert worden sein.

    Deren Ermordung war ein Kriegsverbrechen, für das die serbischen Täter zur Verantwortung gezogen werden mussten. Aber so gerechtfertigt das weltweite Entsetzen über die Gräuel war, so propagandistisch auch der Versuch der NATO, sie als einzigartig und typisch serbisch darzustellen.

    Ein Foto, das in deutschen Medien nie zu sehen war: Ein bosnischer Mudschahedin posiert mit dem abgeschlagenen Kopf des Serben Blagoje Blagojevic aus dem Dorf Jasenove in der Nähe von Teslic. Das Bild wurde einem gefangen genommenen Kämpfer aus Saudi-Arabien abgenommen.
    Foto: Novo

    Zum Vergleich: Wenige Wochen nach Srebrenica – und noch vor dem NATO-Bombenkrieg in Bosnien – eroberte die kroatische Armee die serbische Krajina. 200.000 Menschen wurden vertrieben – mehr als je zuvor in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Belgrader Menschenrechtsorganisation Veritas ermittelte, dass im Zuge der Offensive etwa 2.000 Zivilisten verschwanden oder ermordet wurden, der kroatische Helsinki-Ausschuss für Menschenrechte hat 410 Tote namentlich identifiziert.

    Die binäre Struktur der westlichen Propaganda – gute Kroaten und Muslime, böse Serben – war kühl kalkuliert: Nur durch die Darstellung des gegenseitigen Gemetzels als Aggression ausschließlich einer Partei war ein Kriegseintritt auf der Seite der angeblichen Opfer zu rechtfertigen. Fischer kritisierte ganz richtig, «wie die Bundesregierung den Bundestag (…) an der humanitären Nase in den Bosnienkrieg führen will». So sprach er allerdings im Dezember 1994 – sieben Monate vor Srebrenica.

    Ein Dschihadist als Präsident

    Das Korps El Mudzahid der muslimisch-bosnischen Armee umfasste ausländische Dschihadisten aus arabischen Ländern und Afghanistan. Verschiedene Schätzungen gehen von 1.500 (UN) bis zu über 20.000 Kämpfern (serbische Regierung) aus. Foto: Screenshot RTS

    Was aus heutiger Sicht frappierend ist: wie sehr die westlichen Politiker – mit Ausnahme eines Teils der US-Republikaner – damals schon den islamischen Faschismus verharmlosten und seine Verbrechen verschwiegen.

    Bevorzugter Bündnispartner von NATO und EU in Bosnien war der muslimische Präsident Alija Izetbegovic (1925–2003), der im November 1990 dieses Amt übernahm, obwohl sein pro-jugoslawischer Parteifreund, der gemäßigte Moslem Fikret Abdic, bei den Wahlen mehr Stimmen auf sich vereinigt hatte.

    Izetbegovic, im Zweiten Weltkrieg Mitglied der Jugendorganisation der Muslimbruderschaft, war in Jugoslawien 1983 zu 14 Jahren Haft wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt worden.

    Anlass war seine Kampfschrift Islamische Deklaration, in der er für die Schaffung eines Gottesstaates plädierte und unter anderem schrieb: «Es kann keinen Frieden und keine Koexistenz zwischen dem islamischen Glauben und nicht-islamischen Gemeinschaften und politischen Institutionen geben. (…) Die islamische Bewegung sollte und muss die Macht übernehmen, sobald sie moralisch und numerisch stark genug ist, um nicht nur die vorhandene nicht-islamische Herrschaft zu stürzen, sondern auch eine neue islamische aufzubauen (…).»

    Um den verderblichen westlichen Einfluss zurückzudrängen, forderte Izetbegovic eine fundamentalistische Gleichschaltung des öffentlichen Lebens: «Die Erziehung des Volkes und besonders die Massenmedien – Presse, Radio, TV und Film – sollten in den Händen von Leuten sein, deren islamische Moral und intellektuelle Autorität unzweifelhaft ist. Die Medien dürfen nicht, wie so oft, in die Hände verdorbener und degenerierter Leute fallen, die dann die Ziellosigkeit und Leere ihres eigenen Lebens auf andere übertragen.»

    «Pakt mit dem Teufel». Richard Holbrooke

    Wenig verwunderlich, dass sich Izetbegovic auf dieser Grundlage zu antisemitischen Tiraden steigerte: «Wir würden gerne zwischen Juden und Zionisten unterscheiden, wenn die Juden selbst die Stärke hätten, diesen Unterschied zu machen (…). Wenn sie jedoch weiterhin auf ihrem hohen Ross sitzen, was im Augenblick wahrscheinlicher scheint, gibt es nur eine Lösung für die islamische Bewegung und alle Moslems in der Welt: Den Kampf fortzusetzen, ihn auszuweiten und zu verlängern Tag für Tag, Jahr für Jahr, was immer die Opfer sein mögen und wie lange er dauern mag, bis sie gezwungen sind, jeden Zentimeter geraubten Bodens zurückzugeben. Jedes Verhandeln und jeder Kompromiss, der die elementaren Rechte unserer Brüder in Palästina aufs Spiel setzen könnte, ist Verrat, der das moralische System zerstören könnte, auf dem unsere Welt beruht.»

    Jeder andere wäre nach solchen Äußerungen von westlichen Medien schon damals als Faschist bezeichnet worden – doch Izetbegovics Sympathien tat das keinen Abbruch. Die Nazi-Keule wurde ausschließlich gegen die Serben eingesetzt.

    Bin Laden in Sarajevo

    Selbst die Zusammenarbeit mit Osama bin Laden ließ man Izetbegovic durchgehen. «Spiegel-Balkan-Korrespondentin Renate Flottau traf den Terroristenchef 1993 in Sarajevo; er stellte sich artig vor und sprach vom bosnischen Befreiungskampf, an dem seine Leute auf der Seite der Muslime mitmachen wollten. Er besaß einen Pass des neuen Staates Bosnien-Herzegowina, ausgestellt von der Botschaft in Wien, und rühmte sich, internationale Kämpfer ins Krisengebiet zu schmuggeln», berichtete das Hamburger Nachrichtenmagazin – aber erst mit acht Jahren Verspätung, nach 9/11, als Bin Laden auch dem Westen gefährlich geworden war. Solange er nur Serben und Kroaten ermorden ließ, interessierte das keinen. Als «Pakt mit dem Teufel» bezeichnete Richard Holbrooke, Bosnien-Emissär der USA, das Zusammenspiel seiner Regierung mit den Gotteskriegern auf dem Balkan – natürlich ebenfalls erst, nachdem Jugoslawien zerschlagen war.

    Dieser Artikel erschien im COMPACT-Spezial 21: „Der Krieg der Grünen – Bomben für den Islam“. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form  hier bestellen.

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