17. August 1987: Rudolf Heß wird tot im Gartenhaus des Kriegsverbrechergefängnisses Berlin-Spandau aufgefunden. Schon bald wird die offizielle Todesursache bekanntgegeben: Suizid. Doch ein Autopsiebericht und ein Zeuge widersprechen dieser Version vehement. In seinem Buch „Ich sah seinen Mördern in die Augen“ enthüllt Heß‘ früherer Krankenpfleger Abdallah Melaouhi, was er an jenem Tag beobachtet hat – und wie sein Patient privat war. Hier mehr erfahren.

    Es ist ein Bild des Grauens, das sich Abdallah Melaouhi am Nachmittag des 17. August 1987 bietet: Auf dem Boden liegt ein lebloser Körper, um ihn herum ein wüstes Durcheinander. Mittendrin stehen drei Männer. Einer davon, der amerikanische Wärter Anthony Jordan, schwitzt stark – er hat offenbar eine große Anstrengung hinter sich.

    Die beiden anderen stecken in US-Militäruniformen, die ihnen sichtlich nicht passen. Melaouhi ist erschüttert, und sein Entsetzen wird noch größer, als Jordan mit breitem amerikanischen Akzent zu ihm sagt:

    „Der (sic!) Schwein ist erledigt. Sie brauchen keine Nachtschicht mehr zu arbeiten.“

    Der Tote ist Rudolf Heß, damals im 93. Lebensjahr – der letzte Gefangene im Kriegsverbrechergefängnis von Berlin-Spandau.

    Der Tunesier Melaouhi ist der Krankenpfleger des gebrechlichen Greises. Zu ihm hatte Heß in den langen Jahren seiner Gefangenschaft ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Als er seinen Patienten nun in der containerartigen Gartenlaube des Gefängnishofes auf dem Boden liegen sieht, bittet er sofort einen der Männer, ihm bei den Wiederbelebungsmaßnahmen zu helfen.

    Was dann passiert, schildert Melaouhi in seinem sensationellen Enthüllungswerk „Ich sah seinen Mördern in die Augen“ wie folgt: „Er ließ sich nicht zweimal bitten, kniete unbewegt nieder und setzte bei seiner ‚Herzmassage‘ so viel Kraft ein“, dass „neun Rippen und das Brustbein hörbar brachen“, wie es auch die spätere Obduktion der Leiche ergab. Doch warum das alles? Der Schlüssel liegt vermutlich in Ereignissen, die damals schon lange zurücklagen.

    Geheimnisvoller England-Flug

    Rudolf Heß wurde am 26. April 1894 als Sohn eines meist im Ausland tätigen deutschen Großkaufmannes in Alexandria (Ägypten) geboren. Im Ersten Weltkrieg diente er als Freiwilliger, wurde schwer verwundet und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg schloss er sich dem Freikorps Epp an und war an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt. In der bayerischen Hauptstadt studierte Heß unter anderem bei Professor Karl Haushofer, dem Begründer der Geopolitik, dem er fortan freundschaftlich verbunden war.

    Gleich nach der ersten Begegnung mit Hitler trat Heß 1920 der NSDAP bei. Nach dem Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 wurde er zu 18 Monaten Festungshaft in Landsberg am Lech verurteilt, wo auch der Führer der NS-Bewegung seine Strafe verbüßte. Wieder in Freiheit, wurde er der Privatsekretär Hitlers und 1932 Leiter der Politischen Zentralkommission der NS-Bewegung.

    Männerfreundschaft Deutschlands führender Geopolitiker Karl Haushofer (links) mit Rudolf Heß, um 1920: Friedrich V. Hauser, Bundesarchiv Berlin, CC0.

    Der Titel „Stellvertreter des Führers“, den Heß 1933 erhielt, bezog sich nicht auf die Staats-, sondern auf die Parteihierarchie. Tatsächlich war er im NS-Regime zunehmend einflusslos – ab Dezember 1933 war er Reichsminister ohne Geschäftsbereich. In der Bevölkerung erfreute er sich allerdings einer weitaus höheren Beliebtheit als andere Personen aus dem direkten Umfeld Hitlers.

    Die bis heute anhaltende Bekanntheit des NS-Funktionärs hängt mit dem Sachverhalt zusammen, den das Bundesverfassungsgericht 1980 in seiner Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde von Rudolf Heß gegen seine Inhaftierung so beschrieb:

    „Im Mai 1941 flog er als ‚Parlamentär aus eigenem Entschluss‘ nach Großbritannien, um eine Verständigung zum Frieden zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich herbeizuführen.“

    Tatsächlich startete Heß am 10. Mai 1941 in Augsburg mit einer Messerschmitt Bf 110, um – offenbar mit Kenntnis und Billigung Hitlers – im schottischen Dungavel House über Lord Hamilton, den er seit Jahren kannte, der Regierung Churchill ein Friedensangebot zu unterbreiten.

