In seinem Buch Wer hat Hitler gezwungen Stalin zu überfallen? vertritt der russische Publizist Nikolai Starikow die These, Hitler habe am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfallen und sei dazu von angloamerikanischen Kreisen angestachelt worden. Die Gegenthese eines deutschen Präventivkrieges vertreten Historiker wie Viktor Suworow, Stefan Scheil oder Bernd Schwipper, der gerade zwei sensationelle Dokumentenbände vorgelegt hat. Hier mehr erfahren.
Vertreter der Überfalltheorie beziehen sich oftmals auf Hitlers Propagandaschrift Mein Kampf. Der spätere „Führer“ habe darin schon 1925 die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ propagiert. Im selben Buch hat er aber auch die Eröffnung eines Zweifrontenkrieges als größten Fehler der Deutschen im Völkerringen 1914 bis 1918 bezeichnet. Genau diesen Fehler soll er dann, folgt man Starikow und anderen, 1941 noch einmal begangen haben.
Das Beispiel zeigt: Man kann aus einer Quelle nicht nur eine, sondern mehrere, oft gegensätzliche Schlussfolgerungen ableiten. Das trifft auch auf andere Quellen zu.
Nachfolgend zehn Zitate, die die Vertreter der Präventivkriegsthese als Beleg für ihre Sichtweise anführen, wonach das Deutsche Reich einen Angriff der Sowjetunion erwartete, dem man zuvorkommen wollte:
1. Fortdauernde Feindschaft
„Die Komintern erklärt sich nach wie vor als schärfster Gegner des Nationalsozialismus, wie überhaupt aller imperialistischen Mächte. Der deutsch-russische Pakt werde von den Kommunisten dabei als ein Manöver in diesem Kampf gegen den Imperialismus gewertet. (…) Führende kommunistische Funktionäre erklären, der russische Druck werde bald von größerem Einfluss sein, als derjenige der Alliierten. Die Linie der Moskauer Politik sei unverändert; in den führenden Kadern der Partei hätte es deshalb auch nie eine Verwirrung gegeben.“ (Bericht an das deutsche OKW über die fortdauernde sowjetische Feindschaft trotz Nichtangriffspakts, 29. September 1939)
2. Rote Armee bereit
„Die Rote Armee wurde von der Abteilung Ost immer für befähigt gehalten, einen Verteidigungskrieg zu führen. Es hat sich aber auch als richtig erwiesen, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß die Führer der Sowjetunion unter gewissen Voraussetzungen bei ihrem gegenwärtigen Zustande auch einen Angriffskrieg führen würden.“ (Fremde Heere Ost, 19.12.1939)
3. Angriff auf Deutschland
„Erfahre aus zuverlässiger Quelle, daß zwei betrunkene Sowjet-Offiziere im Gespräch mit Letten in hiesigem Sommerrestaurant gestern Abend auf die Frage, warum so viele Truppen zur Besetzung Randstaaten notwendig waren, spontan geantwortet haben, dass die Hauptaufgabe Truppen Angriff auf Deutschland sei.“ (Bericht des deutschen Gesandten in Riga, 18. Juli 1940)
4. Ein Agent meldet an Moskau
„Hitler ist der Initiator des Angriffsplans auf die Sowjetunion. Er meint, dass ein Präventivkrieg gegen die UdSSR nötig sei, um nicht in eine Falle des stärkeren Feindes zu geraten.“ (Bericht des sowjetischen Agenten „Doyen“ nach Moskau, 14. April 1941)
5. Schukow plaudert
„Wenn man in Betracht zieht, daß Deutschland sein gesamtes Heer einschließlich rückwärtiger Dienste mobilisiert hat, so besteht die Möglichkeit, dass es uns beim Aufmarsch ZUVORKOMMT und einen Überraschungsschlag führt.“ (Georgij Schukow, sowjet. Generalstabschef, 15. Mai 1941; Hervorhebung im Original)
6. Sieg des Sozialismus
„In jedem Fall wird die UdSSR die Offensive gegen imperialistische Mächte beginnen, um den Sieg des Sozialismus zu verteidigen und die Mission des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auszuführen, die kapitalistische Welt um uns herum zu zerstören.“ (Interne Propaganda der Roten Armee, Juni 1941)
7. Truppenbewegung gen Westen
„Fast die gesamte verfügbare Streitmacht der SU war in einer Monate dauernden Bewegung aus dem Innern Rußlands an die deutsche Ostfront herantransportiert worden. (…) Die (…) Schwerpunkte lassen deutlich die Absicht erkennen, durch Vorstoß in allgemeiner Richtung Litzmannstadt die in dem vorspringenden Teil des Generalgouvernements stehenden deutschen Kräfte einzukesseln und zu vernichten, und bei günstiger Entwicklung der Lage im Norden durch Vorstoß in Richtung Elbing Ostpreußen vom Reich zu trennen.“ (Fremde Heere Ost – nach 2 Jahren Analyse der russischen Pläne von 1941 –, 9. September 1943)
8. Zeitzeuge Kesselring
„Die Dislokation der russischen Truppen mit starken Massierungen in der Mitte – davon allein im vorspringenden Bogen von Bialystok rund 50 Großverbände – ließ sowohl auf Angriffs- wie auf Verteidigungsabsichten schließen. Die im grenznahen Raum festgestellte Flieger-Bodenorganisation und ihre Belegung hatte dagegen einen ausgesprochen offensiven Charakter, sie enttarnte damit auch die russischen Heeresabsichten. Die These Hitlers, daß der Russe uns im ersten, ihm günstig erscheinenden Augenblick angreifen würde, hielt ich für indiskutabel richtig.“ (Generalfeldmarschall Albert Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, 1953)
9. Stalin plaudert
„Ein junger russischer Offizier, später Kp. Führer in einem landeseigenen Verband, erzählte mir im Sommer 1942: ‚4 Wochen vor Kriegsausbruch war ich mit vielen Kameraden (Absolventen einer Kriegsschule) im Kreml eingeladen. Ich saß in der Nähe von Stalin und konnte sehr gut hören, daß er sagte, es werde schon in den nächsten Wochen Krieg mit Deutschland geben.‘“ (Oberstleutnant Hinterseer, damals 1c/AO III AOK 4, Bericht, Bundesarchiv)
10. Chruschtschows Geständnis
„Niemand, der auch nur den geringsten politischen Verstand besitzt, kann glauben, wir wären von einem unerwarteten, hinterhältigen deutschen Angriff überrascht worden.“ (Nikita Chruschtschow, zitiert in: Stefan Scheil, Präventivkrieg Barbarossa: Fragen, Fakten, Antworten, 2011)
Weitere Zitate, Dokumente und Akten hat der Militärhistoriker und frühere Generalmajor der NVA Bernd Schwipper in seiner sensationellen, 2-bändigen Dokumentation Die Aufklärung der Bedrohung aus dem Osten zusammengetragen. Nach der Auswertung von Tausenden Original-Dokumenten ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass im Sommer 1941 ein sowjetischer Angriff unmittelbar bevorstand. Die beiden druckfrischen Bände können Sie in unserem Online-Shop bestellen.