Jan von Flocken, Autor von COMPACT-Geschichte „Deutsche Kaiser. Glanz und Gloria aus 1000 Jahren, im Gespräch mit unserer TV-Moderatorin Katrin Nolte. COMPACT-Geschichte „Deutsche Kaiser“ kann man hier bestellen.

    Nolte: Gibt es denn unter all den Kaisern, die sie im Geschichtsheft aufgelistet haben, einen Lieblingskaiser, den sie als Zugpferd des deutschen Nationalbewusstseins bezeichnen würden?

    Von Flocken:
    Das sind sogar zwei und die liegen sehr weit zeitlich auseinander. Ich meine, die Gerechtigkeit gebietet es, sein Respekt vor Wilhelm II., unserem letzten deutschen Kaiser zu zollen. Der Mann war erklärtermaßen, obwohl er ja Kernpreuße war, Kaiser aller Deutschen. Er war unglaublich beliebt, in jeder guten Stube hing ein Kaiserbild, manchmal sogar bei den Arbeitern. Er war die Verkörperung des modernen, des zukunftsrelevanten und gleichzeitig des historisch gewachsenen Deutschlands. Also insofern meine ich Gerechtigkeit, weil nach dem verlorenen Weltkrieg, den er übrigens in keiner Weise angezettelt hat, war er ja gewissermaßen die Unperson.

    Heutzutage ist es also so verrückt, dass in Münster einige durchgeknallte Studenten, wie ich gelesen habe, die Wilhelms-Universität umbenennen wollen, obwohl 90 Prozent der Studenten gar nicht wissen, welcher Wilhelm das ist. Insofern sollte man ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Was die zeitliche Dimension anging. 1.000 Jahre früher, da haben wir diesen faszinierenden Otto I. mit Beinnamen den Großen. Der Mann, der sich mit 37 Jahren – das war im Mittelalter schon ein sehr vorgerücktes Alter – sich selbst Lesen und Schreiben beibringt, weil er es einfach nicht mehr ertragen konnte, immer von allem nur was zu hören.

    Er wollte es selber wissen. Des Weiteren fasziniert, dass er als Feldherr in die Schlacht gegen die ungarischen Invasoren zog und, wenn man so will, auf dem Schlachtfeld des Lechfeldes bei Augsburg 955 die deutsche Nation gegründet hat. Wenn man sich dann auf ein Datum einigen will, ist das wirklich die Geburtsstunde der deutschen Nation, das haben wir ihm zu verdanken. Und darum sage ich, Otto und Wilhelm, das sind meine Lieblingskaiser.

    Nolte: Bezüglich der Schlacht auf dem Lechfeld. War es vielleicht auch die Tatsache, dass da plötzlich ein gemeinsamer Feind da war, gegen den man kämpfen musste?

    Von Flocken: Zweifellos, aber jeder Stammesherzog war sich natürlich selbst der Nächste, das muss man auch mal ganz realistisch sehen. Und wenn Otto nicht eine so faszinierende Politik ausgeübt hätte, die man vielleicht etwas leger mit Zuckerbrot und Peitsche bezeichnen könnte in der Behandlung der Stammesherzöge, hätte er sicher nicht solch eine Gefolgschaft hinter sich. Er muss unglaublich Charisma gehabt haben und damals überzeugt gewesen sein, dass ihm selbst der Bayernherzog, der den bezeichnenden Namen Adolf der Böse trug, ihm Gefolgschaft geleistet hat, was sicher an dem gemeinsamen Gegner lag aber der gemeinsame Gegner war ja schon hundert Jahre zuvor da und da war Deutschland ohnmächtig und musste diese Raubzüge über sich ergehen lassen.

    Erst durch Ottos Politik und auch durch seine Heeresleitung und durch die Tatsache, dass er – das war im Mittelalter unglaublich wichtig – mit der Lanze in der Hand seinen Leuten vorangeritten ist, also nicht irgendwo auf dem Feldherrnhügel stand und Kommandos gegeben hat, konnte sich das Reich behaupten. Das macht das Faszinosum von Otto aus und dass er es geschafft hat, eine bis dahin noch nie statt gehabt, jedenfalls nicht mehr seit Karl dem Großen, eine territoriale Einheit zu schaffen.