    Nachdem er mit dem Fallschirm über Schottland abgesprungen war, wurde er festgenommen. Als klar war, dass London mit Heß nicht verhandeln wollte, ließ Hitler ihn für geisteskrank erklären, wozu ihm dieser in einem letzten Brief für den Fall des Scheiterns seines Unternehmens selbst geraten hatte.

    Acht der 24 Hauptangeklagten des Nürnberger Tribunals: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vordere Reihe von links), Dönitz, Raeder, von Schirach und Sauckel (dahinter). Foto: United States Government, CC0, Wikimedia Commons

    Vom Vorwurf der Kriegsverbrechen beziehungsweise der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde Heß im Nürnberger Prozess freigesprochen; schuldig sprach man ihn wegen Verbrechen gegen den Frieden. Die dazu im Urteil vom 30. September und 1. Oktober 1946 enthaltenen Feststellungen sind nicht sonderlich konkret.

    Sie beginnen damit, Heß habe „den Kriegsvorbereitungen aktive Unterstützung“ gewährt, und enden, er habe in Besprechungen nach seiner Ankunft in England versucht, „Deutschlands Vorgehen im Zusammenhang mit Österreich, der Tschechoslowakei, Polen, Norwegen, Dänemark, Belgien und Holland zu rechtfertigen“.

    Lesen Sie morgen Teil 2 dieses Beitrags: Heß in Haft.

    Mit seinem Buch „Ich sah seinen Mördern in die Augen“ trägt Abdallah Melaouhi zur Aufklärung über die Umstände von Rudolf Heß’ Tod bei. Räumt er vielleicht sogar mit einer der größten Geschichtslüge auf, die uns seit Jahrzehnten aufgetischt wird? Das hochbrisante Werk können Sie hier bestellen.

     

     

    24 Kommentare

    1. walter pätzold am

      Nachdem die meisten der im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess zu lebenslangen Gefängnisstrafen Verutteilten nach 20 Jahren
      nach und nach ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen freigelassen wurden,verblieb einzig Rudolf Hess als letzter Gefangener noch im
      eigens errichteten Spandauer Kriegsverbrechergefängnis. Der riesige Aufwand dieses Gefängnisses wurde allein für diesen Gefangenen
      der sicher nicht zu den meistverantwortlichen gehörte, aufrechterhalten.Schon damals stellte man sich die Frage,wie das zusammenpasst.
      Es blieb nur ein Grund: Hess wußte zuviel und durfte auf keinen fall reden.Also mußte man ein bißchen nachhelfen und anschließend das Gefängnisschnell abbrechen um alle Spuren zu tilgen.

    2. Da Deutschland ein Besatzungsland ist und keine echte Souveränität besitzt, kann man sich jegliche Diskussion über diese Person ersparen.

    3. aber hess war doch ein verräter! der führer fand ihn zuletzt scheiße. warum wird er dann hess bei compact gepampert?

      • Rudolf Hess folgte nur seinem Gewissen, genauso wie Edward Snowden. Der 17. 8. 1987 war einer meiner traurigsten Tage im Leben.

    4. Zwanzig Jahre Bau hätten für Heß eigentlich gereicht.Da gabs leider noch andere, die sind jedoch besser behandelt worden.
      Albert Speer z.B. oder Wernher von Braun.
      Die haben es halt besser verstanden wie man den Kopf aus der Schlinge zieht.

    5. Die Frage ist, warum ein Magazin, dass sich ja gegen den Nationalsozialismus ausspricht (man siehe die ganzen Nazi-Vergleiche politischer Gegner ala "Södolf") doch irgendwie an den alten Geschichten hängt und immer wieder diese Gruselfaszination schürt. Vllt. noch mal mit einem Artikel ganz klar herausarbeiten, warum Nationalsozialismus aufgrund seiner Abgrenzung nach außen immer zu Konflikten mit anderen Staaten führt und daher von Friedensbefürwortern abzulehnen ist.

      • Weil damit die "Nazis"/Rechten angelockt werden sollen und auf Putin-Kurs gebracht werden sollen!

      • "Nationalsozialismus aufgrund seiner Abgrenzung nach außen immer zu Konflikten mit anderen Staaten führt"
        Das ist doch mal wieder ausgemachter Quatsch!
        Wenn dem so wäre, hätten wir ja seit 1945 den Weltfrieden.
        Am Nationalsozialismus kann es also kaum liegen.

        • Internationales ist global ausgreifend und daher vom Prinzip her kriegerisch. Nationales ist regional begrenzt und daher vom Prinzip her friedlich. Bismarck war strikt national; daher führte er nur Verteidigungskriege, die zu dem regional begrenzt waren; Kolonien lehnte er ab.
          Ob die Nationalsozialisten national waren, darf angesichts des ab 1939 militärischen Ausgreifens auf andere Nationen bezweifelt werden. Mit mehr Sicherheit kann man sagen, dass sie tatsächlich insofern sozialistisch waren, weil sie in Bezug auf die deutschen Volksstämme mit Vor- und Nachteilen gleichmacherisch waren.

