Naidoos Rauswurf aus dem Eurovision Song Contest machte der Öffentlichkeit erstmals deutlich, dass der Künstler beim Establishment in Ungnade gefallen war. Tatsächlich hatte sich die Konfrontation schon seit Jahren angekündigt. Es folgt ein Auszug aus der COMPACT-Edition „Naidoo: Sein Leben, seine Lieder, seine Wut“, die Sie HIER bestellen können.

    Im November 2015 entschied die ARD: Xavier Naidoo soll Deutschland im Folgejahr beim Eurovision Song Contest in Stockholm vertreten. Die ARD hatte für ihren Hinterzimmerbeschluss einen guten Grund: 2015 hatte nämlich der in der Publikumsentscheidung siegreiche Andreas Kümmert seine Nominierung spontan abgelehnt, die stattdessen entsandte Ann Sophie landete auf dem letzten Platz. So eine Blamage sollte sich nicht wiederholen. Also durften dieses Mal nur die ARD-Gremien entscheiden, und die wollten Naidoo.

    «Sanfte Stimme, tiefe Texte»: So beschrieb das Magazin «Glamour» Naidoos Musik. | Foto: Thommy Mardo

    Es dauerte jedoch gerade 48 Stunden, bis diese Entscheidung zurückgenommen wurde. Grund war ein Aufschrei im Mainstream. «Deutsches Reich – twelve points» titelte etwa die Zeit bereits am Tag von Naidoos Nominierung in einem offenbar in Windeseile fabrizierten Kommentar. Die Süddeutsche Zeitung empfand die Wahl «als blanken Hohn». Ihr vorgeschobenes Argument: Der Sender hätte auf einen öffentlichen Vorentscheid verzichtet. Dabei war doch Österreichs Staatssender genauso vorgegangen: Der ORF nominierte 2014, über das Publikum hinweg, Thomas Neuwirth (alias Conchita Wurst) für den ESC. Da störte der Ausschluss des Publikums die linken Leitmedien keineswegs. Schließlich hatte das – für die linksdeutsche Kulturschickeria – rückständige Ösi Publikum den Gegenderten im Jahr zuvor abgelehnt…

    Thomas Schreiber, ARD-Unterhaltungskoordinator und Leiter des Programmbereichs Fiktion und Unterhaltung im NDR, verteidigte Naidoos Nominierung: «Naidoo ist ein herausragender Sänger, der nach meiner Überzeugung weder Rassist noch homophob ist.» Es nützte nichts. Liebling der Juroren, nicht des Publikums: Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst. Laut Bild gab es einen NDR-internen Brandbrief: «Wir festangestellte Redakteure und Redakteurinnen des Bereiches Zeitgeschehen und Kultur und Dokumentationen haben die Entscheidung mit Unverständnis und Fassungslosigkeit aufgenommen.» Und: «Diese Entscheidung beschädigt das Ansehen der ARD und damit unser aller Arbeit nachhaltig.» Bild kommentierte: «Die Unterzeichner werfen dem Sender vor, Naidoo trotz antisemitischer und homophober Aussagen nominiert zu haben.» Nach Erhalt des Briefes hätten die ARD-Chefs dem Sänger noch die Chance gegeben, sich selbst zu feuern, was der Undankbare jedoch abgelehnt habe.

    Das Sündenregister

    Dass es 2015 zur Zuspitzung kam, war vorauszusehen. Der Mannheimer hatte zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren an mehreren Punkten Klartext geredet und das Establishment erheblich provoziert, etwa in Bezug auf die fehlende Souveränität Deutschlands.

    Naidoo auf einer Friedensmahnwache 2014. | Foto: Screenshot YouTube

    Die Süddeutsche Zeitung fasste in der ESC-Debatte sein Sündenregister zusammen: «Fakt ist: Naidoo ist einer der momentan umstrittensten Künstler im Lande. In verschwörungstheoretischem Geschwurbel prangert er immer wieder an, Deutschland sei nicht souverän. Er bedient sich dabei demokratiefeindlicher und rechtspopulistischer Muster, wie bei seinem Auftritt vor den sogenannten ”Reichsbürgern” im vergangenen Jahr . Im ARD-Morgenmagazin hatte er 2011 bereits erklärt: “Wir sind nicht frei. Wir sind immer noch ein besetztes Land.“ Da hilft sein pedantisch wiederholtes “Ich stehe für Liebe“ kaum. Auch Homophobie wird ihm immer wieder vorgeworfen. Auf seinem Album Gespaltene Persönlichkeit, das er mit Kool Savas aufgenommen hat, fragt er in einem Bonustrack: “Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?“ Dafür wurde Naidoo wegen Volksverhetzung angezeigt.» Seitens der Politik schossen die Rufmörder ebenfalls: Claudia Roth (Grüne) nannte Naidoo einen «homophoben Künstler».

