Am 12. Mai jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Joseph Beuys. Nun flammt eine alte Debatte wieder auf: Hatte der umstrittene Künstler braune Flecken auf seiner grauen Anglerweste? Ein näherer Blick auf sein politisches Engagement lohnt sich. Eine Ergänzung zu unserem Beuys-Porträt in der aktuellen Ausgabe von COMPACT. Hier bestellen.
Autor Hans Peter Riegel vertritt in seiner erstmals 2013 veröffentlichten Beuys-Biografie, die nun auf vier Bände erweitert bei Riverside Publishing erschienen ist, die These, der Künstler sei „bis ins Mark völkisch“ gewesen. Zu einem ähnlichen Urteil gelangte schon 2008 der Kunsthistoriker Beat Wyss, der Beuys einen „ewigen Hitlerjungen“ nannte. Tatsächlich war Beuys, der 1921 in Krefeld geboren wurde, Mitglied der HJ, später meldete er sich freiwillig zum Kriegseinsatz.
„Wie links, wie grün war er wirklich?“, fragt Hanno Rauterberg deshalb in der Zeit. Und der Spiegel meint, Beuys habe „eine dunkle Seite“ gehabt:
Die einen feiern ihn als Visionär und Weltverbesserer. Die anderen beweisen, dass er ein rechter Esoteriker war – sie sehen in ihm den ersten deutschen Querdenker.
Die Fronten verlaufen heute anders als zu Beuys Lebzeiten: Damals galt er Konservativen als Scharlatan und Provokateur, die linke Kulturschickeria feierte ihn als Avantgardisten. Doch wie tickte Beuys wirklich politisch – welche Ansichten vertrat er?
Berufung auf das Volk
Dass Beuys sich Anfang der 1980er Jahre bei den Grünen engagierte, ist weitgehend bekannt. Doch er betrat das politische Parkett schon wesentlich früher, nämlich 1967, als er die Deutsche Studentenpartei (DSP) mitgründete. Das wesentliche Anliegen dieser kaum in Erscheinung getretenen Gruppierung war die Erziehung aller Menschen zur geistigen Mündigkeit. Beuys sah die Westdeutschen einer akuten Bedrohung durch Materialismus, ideenlose Politik und damit einhergehender Stagnation gefordert. Die DSP sollte Abhilfe schaffen.
Dieses Engagement führte Beuys Ende der 1960er Jahre zum Ständigen Jahreskongress Dritter Weg, der sich für eine Demokratisierung der Gesellschaft, aber auch für die Wiedervereinigung Deutschlands in einem blockfreien Staat einsetzte. In einer seiner Reden zu dieser Zeit klang schon fast nationalrevolutionäres Gedankengut durch:
Im deutschen Volk steckt, wie schon gesagt, die Auferstehungskraft, die selbstverständlich auch in anderen Völkern steckt, aber die unsere wird sich durch radikal erneuerte Grundlagen des Sozialen hindurch ereignen.
Solche Gedanken trug er auch in die von ihm 1973 in seinem Düsseldorfer Atelier gegründete Freie Internationale Universität (FIU) hinein, die er als „organisatorischen Ort des Forschens, Arbeitens und Kommunizierens“ verstand.
Aus der DSP ging 1971 die Freie Volksinitiative hervor, die sich für direkte Demokratie einsetzte. Als Vorsitzender fungierte der aus Berlin stammende Karl Fastabend, ein vormaliger SS-Angehöriger und „Nationalsozialist der ersten Stunde“, wie Beuys-Biograph Riegel schreibt.
Riegel weiter:
„Fastabend wurde zu Beuys‘ wichtigstem politischen Mitarbeiter. Über mehrere Jahre hinweg war er Verfasser und Mitunterzeichner fast aller politischen Papiere, die von Beuys beziehungsweise der ‚Organisation für direkte Demokratie‘ veröffentlicht wurden.“
Für Riegel sind diese Texte „von befremdlicher Diktion“, weil in ihnen immer wieder „das Volk“ beschworen wurde, etwa wenn darin von „Volksangehörigen“ oder den „Schicksalsfragen des Volkes“ und der „Volksgesundheit“ die Rede gewesen sei und gewisse Entwicklungen als „volksfeindlich“ bezeichnet wurden.
Dem real existierenden Parlamentarismus standen Beuys und Fastabend ablehnend gegenüber, gleichermaßen auch Kommunismus und Kapitalismus. Bestimmend war auch hier Beuys‘ Gedanke der „sozialen Plastik“ als Gesamtkunstwerk einer neuen Ordnung, an dem jeder seinen Platz einzunehmen habe. In diesem Sinne kann man auch seinen vielzitierten Satz „Jeder ist Künstler“ verstehen.
Inspiration durch Rudolf Steiner
Wie in unserem Beuys-Porträt in COMPACT 5/2021 näher ausgeführt wird, war der Künstler ein Anhänger des Anthroposophen Rudolf Steiner. Auf diesen bezog sich Beuys auch bei seinen politischen Ideen, genauer gesagt auf dessen Konzept der „Dreigliederung des sozialen Organismus“.
So war Beuys der Ansicht, dass sowohl der westliche „Einheitsstaat“ wie auch der sowjetische „Staatskapitalismus“ versagt hätten. Diesen Systemen stellte er „die geniale Entdeckung Rudolf Steiners“ gegenüber, der in seinem Modell eine auf den Idealen der Französischen Revolution („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) entlehnte Dreiteilung der Gesellschaftsordnung vorschlug.