        • Narrenjäger am

          Sibylla H. = wieder so eine von Compact umgedrehte Pseudo-Rechte. "Deutsche Stämme" -pahhh ! Keinen Fußbreit den Separatisten !

      • Deutschösterreicher aus dem Wienerwald am

        Abgrenzung nach außen ist Recht und Pflicht jedes Staates und führt keineswegs zu Konflikten. Im Gegenteil, wenn jede Seite die Grenzen der anderen kennt, ist das ein Friedensvoraussetzung.

        • Sich abzugrenzen, darum kommt ja schon der einzelne Mensch nicht herum , ist eine biologische Notwendigkeit. Jede Ideologie , jeder Ismus hat genau diesen Zeck , und natürlich führt es zu Konflikten. Die sind unvermeidbar, gehören zum Leben und nur Quallen fürchten sich davor.

      • Otto Baerbock am

        "Vllt. noch mal mit einem Artikel ganz klar herausarbeiten, warum Nationalsozialismus aufgrund seiner Abgrenzung nach außen immer zu Konflikten mit anderen Staaten führt und daher von Friedensbefürwortern abzulehnen ist."

        Hohe Zäune … machen gute Nachbarn!

    6. Alter weiser, weißer Mann am

      Der 1982 eingestellte letzte Krankenpfleger, der Tunesier Abdallah Melaouhi, entwickelte sehr bald ein Art auf Vertrauen basierendes Vater-Sohn-Verhältnis zu seinem alten und inzwischen auch gebrechlichen Patienten. Als Melaouhi bemerkte, daß Heß neben Deutsch, Englisch und Französisch auch fließend Arabisch sprach, konnte man sich endlich auch in den mit Mikrophonen verwanzten Zellentrakten unterhalten, ohne daß die Bewacher das mitgehörte verstehen konnten. Als Melaoui erfuhr, daß Gorbatschow bereit sei, den alten Mann freizulassen, teilte er Heß diese Neuigkeit mit. Der stellte daraufhin ein entsprechendes Gesuch. Nachdem dieses eingereicht worden war, vertraute er Melaoui an:

      „Das ist mein Todesurteil!“

      Er wußte, daß die Briten nicht zulassen konnten, den zwar körperlich durch viele Krankheiten geschwächten, aber geistig völlig klaren Heß vor den Toren des Gefängnisses auf die Weltöffentlichkeit treffen zu lassen, denn dann wäre das nicht passiert, was die „Daily Post“ am 18. August 1987 zu der Schlagzeile verführte: „ ‚Friedensstifter‘ Heß nimmt seine historischen Geheimnisse mit ins Grab“.

      Die Halunken von der Affeninsel und die Ostküstengauner sind unsere ärgsten feinde

      • Nur noch übertroffen von den Russen und Paul. Daß Heß (Berufsoffizier) nebenbei Sprachgenie war ,mag sein. Daß den Bewachern keine Araber zur Verfügung standen, die ggf einen arabischen Dialog hätten übersetzen können, ist allerdings eine alberne Annahme. Selbst Eskimo oder Papua hätte Übersetzer gefunden.

    7. Jordan kam wohl vom Jordan. Das ein Ausländer mit der-die-das nicht klar kommt, kann man verzeihen. Ein "Schwein" war R. Heß aber nicht.
      Die Aussage des A. M. ist glaubwürdig , sowas kann man nicht erfinden .Ist auch kein Motiv des A.M. ersichtlich, im Gegenteil gefährdete er mit seiner Geschichte sein eigenes Leben. Ein Motiv für einen Mord ist denkbar . Gegen einen Mord spricht nur die dilettantische Ausführung . Staatliche Mörder hätten sich kaum quasi auf frischer Tat erwischen lassen , und die Tatsache, das A.M. noch lebt.
      Verbrecherisch war jedenfalls die lebenslängliche Verurteilung wegen nichts und die Zerstörung seiner Grabstätte.

    8. JürgenvondL am

      Da ist Compact mal wieder etwas einmaligen auf der Spur, was 35 Jahre lang verheimlicht und vertuscht wurde :D

      • Vertuscht wurde es eigentlich nicht , die Beobachtungen des Pflegers wurden damals schon unmittelbar nach dem Tod von R. Heß allgemein bekannt. Sie wurden allerdings von den Behörden geflissentlich ignoriert. Daß Compact die Sache ausgräbt , gehört zu seiner Taktik , immer mal wieder Köder für Rechte auszustreuen , um sie damit nach links zu lotsen.

        • Otto Baerbock am

          "Daß Compact die Sache ausgräbt , gehört zu seiner Taktik , immer mal wieder Köder für Rechte auszustreuen , um sie damit nach links zu lotsen."

          Raffiniert…