    Interviewerin Katrin Nolte

    Nolte: Die Kaiser wurden lange Zeit nicht dynastisch bestimmt, sondern von Kurfürsten gewählt. Sind das vielleicht frühe Formen der Republik?

    Von Flocken: Das ist jetzt kühn gedacht aber nicht falsch. Doch bevor es diese ausdrückliche Kurfürstenwahl gab, die gibt es ja auch erst seit 1356, da waren schon 100 Jahre ins Land gegangen, war es ein Mittelding zwischen Wahl und Dynastie. Es war normalerweise so, dass der König seinen Sohn zur Wahl des römisch-deutschen König aufstellte und bei erfolgreicher Wahl später vom Papst zum Kaiser ernannt wurde. Insofern gab es also schon lange vor den Kurfürsten diese Wahl. Aber meistens, wenn eine Dynastie sich etabliert hatte, war es normal, dass man sagte, der älteste oder mittlere Sohn des jeweiligen Dynasten wird Nachfolger.

    Also sei es die Ottonen, die Salier oder später die Hohenstaufen. Das war dann wirklich immer in dem Fall, wenn diese Dynastie im Mannesstamm mehr oder weniger ausstarben, dann hat man sich auf was Neues geeinigt. Und staatsrechtlich fixiert wurde das 1356 durch die sogenannte Goldene Bulle und da musste in der Tat der Kaiserkandidat, der König, versuchen, diese Kurfürsten auf seine Seite zu ziehen. Man hatte klugerweise sieben gewählt, damit nie eine Pattsituation im Mittelalter entstehen kann und dann zeigte sich ab 1500 praktischerweise, wir wählen sicherheitshalber immer einen Habsburger, auch sogar dann, wenn es eine Frau ist, wie der Fall Maria Theresia verdeutlicht. Das hat sich dann wirklich in Österreich bis 1918, also fast 500 Jahre lang, durchgesetzt, dass die Habsburger mit Tricks, Bestechung oder einfach aus legerer Gewohnheit Kaiser wurden.

    Nolte: Gehen wir zurück zum Begriff „römisch-deutsche Kaiser“. Haben sich denn die damaligen Kaiser, vor allen Dingen die ersten, überhaupt als Deutsche gesehen? Denn da war immer sozusagen die Richtung nach Rom und dieses Bestreben, das römische Imperium vielleicht sogar irgendwie nachzuahmen. Zwar unter christlicher Herrschaft, aber es bestand ja auch das Streben, so die Theorie, dass sozusagen jetzt die Macht den Christen übertragen wurde und sie quasi die neuen römischen Herrscher sind, die das neue römische Imperium errichten.

    Von Flocken: Das ist im Prinzip richtig. Man darf darüber eins nicht vergessen, diese und römisch-deutschen Kaiser waren zunächst deutsche Könige, das war die Voraussetzung. Das war also nicht der König von Frankreich oder von England, das war der deutsche König, manchmal auch schon römisch-deutscher König genannt. Und er war derjenige, der sich vom Papst dann gewissermaßen legitimieren ließ als Kaiser. Das heißt, das Deutsche Reich war der zementierende Hintergrund dafür, dass überhaupt einer sich zum Kaiser wählen lassen konnte. Dann war es wirklich eine Frage der Persönlichkeit. Wie ernst hat der jeweilige Monarch seine Mission, das Römische Reich wieder herzustellen, genommen?

    Es gibt eine Dynastie, mit den Staufern, die mit aller Gewalt das in Italien versucht haben und zum Teil im Orient. Es gab andere, die haben sich mehr auf das Deutsche Reich konzentriert. Das hängt, auch wenn man das heutzutage in getreuer Nachbetung von marxistischen Phrasen nicht mehr so gerne hört, mit der Persönlichkeit zusammen, die Geschichte gemacht haben, die sich nach oben stemmen und richten mussten. Und ich sage noch etwas, seien sie mir nicht böse, Männer machen die Geschichte, jedenfalls zu der Zeit, die uns gerade interessiert. Was überhaupt nicht gegen Frauen spricht. Aber man muss einfach Tatsachen mal zur Kenntnis nehmen und es kam auch wirklich auf den Charakter desjenigen an. Es war wichtig, wie hat er seine Mission erfüllt oder nicht erfüllt hat.

