Menschen als Ersatzteillager: Die von dem Pseudo-Christdemokraten Jens Spahn und den Neosozialisten Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) befürwortete Novelle des Transplantationsgesetzes konnte zwar am vergangenen Donnerstag im Bundestag gerade noch abgewendet werden. Das ändert aber nichts an dem gruseligen Gesamtansatz, in dem das Individuum nichts und das Kollektiv alles ist. Die Organspende muss endlich vom Spender her gedacht werden.

    Wenn ich einmal so alt geworden bin, dass ich nicht mehr radfahren kann, dann möchte ich mein Fahrrad gern verschenken. Ich kann es nicht mehr nutzen, und das Geld, das ich für den alten Drahtesel noch bekommen könnte, ist auch nicht der Rede wert. Aber das Ding fährt noch. Was liegt also näher, als es zu verschenken? An Freunde, Verwandte, Menschen, die mir nahestehen, vielleicht sogar an Fremde, die mir aus anderen Gründen nahestehen, wegen gleicher weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen oder wegen der gleichen Herkunft. Vielleicht ist es mir auch egal, wer mein Fahrrad bekommt, solange es kein Kinderschänder ist.

    Wenn ich einmal so alt geworden bin, dass ich mich um meinen geliebten Struppi nicht mehr kümmern kann, dann möchte ich ihn Menschen überlassen, von denen ich glaube, dass sie gute Menschen sind, dass sie sich gut um Struppi kümmern werden, dass sie verantwortungs- und liebevoll mit so einem Tier umgehen können. Nie würde es mir in den Sinn kommen, Struppi einem verurteilten Mörder, einem verwahrlosten Alkoholiker oder einem Menschen zu überlassen, der so alt ist, dass die Gefahr besteht, dass Struppi auch ihn überleben könnte. Und ich kann mir noch eine ganze Menge anderer Ausschlusskriterien vorstellen, die zu dem Ergebnis führen: Der? Struppi? Niemals! Es ist ja das Schöne in einem freien Land, dass ich über das, was mein ist, nach eigenem Gutdünken verfügen kann und für meine Wahl niemandem Rechenschaft schulde.

    Nun kommt ein Staat ins Spiel, dem seit einiger Zeit nicht mehr so viel an solchen bürgerlichen Freiheiten liegt, der sich, gelinde gesagt, einen feuchten Kehricht um meine individuellen Wünsche schert, wenn sie einem »höheren« Interesse im Wege stehen. Ein Staat, dem nichts wichtiger ist als Wertschöpfung, die den überteuerten Laden am Laufen hält. Dieser Staat nun entzieht den Besitzern aller Fahrräder und aller Hunde, die für diese keine Verwendung mehr haben, ihre Besitzrechte und überträgt sie: auf sich selbst. Die Fahrräder und die Hunde kommen in einen großen Hunde- und Fahrrad-»Pool« und werden nun auf der Grundlage einer Liste, auf der sich jeder Interessent registrieren lassen kann, an Menschen verteilt, die sich schon lange ein Fahrrad oder einen Hund wünschen. Eine Art Abtretungsgewerbe entsteht.

    Fahrräder und Hunde müssen abgeholt, untergebracht und in gutem Zustand erhalten werden, bis ihre neuen Besitzer sie in Empfang nehmen. Da es sich bei dem Abtretungsgewerbe um einen sozialen Dienst zum Vorteil der Allgemeinheit handelt, bezahlen ihn die Sozialkassen. Natürlich muss ich bei der Fahrrad- und Hundespende nicht mitmachen. Die ist freiwillig. Aber warum sollte ich nicht? Will ich etwa kein guter Mensch sein? Ist das nicht eine gute Sache? Profitieren nicht alle davon? Und weil das so ist, bereitet der zuständige Minister nun ein Gesetz vor, das dem Staat das totale Zugriffsrecht auf Fahrräder und Hunde sichert, die aus Altersgründen abgegeben werden müssen.