    Tatsächlich hatte Naidoo 2014 in Zusammenhang mit dem Spionageangriff des US-Geheimdienstes auf deutsche Internet- und Telefonkunden öffentlich gefragt: «Tut die NSA gar nichts Verbotenes, sondern darf sie das eigentlich sogar, weil die Deutschen es ihr per Gesetz erlauben? Weil wir eigentlich gar kein richtiges Land sind? Weil wir immer noch besetzt sind?» Solche Fragen genügten Spiegel Online für eine politisch korrekte Verdammung: Naidoo braue «Verschwörungstheorien, Demokratiefeindlichkeit, Nationalismus, Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Friedensgeraune zu einer dunklen Suppe». Die Zeit kritzelte das Bild eines «fundamentalistischen Christen», der einem «völkischen Heroismus» huldige. Für die Tageszeitung Die Welt war er ein «gefallener Engel».

    Bei den Söhnen der Freiheit

    Oliver Janich und Xavier Naidoo. | Foto: COMPACT

    Schon damals äußerte sich Naidoo zu den Vorwürfen, und zwar gegenüber dem Publizisten Oliver Janich in einem Video der Sons of Libertas. Janichs Frage lautete: «Du hast vor zwei, drei Jahren im Frühstücksfernsehen gesagt, dass Deutschland kein souveränes Land sei. Wie kommst Du zu dieser Aussage?» Naidoos Antwort: «Dass die mir diese Frage stellen, damit konnte ich nicht rechnen. Ich habe ja keine Gewalt über die Moderatoren, die da sitzen. Ich hatte aber ein T-Shirt an, das habe ich gar nicht ohne Jacke tragen wollen, weil das mir schon ein bisschen zu aufrührerisch war, wo draufstand: “Freiheit für Deutschland“. Das hat sie aber nicht sehen können! Später, als wir den Song gesungen haben, habe ich sie, glaube ich, ausgezogen, die Jacke. Und dann hat sie mich gefragt: “Sind wir eigentlich frei in Deutschland?“ Da musste ich erst mal kurz Luft holen – hat die Dich das jetzt wirklich gefragt?»

    Naidoo weiter: «Dann habe ich natürlich gleich die Sachen gesagt, von denen ich denke, dass jemand, der in Mannheim aufgewachsen ist, sie auf jeden Fall belegen kann, weil man natürlich sieht: Die besten Grundstücke, mitten in Mannheim, gehören den Amerikanern. Wir haben da nebendran schon lange ein Grundstück, und haben das gesehen. Ich habe ja jahrelang den Zapfenstreich um fünf Uhr gehört, von den Amis, von dieser Garnison oder so. Also: Mannheim ist lange, lange Zeit schon besetzt. Und wir haben das mitgekriegt, und dementsprechend war mein Weg irgendwie vorprogrammiert. Wir haben das bei den “Söhnen“ schon ganz früh angelegt, uns darum zu kümmern, dass Deutschland und die Welt… Was wir halt machen können, dass das frei wird, dass wir “die Trauben ernten und den Wein trinken“. Das ist unser Grundsatz.»

    Dann sagte er: «Ich rede gar nicht von “Fakten schaffen“ oder von irgendwas danach. Ich möchte – jetzt – Ordnung. Ich möchte nicht einfach auf diesem Sauhaufen weiter aufbauen, sondern ich möchte, dass das geklärt wird! (…) Und dass keiner von uns frei ist. Und dass es nicht darum gehen kann, dass wir denken, es ist doch alles super, wir sind so reich wie noch nie, sondern mir geht es darum: 70 Kilometer neben mir, in Kaiserslautern, in Ramstein, sitzt irgendein amerikanischer Soldat, der hier Drohnen bedient. Und ich zahle dem noch 30 Milliarden – oder, was weiß ich, wie viele Milliarden – im Jahr dafür, dass der aus Deutschland Menschen abschießt! Nee, wirklich nicht. Da habe ich keinen Bock drauf. Und ich brauche auch keine Atombomben, die da liegen, und den ganzen Wahnsinn, das können sie alles mitnehmen! Ich liebe die Amerikaner! Die Amerikaner sind gute, liebe Menschen. Aber diese Regierung, die die sich da ausgesucht haben – oder leider immer wieder vorgesetzt bekommen – ist der Wahnsinn.»


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    Jenen, denen die Gabe zur Schlussfolgerung fehlte, erklärte Naidoo außerdem: «Ich habe auch immer betont, dass ich die Auffassung der sogenannten Reichsbürger nicht teile, von denen ich mich auch öffentlich deutlich distanziert habe.» Zu seinem Kurzauftritt am 3. Oktober 2014 vor dem Reichstag bei einer Kundgebung der Gruppe Staatenlos um Rüdiger Hoffmann, der vom Verfassungsschutz den sogenannten Reichsbürgern zugerechnet wird, sagte der Künstler, dass auch Jesus habe sich jedem Menschen zugewandt habe. «Ich möchte ebenfalls auf alle Menschen zugehen, egal wo sie sind, egal wo sie herkommen. Ich möchte von Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und meiner Überzeugung sprechen. Es ist für mich an der Zeit, Stellung zu beziehen. Wir sind an einem kritischen Punkt in Europa angekommen.» Außerdem könne sich Bundeskanzlerin Merkel auch nicht aussuchen, ob sie vor Linken oder vor irgendjemandem spreche: «Sie muss als Bundeskanzlerin vor allen sprechen.» In einer Demokratie sollte eine solche Haltung selbstverständlich sein.

