Der Rückzug ins Private ist dieser Tage nicht gern gesehen. Wer – wie der Autor dieses Artikels – eines Tages aufgrund der Angst vor dem Spuk des Zeitgeistes und aus Sorge um den Blutdruck aufgehört hat, Massenmedien zu konsumieren, sitzt vielleicht eines Tages mit Fiffi im Garten und trinkt Kamillentee, während der Rest der Welt schon für den Sturm der Entrüstung mobil gemacht hat.

    _ von Daniel C. Kellermann

    Doch zwangsläufig wird man auch unfreiwillig alarmiert: Das Musik-Abo spült einem ungefragt „Black Power“-Playlists in die App, das Bücher-Abo macht Dutzende Werke zum Thema Antirassismus kostenlos und informiert einen beharrlich per Push-Nachricht darüber. Auch auf Instagram, wo man eigentlich nur hübsche Bilder aus der Natur teilt und konsumiert, überschlägt man sich auf einmal mit Solidaritätsbekundungen aus den absurdesten Ecken. Nicht-binäre Hexen rufen zu Flüchen gegen das weiße Patriarchat bei Vollmond auf, Heiden erklären Odin zum Kriegsherrn der Social Justice Warriors. Eines Tages sind sogar zwei Drittel aller Bilder schwarz – denn #blacklivesmatter.

    Möchte ich über die neuesten moralischen Empfindlichkeiten des letzten Menschen ins Bild gesetzt werden, wende ich mich vertrauensvoll an meine Exfreundin – ihres Zeichens Feministin, Antifaschistin und Antispeziesistin. Sie informiert mich darüber, dass inzwischen selbst Starbucks geschnallt hätte, dass nun die Zeit für entschiedene Solidaritätsbekundungen mit Persons of Color sei, und dass ich alter, weißer Mann mit politisch fragwürdigem Hintergrund gut daran täte, mich darüber zu bilden, was ein guter „Ally“ sei. Denn dies sei der Umsturz. Na, wenn sogar Starbucks das einsieht! Ein wenig wundere ich mich dennoch: Gestern waren noch alle Firmen schwul, heute sind alle Firmen schwarz. Aber wie der weiße, alte Fritz schon sagte: Jeder nach seiner Façon.

    Dieses Mal muss es wirklich ein dringendes Anliegen sein, für das da demonstriert wird. Waren vor ein paar Wochen noch Gruppenversammlungen untersagt und man versicherte sich seines hohen moralischen Rosses, indem man gegen die rücksichtslosen Virenschleudern wetterte, gehen die Menschen nun zu Tausenden ohne Mindestabstand und Mundschutz auf die Straße. Die Polizei scheint das nicht zu jucken. Aber in Berlin tickten die Uhren ja schon immer anders.

    Noch am selben Tag erfahre ich in der Spielerunde, dass ich jahrelang aufgrund meines falschen Bewusstseins mit Magic-Karten gespielt habe, die nun vom Hersteller aus dem Verkehr gezogen werden, da sie dem Bild- oder Textgehalt nach rassistisch waren. Dieser entschuldigt sich wortreich und gelobt zukünftige Besserung. Ich begreife: Auch an meinen vermeintlich unschuldigen Händen klebt das Blut von George Floyd.

    Vielleicht sind die Tage meines weißen Privilegs tatsächlich gezählt, und so folge ich dem Rat meiner Exfreundin: Ich informiere mich im Internet darüber, wie ich zu einem guten „Ally“ werde, einem Alliierten, Verbündeten. Denn schnell wird bei der Durchsicht Twitters deutlich: Keiner macht hier die Schweiz! Wer nicht für uns ist, gehört zweifelsohne zu den Achsenmächten des Kulturkonflikts.

    Man ist mir gerne behilflich. Der „Guide to Allyship“ erklärt mir, welche Pflichten ich habe. Ich habe ab sofort zuzuhören, statt zu sprechen, um der Sache Gehör zu verschaffen. Ich muss den Kampf Marginalisierter als meinen eigenen führen, ohne mich als einer von ihnen zu betrachten. Ich soll schwarze Kultur feiern, sie mir aber nicht aneignen. So langsam gefällt mir das Dasein als „Ally“: Es erinnert mich an meine Ausflüge in den Zen-Buddhismus und das Rätseln über seine scheinbar unlösbaren Koans.

    Entspannt setze ich mich also in den nächsten Starbucks, umarme – selbstverständlich nachdem ich Konsens erbeten habe – die Barista mit Migrationshintergrund, die nun stolz eine „Black Lives Matter“-Brosche tragen darf, entschuldige mich für das von mir begangene historische Unrecht und bestelle mir zur Feier des Tages einen schwarzen Kaffee. Ich höre mir „Public Enemy“ aus meiner Musik-App in der „Black Power“-Playlist an. Denn nachdem ich die Nacht über kostenlos, aber nicht umsonst antirassistische Literatur studiert habe, weiß ich nun, wie ich meinen Beitrag als guter Alliierter leisten kann. (Fortsetzung des Artikels unter dem Werbebanner.)

    Ein Tsunami kommt auf uns zu, über zehn Millionen haben hierzulande Kurzarbeit angemeldet. Für sie zahlt jetzt der Staat – aber wie lange noch? In dieser Situation kommt die neue COMPACT-Spezial gerade recht: „Welt. Wirtschaft. Krisen – Vom Schwarzen Freitag 1929 zum Corona-Crash 2020“ erscheint Ende Juni. Wir können belegen: Es ist kein Virus, sondern die absichtliche Stilllegung unserer Schaffenskraft durch Regierungen und Spekulanten, die aktuell zum ökonomischen Absturz führt. COMPACT-Spezial analysiert auf 84 Seiten die Triebkräfte der gegenwärtigen Entwicklung in einem aufrüttelnden historischen Rückgriff. Prominente Fachleute wie Andreas von Bülow (ehemals Bundesminister unter Kanzler Helmut Schmidt), Oliver Janich (ehemals „Focus Money“), Ralf Flierl (Chefredakteur „Smart Investor“) und Jürgen Elsässer (Chefredakteur COMPACT-Magazin) schreiben Klartext, nennen die Täter und die Tricks. Lesen Sie alles über den hundertjährigen Krieg der Hochfinanz gegen die Völker. Hier bestellen oder zum Bestellen auf das Cover klicken.

    Auf Twitter fordere ich die gegenwärtig beliebteste Dating-App Tinder dazu auf, Persons of Color kostenlose Gold-Accounts zur Verfügung zu stellen, um ihrer strukturellen Diskriminierung auf dem Partnermarkt entgegenzuwirken. Denn heute haben die Worte Anetta Kahanes noch mehr Gewicht als damals: Es ist eine politische Bankrotterklärung, dass noch so weite Teile des Landes weiß sind.

    Ich poste ein Bild von meinem äthiopischen Kaffee auf Instagram und lasse mit gutem Gewissen die Seele baumeln. Doch ein wenig sehne ich mich in die Diaspora des heimischen Gartens zurück. Denn meinem Hund kann ich wenigstens nicht übel nehmen, dass er durch jeden noch so dummen Reifen hüpft, den man ihm hinhält.

    Kommentare sind deaktiviert.