    Nolte: Ich habe noch eine Frage zu Friedrich dem Zweiten, dem Stauferkaiser. Der Aufsatz über ihn trägt die Überschrift „stupor mundi“, also „Staunen der Welt“. Wie ist das zu verstehen? Bewundern Sie ihn als Kaiser oder betrachten Sie ihn eher kritisch bzw. wie würde er aus Sicht des Mainstream dargestellt werden?

    Von Flocken: Völlig richtig erfasst, ich bin mir ja selber da nicht so hundertprozentig im Klaren. Man kann sich jetzt Fakten herauspicken und sagen: Der Mann war ein Genie, der sprach so viele Sprachen. Er war wissensdurstig, der hat naturwissenschaftliche Experimente gemacht, hat Universitäten gegründet. Er war ein hervorragender Bauherr. Er hat einen unblutigen Sieg über die Türken oder Mauren errungen. Alles wunderbar. Multikulturell war er, an sich müsste er heute der beliebteste Kaiser sein. Doch auf der anderen Seite war er grausam, rücksichtslos. Seine Ehefrau hat er wie den letzten Dreck behandelt, hat sich nicht um Deutschland geschert, ob die Mongolen oder Dänen dort einfielen, das war ihm völlig egal. Darüber hat er sogar noch Witze gemacht. Aber das sind so Dinge, die sind dann wieder abstoßend.

    Autor Jan von Flocken

    Ich will mal ein Beispiel nennen, das nicht im Heft steht, weil mir das dann zu weit ging. Seine Experimentierfreude ging so weit, dass er wissen wollte, was ist die Ursprache des Menschen. Das kann man ja nur herausfinden, wenn man mit Babys nicht spricht. Irgendwann lernen sie dann selbst, sich zu artikulieren. Er meinte, die würden dann hebräisch sprechen. Also hat er zehn oder zwölf Kinder genommen. Die wurden von Armen betreut, versorgt und mit diesen hat nie ein Mensch ein Wort gesprochen und er wollte warten, wann sie nun denn sprechen würden. Interessante Aufgabenstellung, dumm ist nur, dass die Kinder alle durchweg gestorben sind. Soweit ging also diese Experimentierfreude. Sie hat schon ein bisschen den Beigeschmack des Perversen und darum habe ich am Anfang geschrieben, zwischen Genie und Wahnsinn ist die Kluft manchmal nicht allzu groß. Er war das Staunen der Welt. Ein paar Leute waren begeistert von ihm, die ihn persönlich kannten, aber er war auch ein grausamer Tyrann.

    Nolte: Heute können wir sagen, er war ein richtiger Kosmopolit, sprach viele Sprachen und versuchte in seiner Politik möglichst diplomatisch Konflikte zu lösen.

    Von Flocken: Hat sich jedenfalls wunderbar mit Moslems verstanden. Das ist ja geradezu Quintessenz dessen, was heute als großartig gefunden wird.

    Nolte: Aber was genau hat er jetzt zur Herausbildung der deutschen Identität eigentlich beigetragen? Irgendwann hat er sich ja nur noch auf Sizilien konzentriert, wie ich das herauslesen konnte, und ihm hat das Deutsche Reich, die eigene Heimat gar nicht mehr so interessiert.

    Von Flocken:
    Ich wage die kühne These aufzustellen, das ist das Staufergen. Das sieht man bei Friedrich dem Ersten, den man nur unter den Namen Barbarossa kennt. Der hat sein Hauptaugenmerk nur auf Italien gelegt, wo er immer wieder geschlagen worden ist. Und er hat sich mit einem der beeindruckendsten Persönlichkeiten, Heinrich dem Löwen, der leider kein Kaiser geworden ist, überworfen, dass er ihm sämtliche Territorien wegnahm, sie zerstückelte und somit das Deutsche Reich in die Zeit der Partikularität brachte. Denn er hatte ja gegen den mächtigen Herzog Heinrich auch Helfer, die alle was vom Kuchen abhaben wollten.

    Historiker Jan von Flocken erzählt in COMPACT-Geschichte Nr. 10 faktengesättigt, aber mit leichter Hand über den Begründer des Abendlandes Karl den Großen, den ersten Kaiser des „Heiligen Reiches“ Otto den Großen, den Staufer Friedrich II., das Staunen der Welt“, schließlich die Habsburger Maximilian I. und Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Die Kämpfe unserer besten Herrscher gegen Päpste und Osmanen, die geostrategisch schicksalhafte Differenz zwischen Heinrich dem Löwen und Barbarossa standen für strategische Fragen: Wohin orientierte sich unser Reich? Festzuhalten bleibt: Unser Vaterland hat vor 1933 keine Scheusale wie Iwan den Schrecklichen, keine geifernden Hassprediger wie Robespierre und keine barbarischen Gewaltherrscher wie Heinrich VIII. hervorgebracht.

