Eingesperrt im ewigen Corona-Winter: Der zweite Lockdown bedeutet das Aus für das Weihnachtsfest. Und ein Ende der Isolationsmaßnahmen ist nicht absehbar. Besonders Kinder leiden unter dem Verlust menschlicher Nähe. Erstabdruck in COMPACT 12/2020.

    _ von Jürgen Elsässer

    Leise rieselt der Schnee. Mit meinem Papa schmücke ich am Nachmittag den Weihnachtsbaum. Der Bescherung ist ein besonderer Zauber eigen. Die Eltern haben für uns Kinder einen Nikolaus aus dem Dorf engagiert, der schweren Schrittes die Treppe heraufpoltert, an seinem Gürtel baumelt eine Rute. Das Christkind an seiner Seite, mit blonder Perücke und Engelsflügeln, nimmt uns ein bisschen die Bangigkeit. Dann öffnet er seinen groben Leinensack, und heraus kommen die Geschenke. Und wie da die Tränen kullern: vor Erleichterung, vor Freude, vor irgendetwas Unerklärlichem.

    «Auch Wohnungen können kontrolliert werden – ohne Durchsuchungsbeschluss.» Welt

    Heiligabend war immer der End- und Höhepunkt des Jahres, für uns Kleine am allermeisten. Das «O du fröhliche, o du selige» strömte uns aus übervollem Herzen durch die Kehle.

    Lockdown statt Lametta

    Eine solche Bescherung wird es in diesem Jahr wohl nur noch für die Wenigsten geben. Es herrscht Kontaktverbot. Der Weihnachtsmann ist ein Fremder, er darf nicht ins Haus. Gefeiert wird allenfalls in der Kleinstfamilie. Ob man warm und kuschlig zusammensitzen kann? Die Kinder bringen die Panik aus der Schule mit, da müssen jede Viertelstunde die Fenster aufgerissen werden. Das frierende Klassenzimmer, heißt es in Anlehnung an Erich Kästners Kinderbuch. Lieder zu singen ist wohl auch nicht ratsam, da kommen nämlich die tödlichen Aerosole direkt auf den Gabentisch, hat die Klassenlehrerin gesagt. Deshalb bleiben auch die Kirchen geschlossen – das gab es noch nicht einmal in den Bombennächten des Weltkrieges. Gottesdienste dürfen allenfalls im Freien abgehalten werden. Umarmen und küssen ist selbst im engsten Familienkreise nicht erlaubt, jedenfalls wenn es nach dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut geht: Weihnachtsessen «in kleinen Runden» erlaubte der Drosten-Rivale zwar gegenüber der Bild  gnädig, aber nur, «wenn man zwischendurch gut lüfte und auf Abstandsregeln und Handhygiene achte».

    Oma und Opa im Altenheim zu besuchen – das wird auch schwierig. Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, rät diesbezüglich, «Weihnachten im Schichtsystem zu feiern». Eine Bescherung für die Senioren könne, so sein Tipp, am 28. Dezember oder «sogar noch später» stattfinden; vielleicht am besten gleich «per Videoschalte». Ebenfalls so gut wie unmöglich: dass sich am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag die erweiterte Familie trifft und die Onkel und Tanten zu Besuch kommen. Mehr als zwei Haushalte mit maximal zehn Personen dürfen es jedenfalls nicht sein. «Die Gewerkschaft der Polizei stellt klar: Auch Wohnungen können kontrolliert werden – ohne Durchsuchungsbeschluss», las man dazu in der Welt. Wenn unverhofft geklingelt wird, ist das im Jahr 2020 Knecht Ruprecht von der Seuchen-Stasi. «Bundespolizei jagt Lockdown-Brecher», schrie es am 29. Oktober in großen Lettern von der Titelseite der Bild.

    Politik mit dem Angstvirus

    Der sogenannte Wellenbrecher-Lockdown, seit 2. November in Kraft, war von der Politik durch hysterische Panikmeldungen vorbereitet worden. «Entweder schaffen wir es, in den nächsten vier Wochen wieder die Zahlen unter Kontrolle zu bekommen – oder es wird sehr schwierig. Dann wird es ein einsames Weihnachten», drohte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Sein Amtskollege Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg sekundierte: «Weihnachtsmärkte halte ich in diesem Winter leider für vollkommen ausgeschlossen.» Bei einer Erhöhung der Zahlen, so der Grünen-Politiker weiter, «kommen wir um härtere Maßnahmen – unter Umständen sehr harte Maßnahmen – nicht herum».


