Die Eliten dieses Staates, der noch immer als nicht-souveränes Subjekt unter der Kuratel der Siegermächte steht, haben 2010 als Dogma verkündet: Im Dresdner Flammeninferno vom 13./14. Februar 1945 starben 25.000 Menschen, keinesfalls mehr. Damit hat es das BRD-Establishment geschafft, die in der DDR offizielle Zahl von 35.000 Toten sogar noch zu unterbieten. Die Überlebenden der sächsischen Metropole haben diese Zahlen nie geglaubt – sie gingen aus eigenem Erleben davon aus, dass der Blutzoll viel höher gewesen sein musste.
Kurz nach der Wiedervereinigung, als das Meinungsklima in Deutschland noch viel freier war, vertrat auch die damalige Dresdner Stadtverwaltung noch den Standpunkt der Überlebenden. COMPACT präsentiert ein Originaldokument der „Landeshauptstadt Dresden / Stadtverwaltung“ vom 31. Juli 1992, unterschrieben von der „Sachgebietsleiterin Karin Mitscherlich“. Darin heißt es: „Gesicherten Angaben der Dresdner Ordnungspolizei zufolge wurden bis zum 20.3.1945 202.040 Tote, überwiegend Frauen und Kinder geborgen. Davon konnten nur 30 % identifiziert werden. Einschließlich der Vermißten dürfte eine Zahl von 250.000 bis 300.000 Opfern realistisch sein. Entsprechende neue Forschungen sind noch nicht abgeschlossen.“
Wolfgang Schaarschmidt, Autor der COMPACT-Geschichtsausgabe „Dresden 1945“, hat im Kapitel „Zahlen und Fakten“ eine große Zahl an Quellen – Originaldokumente, Auszüge aus zeitgenössischen Presseverlautbarungen, Funde in sowjetischen Enzyklopädien, auch Zeugnisse von SED-Politikern – zusammengetragen und in unserer Ausgabe veröffentlicht, die in ihrer erdrückenden Mehrheit von über 100.000 Opfern des Terrorangriffs ausgehen. Dabei kam er auch zur Schlussfolgerung, dass die im obigen Dokument angegebene Zahl von exakt 202.040 Toten nicht stimmen kann und vieles auf eine Fälschung des Originaldokuments – des sogenannten Tagesbefehls Nr. 47 des Polizeipräsidenten von Dresden – hinweist.
Eine genaue Zahlenangabe ist schon allein deshalb unmöglich, da viele der Opfer ja zu Asche verbrannt wurden oder in ihren Kellern förmlich verglühten… Deswegen ist in dem Dokument der Stadtverwaltung von 1992 nicht die exakte Zahl das Interessante, sondern dass die damals politisch Verantwortlichen noch so bürgernah waren, dass sie sich immerhin den weitverbreiteten Eindruck von zu niedrigen offiziellen Zahlen (35.000 in der DDR) zu eigen machten und die Historiker zu weiteren Untersuchungen anspornten: „Entsprechende neue Forschungen sind noch nicht abgeschlossen.“
Diese Offenheit in der Debatte wurde durch das Einsetzen einer staatsoffiziellen Historikerkommission beendet – schon vor Beginn ihrer Arbeit 2004 legten sich die Herren auf das seither kolportierte Dogma von 25.000 Toten fest. Wie sehr die Stadtverwaltung selbst bei der Vorlage des Historiker-Abschlussberichtes im Jahr 2010 noch an diesem Dogma zweifelte, wird anhand der Erklärung des damaligen Kulturbürgermeisters Ralf Lunau deutlich: „Mit diesem Bericht wird die Debatte um die Opferzahlen nicht beendet sein. Viel eher wird eine intensive Auseinandersetzung um die nun vorgelegten Ergebnisse stattfinden. Der Stadt Dresden ging es auch zu keinem Zeitpunkt darum, diese Debatte zu beenden, sondern es ging darum, wissenschaftliche Argumente gegen eine bewußte politische Instrumentalisierung der Opferzahlen zu erhalten. Auch wird die Stadt die Ergebnisse des Abschlussberichtes nicht bewerten oder beurteilen.“
Pikant und bezeichnend: Diese Erklärung von Dr. Lunau ist, obwohl als „Erklärung der Stadt“ betitelt, in keiner Presseerklärung der Stadt oder einem anderen amtlichen Dokument nachzulesen. Wir verdanken Sie einzig und allein Gert Bürgel, der bei Lunaus Rede am 17. März 2010 persönlich anwesend war und den Wortlaut mitgeschnitten hat. Bürgel, Co-Autor von Schaarschmidt, macht den vollständigen Text ebenfalls in COMPACT-Geschichte
„Dresden 1945. Die Toten, die Täter und die Verharmloser“ zugänglich und berichtet außerdem faktenreich über die heftigen Auseinandersetzungen im Stadtrat zwischen 2004 und 2010 über die Arbeit dieser Historikerkommission und über die Widersprüche und „weißen Flecken“ in deren Untersuchungen.
Die Debatte um die Toten des alliierten Bombenangriffes auf Dresden ist durch die Tabus der politisch Korrekten stranguliert worden.
COMPACT-Geschichte eröffnet diese Debatte zum 75. Jahrestag des Kriegsverbrechens von Neuem – unsere Autoren Schaarschmidt und Bürgel haben dazu die unterdrückten Quellen wieder freigelegt und für die Öffentlichkeit überprüfbar gemacht. Ihr Werk
„Dresden 1945. Die Toten, die Täter und die Verharmloser“ ist seit wenigen Tagen an über 11.000 Verkaufsstellen im gesamten Bundesgebiet erhältlich. Sie können die Ausgabe auch
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