    So ungefähr stellte sich der Christdemokrat Jens Spahn, unser Gesundheitsminister, das neue Transplantationsgesetz vor: als Kollektivierung des Organbestandes. Sozialismus statt Freiheit. Selbst der linksliberale Spiegel kommt da nicht mehr mit und kritisierte in seiner vorletzten Ausgabe (Nr. 2/2020): »Spahn, Lauterbach und Sitte tun so, als gehöre der Körper eines Toten der Gemeinschaft.« Unbelehrbare Eigenbrötler, Individualisten, die da nicht mitmachen wollen, müssten künftig eigens Widerspruch einlegen, um den staatlichen Zugriff auf das Ureigenste zu unterbinden. Und wahrscheinlich müssen sie sich auch darauf einstellen, dass die Mehrheitsgesellschaft, wie es ja hierzulande üblich geworden ist, wenn jemand wagt, gegen den Strom zu schwimmen, sie stigmatisieren wird als asoziale Querulanten, die der Allgemeinheit nicht dienen wollen, als Egomanen, Spalter, Spendenverweigerer, wahrscheinlich »rechte Elemente«.

    Schon jetzt ist es so, dass jeder durch ein entsprechendes Kreuz in seinem – bisher noch freiwillig ausgefüllten – Organspendeausweis mit Eintritt des Hirntodes seine sterblichen Überreste abtritt an – ja, an wen eigentlich? Wer beim zuständigen Ministerium nachhakt, erhält ausweichende Antworten, die zudem den Eindruck erwecken, als habe Jens Spahn mit der so genannten Widerspruchslösung gar nichts zu tun: »Zu den derzeit diskutierten Regelungsentwürfen können wir als Bundesministerium für Gesundheit keine Auskunft geben, da es sich nicht um Regierungsentwürfe handelt.« Neuregelung oder nicht – auf die weitere Verwendung seiner Körperteile hat der Spender nicht mehr Einfluss als auf die Richtung, aus der der Wind weht.

    Auch seine Angehörigen werden nie erfahren, ob tatsächlich die schuldlos vom Schicksal geschlagene Achtzehnjährige aus dem Imagefilm der Transplantationslobby, die noch das ganze Leben vor sich hat, mit seiner Niere weiterleben wird, oder nicht doch eher die drogenabhängige Prostituierte, deren Niere nach vierzig Jahren verantwortungslosen Lebensstils ihren Dienst versagt und die es auch nach der Transplantation nicht schaffen wird, dem Milieu zu entrinnen, das sie krank gemacht hat. »Es ist nicht möglich, nach dem eigenen Tod Organe und Gewebe nur für bestimmte Menschen zu spenden oder bestimmte Personengruppen auszuschließen«, teilt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf Anfrage mit und spricht salbungsvoll von einem »Recht auf eine Organtransplantation«, weil ja »jeder Bürger in Deutschland ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat«. Eine verblüffende Renaissance – bei der Einführung der Masern-Impfpflicht auf Spahns besonderen Wunsch wurde dasselbe Grundrecht vor wenigen Wochen noch unter den Teppich gekehrt. Und was ist – bei der Widerspruchslösung – eigentlich mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Gestorbenen?

    Es stimmt: Der Staat darf wegen des Diskriminierungsverbots keinen Organempfänger bevorzugen. Aber: Ich darf das schon. Deshalb ist es so wichtig, dass der Staat – als legitimer Repräsentant der Gemeinschaft – sich zunächst qua Transplantationsgesetz die Kontrolle über meine Organe sichert, ehe anschließend Eurotransplant, die zentrale Vermittlungsstelle, meine Organe europaweit (!) weitergeben kann. Zugegeben, der Fahrrad/Hund-Vergleich hinkt an einigen Stellen. Weder das erworbene Haustier noch der erworbene Gegenstand gehören schließlich so unveräußerlich und existenziell zu mir wie ein Organ meines eigenen Leibes. Insofern muss das, was Jens Spahn vorhat, noch mehr befremden:

    Wie kann der Staat von mir verlangen, Teile von dem, was mich als Menschen mit der dem Menschen eigenen Würde konstituiert, dem Gemeinwesen rückhaltlos und ohne das geringste Mitspracherecht aufzuopfern, als wären diese Teile nie meine gewesen? Ist etwa das Besitzverhältnis Mensch – Fahrrad weniger eng gewoben als das Besitzverhältnis Mensch – eigene Niere, eigene Leber, eigenes Herz? Der Staat kann mich nicht zwingen, einen von mir erworbenen Gegenstand an eine Person abzutreten, der ich diesen Gegenstand nicht abtreten will, aber wenn es sich um mein eigenes Herz handelt, dann schon? Was aus Struppi wird, entscheidet nicht die Position auf einer anonymen Haustierspendeliste. Sondern: Ich kann mir prämortal eine Person meines Vertrauens aussuchen. Diese Freiheit, die jede Demokratie ihren Bürgern zusichert, sollte bei Leib und Leben nicht plötzlich ausgehebelt sein.