    Jeden Tag werden uns neue Zahlen sogenannter Corona-Infizierter bekannt gegeben. Als solche werden alle bezeichnet, bei denen der PCR-Test positiv reagiert hat. Doch diese Methode ist extrem unzuverlässig, wie nun selbst der Berliner Senat zugeben musste.

    «Die Senatsverwaltung für Gesundheit hat bestätigt, dass PCR-Tests eigentlich nicht in der Lage sind, eine Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes festzustellen. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage des Einzelabgeordneten Marcel Luthe hervor. (…) Auf die Frage des Abgeordneten, ob ”ein sogenannter PCR-Test in der Lage” sei, ”zwischen einem vermehrungsfähigen und einem nicht-vermehrungsfähigen Virus zu unterscheiden”, antwortete die Senatsverwaltung mit einem ”Nein”. (…) Luthe überzeugen diese Antworten nicht. Er sagt der Berliner Zeitung : ”Wenn sogar der Senat einräumen muss, dass die täglich gemeldeten Testzahlen nichts über eine Infektion im Sinne des Gesetzes aussagen, fehlt auch den Verordnungen die Grundlage. Denn niemand kann aktuell sagen, ob und wie viele Infektionen tatsächlich vorliegen.”» (Berliner Zeitung, 7.11.2020)

    Die dunkle Kanzlerin hatte bereits Ende Oktober eine apokalyptische Tonlage vorgegeben, um den Lockdown gegen Widerstände aus den Ländern durchzudrücken: Corona sei eine «Heimsuchung» und die Lage «sehr, sehr ernst», es drohe »Unheil». Vizekanzler Olaf Scholz warnte vor «hunderttausenden Infizierten, tausenden Toten». Einer seiner Parteifreunde sprintete auf Platz eins in der Hysterie-Hitparade: «Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) gilt als der Mahner in der Corona-Krise. Nun stellt Lauterbach eine Prognose vor, die schockieren dürfte: 50.000 Tote bis Weihnachten», zitierte der Münchner Merkur  den schlagzeilensüchtigen Wirrkopf. Hinterfotzig schob er hinterher, dass das natürlich nicht passiere, da die Bundesregierung im Ernstfall einen harten Lockdown durchsetzen würde.

    «An Ostern ist die Pandemie nicht beendet.» Christian Drosten

    Selbstverständlich soll unsere Einsperrung mit Weihnachten nicht zu Ende sein. Kretschmann nahm bereits das nächste Fest ins Visier: «Ich fürchte ja, Silvesterpartys kann man im Kreise der Familie machen, aber nicht groß, feucht und fröhlich mit vielen Freunden. (…) Mit so etwas warten wir bitte, bis wir einen Impfstoff haben und die Bevölkerung auch durchgeimpft ist.» Die Kanzlerin ließ den Blick ins neue Jahr schweifen: «Es stehen uns sehr, sehr schwere Monate bevor!» Ihr Berater Christian Drosten wurde präziser: «An Ostern ist die Pandemie nicht beendet. (…) Am besten wäre es, wir täten alle so, als wären wir infiziert und wollten andere vor Ansteckung schützen.» Maskentragen für immer? Ministerpräsident Kretschmann beruhigt, das müsse nicht sein: «Man kann zum Beispiel auch die Straßenseite wechseln oder sich an die Wand drücken, wenn einem jemand entgegenkommt.»

    Das Leiden der Kinder

    Das Verbot menschlicher Nähe ist besonders für Minderjährige traumatisch. Anfang November waren bundesweit schon wieder 165 Schulen komplett geschlossen, in den übrigen werden immer wieder ganze Klassen oder sogar Jahrgangsstufen nach Hause geschickt. Bereits im Juli kam eine Umfrage des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zu dem Ergebnis, dass sich der Lockdown auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stark negativ ausgewirkt hat. Demnach fühlten sich mehr als 70 Prozent der befragten 7- bis 17-Jährigen durch die Maßnahmen seelisch belastet: Stress, Angst und Depressionen hätten zugenommen.

    Die Ergebnisse wurden mit einer Langzeituntersuchung aus der Zeit vor Corona verglichen. «Wir haben mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet», sagte Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer. «Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht.»

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