    Freunde in der Not

    Einziger Lichtblick im ESC-Shitstorm war eine ganzseitige Anzeige in der FAZ. Aufgegeben vom Konzertveranstalter Marek Lieberberg, präsentierte sie 121 «Menschen für Xavier Naidoo». Prominente, die sich für den Attackierten einsetzten. «Liebe Künstler und Kulturschaffende, ich möchte Euch bitten, Eure Solidarität mit Xavier Naidoo ganz unpolemisch zum Ausdruck zu bringen, indem Ihr diesen Appell unterstützt: ”Menschen für Xavier Naidoo”.»

    Soli-Anzeige für Naidoo. | Foto: FAZ

    Diese Widerstands-Anzeige kostete 67.580 Euro und fand Unterstützer wie Mario Adorf, Tim Bendzko, Roger Cicero, Kay One, Jan Delay, Annette Humpe, Yvonne Catterfeld, Jan Josef Liefers, Anna Loos, Heinz Rudolf Kunze, Atze Schröder und Til Schweiger, der Naidoo fünf Jahre später erneut in Schutz nehmen sollte. Auch Sänger-Kollege Herbert Grönemeyer schrieb auf Facebook: «Xavier ist einer der besten und etabliertesten Musiker und Sänger bei uns, weder homophob, noch rechts und reichsbürgerlich, sondern neugierig, christlicher Freigeist und zum Glück umtriebig und leidenschaftlich». Den NDR beeindruckte das nicht. Diese Solidaritätserklärung der Promis «ist ihr gutes Recht», räumte der Sender großzügig ein. «Xavier Naidoo ist ein Künstler, der polarisiert. Er hat neben vielen Kritikern auch viele Fans. Aus unserer Sicht ist alles Nötige dazu gesagt.»

    „Das Reich wird Pop“ ist das Titelthema der Oktober-Ausgabe von COMPACT. Diese neue deutsche Leichtigkeit zeigt sich auch in dem unbekümmerten Umgang mit schwarz-weiß-rote Fahnen – den Flaggen des Kaiserreiches – auf den Querdenker-Demos. Dies ist nicht Ausdruck einer Sehnsucht nach der Vergangenheit, sondern Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Deutschen freier, souveräner, demokratischer und selbstbewusster als heute leben können. 


    Lesen Sie dazu in COMPACT 10/2020 mit dem Titelthema «Das Reich wird Pop: Neue deutsche Sehnsucht» folgende Beiträge:

    *Das Reich wird Pop: Die Querdenker-Bewegung stellt verstärkt die Frage nach der Souveränität Deutschlands und fordert einen Friedensvertrag – Themen, die bisher vor allem bei Randgruppen und rechtsaußen versauerten. Doch nun tanzen die Regenbogenkinder mit den Schwarz-Weiß-Roten gemeinsam um den Freiheitsbaum – und die Party hat erst angefangen. Jürgen Elsässers Leitartikel zur neuen deutschen Sehnsucht.

    *Kein Sturm auf den Reichstag: Am 29. August erklomm ein versprengtes Häuflein die Treppen des Parlaments. Was zu einem demokratiegefährdenden Orkan aufgebauscht wurde, war in Wirklichkeit ein laues Lüftchen. Manfred Kleine-Hartlage zum Putsch der Medien.

    *Reich. Pop. Flaggen: Die neue Reichspop-Bewegung ist ebenso vielfältig wie ihre Fahnen. Wir erläutern deren historische Hintergründe. Eine kleine Fahnenkunde.

    *Gute Fahne unter falscher Flagge: V-Leute und Schauspieler in Berlin: Während zehntausende Querdenker friedlich demonstrieren, stürzen sich die Medien dankbar auf die Ereignisse am Reichstag. War eine Eskalation staatlich gewollt? Ein Enthüllungs-Report von Marcel Dettmer.

    *Ein Traum, der niemals endet: Die Reichsidee blieb auch nach 1945 in Deutschland virulent. Künstler, Politiker und Historiker wollten mit ihr erstarrte Fronten aufbrechen und Alternativen zur Teilung Europas entwickeln. Ein politisch-kultureller Essay von Sven Reuth.

    *Arbeitermacht mit Kaiserfahnen: Die Gründer der DDR hatten sich entschieden: Die Flagge der Republik wird Schwarz-Weiß-Rot. Erst wenige Monate vor der Staatsgründung schwenkten sie um. Eine historische Rückschau von Martin Müller-Mertens.

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