    Dass Freiheit auf der Werteskala des Gesundheitsministers ziemlich weit unten rangiert, bewies bereits sein Vorstoß zum Verbot der so genannten »Konversionstherapie«. Selbst homosexuell, also quasi in eigenem Interesse, hat er mal schnell ein Gesetz erarbeiten lassen, das es homosexuell empfindenden Menschen verbietet, sich zur eigenen sexuellen Orientierung anders als affirmativ zu verhalten und Wege heraus aus dieser Neigung zu finden. Wüsste man es nicht besser, man müsste glauben, die SED sei als »Schwule Einheitspartei Deutschlands« wieder auferstanden und würde nun nicht mehr über die Erfüllung von Fünfjahresplänen, sondern von Homo-Quoten wachen. Ein Freund der Freiheit ist Jens Spahn also erwiesenermaßen nicht. Das machte ihn bei der Neuregelung des Transplantationsgesetzes zum idealen Mann. Gebraucht wurde ein Minister, der die Freiheit, über das, was mein ist, selbst zu verfügen, durch einen Freiheitsverkleinerungsschredder jagt und das, was unten rauskommt, dem Staat übereignet. Sonst könnte nämlich der Selbstbedienungsladen, dem die Organspende im Moment gleicht und der durch die am vergangenen Donnerstag beschlossene Neuregelung nicht erträglicher geworden ist, dichtmachen.

    An seine Stelle träte ein kompliziertes Abgabe- und Zuweisungssystem, bei dem nicht das wirtschaftliche Interesse der Kliniken, sondern der Wunsch des Spenders (etwa die eigenen Organe nur an einen bestimmten Personenkreis abzugeben) die höchste Priorität hat. Das wäre kompliziert. Das ist: unerwünscht. Viel einfacher ist es, den Spender dazu zu überreden, sein Recht auf körperliche Unversehrtheit freiwillig an die Gemeinschaft abzutreten oder, sofern die so erzielte Zahl an Spenderorganen nicht ausreicht, um die propagandistisch genährte Nachfrage nach Organtransplantationen zu befriedigen, es ihm durch die so genannte Widerspruchsregelung mit Eintritt des Hirntodes praktisch ganz zu entziehen. Auf dieser gesetzlichen Grundlage können die Organe, je nach Bedarfslage, auf unkomplizierte Weise den Fachleuten in den Kliniken zugewiesen und flugs verpflanzt werden. Eine Beschränkung sieht das Transplantationsgesetz allerdings schon jetzt vor: Zwar kann ich keine Personen aus dem Kreis möglicher Empfänger ausschließen, wohl aber Organe von der Entnahme. Konsequent ist das nicht.

    Da es die Widerspruchslösung (vorerst) nicht geben wird, ist Überredungskunst, sprich: Propaganda, vonnöten. Die betreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf jedem Organspendeausweis, indem sie die »Chance auf ein neues Leben« proklamiert und sich mit der Aussage »Organspende schenkt Leben« als Hort des Lebensschutzes inszeniert, was freilich die in Deutschland gängige Abtreibungspraxis als klingende Schelle, als scheinheilige Rhetorik entlarvt. Nicht jeder wird jedenfalls einem Staat, der tatenlos zusieht, wie die Zukunft des Landes in Abtreibungskliniken vernichtet wird, wo jeden Tag zehn bis fünfzehn künftige Schulklassen ausradiert werden, sein Bekenntnis zu »neuem Leben« abnehmen. Nicht jeder wird es plausibel finden, dass dieselbe BZgA, die es seit der Reform des § 218 StGB noch zu keiner einzigen großen Pro-Life-Kampagne gebracht hat (das Geld wurde lieber in pro-libertinistische und promiskuitätsaffirmative »Kondome schützen«-Anzeigen investiert), nun bei der Organspende so tut, als sei Lebensrettung ihre zentrale Triebfeder.