Den Begriff der Freiheit ordnete Steiner dem Geistesleben zu, was Bildung, Wissenschaft, Religion und Kultur umfasst, Oberbegriff für das Rechtsleben mit seinen Gesetzen, Normen und Regeln war für ihn die Gleichheit, und der Sphäre der Brüderlichkeit ordnete er das Wirtschaftsleben, also Produktion, Handel und Konsum zu. Jedes dieser drei sozialen Glieder solle, so Steiner, „in sich zentralisiert sein; und durch ihr lebendiges Nebeneinander- und Zusammenwirken kann erst die Einheit des sozialen Gesamtorganismus entstehen.“
Auf einer – mit Steiner übereinstimmenden – esoterischen Deutungsebene sah Beuys in dieser sozialen Dreigliederung die Natur des Menschen widergespiegelt: Die „Dreigliederung des sozialen Organismus“ entspreche der „Dreigliederung des menschlichen Organismus“. In der Wirtschaft existiere der Mensch als Naturwesen, im Rechtsleben als Gesellschaftswesen und in der Kultur als Freiheitswesen. Rudolf Steiner selbst führte dazu aus: „Die Auseinanderspaltung ist eigentlich immer da; es handelt sich nur darum, daß man findet, wie die drei Glieder zusammengebracht werden können, so daß sie nun tatsächlich im sozialen Organismus mit einer solchen inneren Vernunft wirken, wie sagen wir, das Nerven-Sinnes-System und das Stoffwechsel-System im menschlichen Organismus wirken.“
Mit Springmann und Haverbeck
Bevor Beuys schließlich den Weg zu den Grünen fand, kandidierte er 1976 zur Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen für August Haußleiters Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD), die neben dem ökologischen Gedanken auch national-konservative Positionen vertrat.
Exemplarisch für die Symbiose beider Ansätze stand damals Haußleiters Weggefährte Professor Werner Georg Haverbeck, der zeitweise auch Präsident des Weltbundes zum Schutz des Lebens (WSL) war. Beuys war Zeit seines Lebens mit dem dem ebenfalls anthroposophisch inspirierten Autor des Buches Rudolf Steiner – Anwalt für Deutschland und seiner Frau Ursula befreundet.
Als Ende der 1970er Jahre die ersten grünen Listen gegründet wurden und Beuys, der damals oft mit Rudi Dutschke auftrat, für eine Direktkandidatur auf der gemeinsamen Wahlliste Die Grünen zur Europawahl vorgesehen war, wurde Baldur Springmann damit beauftragt, ihm sowie dem ebenfalls als Kandidaten auserkorenen Anthroposophen und Sozialforscher Wilfried Heidt auf den Zahn zu fühlen, „weil im inzwischen gebildeten Organisationsausschuss hauptsächlich aus Unkenntnis ein tiefes Misstrauen gegen die Anthroposophie herrschte und man wusste, dass die beiden aus dieser Ecke kamen“, so Springmann im zweiten Band seiner Biografie Bauer mit Leib und Seele.
Der nationalbewusste und wertkonservative Ökobauer aus Schleswig-Holstein hatte Heidt und Beuys schon zuvor bei Seminaren über biologisch-dynamischen Landbau kennengelernt und schätzte sie. Über das Treffen in einem Clubraum am Frankfurter Hauptbahnhof berichtete Springmann weiter:
„Wer weiß wie lange hatte ich mit den beiden schon geredet, aber deren weitausholende Philosophie schaffte wenig Klarheit und viel Verunsicherung in meinem Kopf. Die Zeit, zu der ich im Organisationsausschuss erwartet wurde, rückte immer näher, ich musste also zu einem greifbaren Ergebnis kommen. ‚Hör zu, Joseph‘, wandte ich mich da zunächst an ihn und legte ihm eine Hand auf den Arm, ‚jetzt brauche ich unbedingt mal auf eine Frage ein klipp und klares Ja oder Nein. Und lass uns dabei gerade aus in die Augen sehen. Die Frage heißt: Bist du bereit, alles Missionieren für Anthroposophie oder für dein Leben ist Kunst wegzulassen, wenn ich Dein Mitwirken in der SPV befürworte?‘ Weil er das ohne zu zögern mit Ja beantwortete und Wilfried Heidt hinterher genauso, waren sie dann beide dabei, als wir am 17. März 1979 in Frankfurt-Sindlingen einen Grünen Kongress veranstalteten und dabei die ‚Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen‘ aus der Taufe hoben.“
Beuys trat 1980 schließlich der neu gegründeten Partei Die Grünen bei, gestaltete deren Plakate für den Landtagswahlkampf in NRW und beabsichtigte 1982, auch für den Bundestag zu kandidieren. Doch ebenso wie Baldur Springmann oder Herbert Gruhl konnte sich Beuys am Ende mit seinen politischen Vorstellungen nicht gegen die Wortführer der eingesickerten Linksradikalen durchsetzen, wurde mit einem unteren Listenplatz abgestraft und zog seine Kandidatur daher zurück.
Wie übrigens auch Dutschke gehörte Beuys bei den Grünen zu den Unterstützern des ökokonservativen Flügels um Springmann und Gruhl, die – letztendlich vergeblich – versuchten, den Einfluss von Angehörigen ehemaliger K-Gruppen und Spontis zurückzudrängen. Zwar trat Beuys bis zu seinem Tod Anfang 1983 nicht bei den Grünen aus, doch öffentlich engagierte er sich nicht mehr für die Partei.
Mehr zu Leben und Werk von Joseph Beuys lesen Sie in unserer Hommage anlässlich seines 100. Geburtstages in der aktuellen Ausgabe von COMPACT mit dem Titelthema „Impfstreik: Warum Millionen keine Spritze wollen“. Zur Bestellung klicken Sie hier oder auf das Banner unten.