    Auf 84 prall gefüllten und prächtig illustrierten Seiten entsteht ein politisch gänzlich unkorrektes Bild unserer Vergangenheit – ein Geschichtsbuch, das jeden bildungshungrigen Erwachsenen freut, aber auch gut zu Konfirmation, Jugendweihe oder Hochzeit verschenkt werden kann.

    Inhalt von COMPACT-Geschichte „Deutsche Kaiser. Glanz und Gloria aus 1000 Jahren“:

    Karl der Große (768–814) Begründer des Abendlandes
    Der Mythos von «Carolus Magnus» lebt: Er schlug die Moslems und die Langobarden – und unterwarf die Sachsen. War er Deutscher, Franzose oder Europäer?

    Otto der Große (936–973) Das goldene Zeitalter
    Mit Mut besiegte er seine Feinde, mit Geschick sorgte er für Einheit und Frieden im Reich. In Nachfolge Karls erneuerte er schließlich das Kaisertum.

    Heinrich III. (1039–1056) «Wie unser Heiland»
    Er vereinigte das Königreich Deutschland mit Burgund und Italien – und schuf Ordnung in Rom. Ein viel zu früh verstorbener Herrscher.

    Heinrich IV. (1056–1106) Herrscher im Büßergewand
    Sein Gang nach Canossa wurde zum geflügelten Wort. Doch am Ende obsiegte der Gedemütigte über den Papst – und rettete das deutsche Kaisertum.

    Friedrich I. Barbarossa (1152–1190) Der sagenhafte Kaiser
    Nach blutigen Schlachten erhob er das Reich zum «Sacrum Imperium». Der Legende nach wartet er im Kyffhäuser auf Deutschlands Erwachen.

    Friedrich II. (1215–1250) Stupor Mundi
    Für die einen war er ein weitsichtiger Herrscher, der einen Ausgleich zwischen Okzident und Orient anstrebte, für die anderen ein Schwarmgeist und Fantast.

    Rudolf von Habsburg (1273–1291) Stammvater einer großen Dynastie
    Der Aufstieg des Hauses Österreich: Mit ihrer legendären Heiratspolitik spannten sie ein Netz über weite Teile Europas.

    Ludwig IV. der Bayer (1314–1347) Der streitbare Wittelsbacher
    Der Papst sprach über ihn den Kirchenbann aus, aber es war das Volk selbst, das ihm die Kaiserkrone verlieh.

    Sigmund (1410–1437) Ein Lebemann auf dem Prüfstand
    Sein Verhandlungsgeschick rettete die Einheit der Kirche – aber ansonsten schätze er vor allem Wein, Weib und Gesang.

    Maximilian I. (1493–1519) Der Kaiser, der Papst werden wollte
    Er stilisierte sich selbst zum Idealbild des mittelalterlichen Ritters und führte das Haus Habsburg zu bis dahin ungeahnter Größe.

    Karl V. (1519–1556) Der dunkle Monarch
    In seinem Reich ging die Sonne nie unter: Durch die spanische Krone erlangte der Habsburger koloniale Besitzungen in Lateinamerika.

    Ferdinand II. (1619–1637) Die Geißel Europas
    Er zettelte den Dreißigjährigen Krieg an – und ist damit eine der verhängnisvollsten Gestalten unserer Geschichte.

    Joseph II. (1765–1790) Der Fridericus von Wien
    Er hat sich aufgeopfert für den Staat, als dessen erster Diener er sich sah. Seine Reformen sollten Österreich nachhaltig prägen.

    Wilhelm II. (1888–1918) Geliebt und verkannt
    Die Wilhelminische Ära gilt vielen als Inbegriff des deutschen Militarismus. Doch das wird der Person des friedliebenden Monarchen nicht gerecht.

    COMPACT-Geschichte „Deutsche Kaiser. Glanz und Gloria aus 1000 Jahren“ können Sie hier bestellen.

     

     

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