    Er wird wohl eher einer anderen Wahrheit auf die Schliche kommen: dass nicht die Aktion Lebensrecht, sondern eine einflussreiche Mediziner-Lobby auf die von Spahn gewünschte Verschärfung der Organspenderegelungen gedrungen hat. Lebensverlängerung und Lebensvernichtung haben nämlich eine augenfällige Gemeinsamkeit: Kliniken verdienen dabei Geld. Bei jeder lebensrettenden Organtransplantation schaut eine gewinnorientierte Kaste von Pseudo-Hippokratikern auf denselben Geldstrom, der bei jeder Lebensvernichtung in der Abtreibungsklinik fließt. Wer glaubt denn allen Ernstes daran, dass wir die Organspendedebatte jemals geführt hätten, wenn Kliniken und Krankenhäuser damit kein Geld verdienen könnten? Oder dass es jährlich 100.000 Abtreibungen gäbe, wenn Ärzte verpflichtet wären, diese pro bono vorzunehmen.

    Wie kann sich aber nun der mündige Bürger gegen den Angriff des Staates auf sein Selbstbestimmungsrecht zur Wehr setzen, ohne sich den Vorwurf der Selbstsucht einzuhandeln?

    Erstens: durch ein entschiedenes Ja zur eigenen Geschöpflichkeit und damit Endlichkeit. Nur wer sich darüber klar wird, dass es keine Garantie für ein langes Leben gibt, entgeht der Erpressbarkeit durch die hybriden Heilsversprechungen einer seelenlosen Technokratie. Nur wenn ich selbst bereit bin, nicht um jeden Preis und notfalls mit Fremdorganen weiterzuleben, verleihe ich meinem Leben wieder die Würde des Geschöpfes und befreie es von der gottlosen Hybris, es um eine Maximalspanne verlängern und den Tod entsprechend lange aussperren zu können.

    Zweitens: durch ein entschiedenes Nein zu staatlicher Übergriffigkeit. Über den Leib des Geschöpfes dürfen nur verfügen: das Geschöpf selbst und der Schöpfer, niemals aber die Allgemeinheit oder – als ihr Exekutivorgan – der Staat.

    Drittens: durch ein klares Ja-aber zur jetzigen Organspendepraxis, das die Balance zwischen christlicher Ethik und bürgerlicher Freiheit hält. Der eigene Leib kann in einem freien Akt des Altruismus, welchen der Schöpfer dem Geschöpf nahelegt, dem Nächsten hingeopfert werden. Wer aber dieser Nächste ist, das muss im Ermessen des Individuums verbleiben. Ein Übergriff des Staates auf diese Entscheidungsfreiheit muss ausgeschlossen sein.

    Der Organspendeausweis in seiner jetzigen Form gehört verbrannt, das Transplantationsgesetz in seiner jetzigen Fassung in die Tonne. Es macht den Spender zur Leiche im Keller einer selbstherrlichen Plutokratie. Die Achtung vor der Würde des Menschen ist darin so tot, wie sie es bei den umstrittenen »Körperwelten«-Ausstellungen des Extrem-Anatomen Gunther von Hagens war. Noch verabscheuungswürdiger war das weder christliche noch demokratische Gesetzesvorhaben von Jens Spahn, der alle Menschen schon zu Lebzeiten zu Ersatzteillagern für die später Sterbenden degradieren möchte. Die Feinde der bürgerlichen Freiheit haben zwar eine Schlacht verloren, aber sie werden nicht aufgeben. Es droht die irre Vision des Sciencefiction-Klassikers »Soylent Green« von 1973 Wirklichkeit zu werden. Dort sind die Verstorbenen bloße Verfügungsmasse einer totalitären Obrigkeit und dienen ebenfalls dem »höheren« Ziel, Leben zu retten. Doch in dem offenbar gar nicht mehr so utopischen US-Spielfilm werden den Toten keine Organe entnommen; sie werden zu Futter verarbeitet, weil Lebensmittel knapp geworden sind.

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