Welche Gräuel erlitten die Dresdner im Februar 1945 – und welche Opfer werden bei heutigen Einschätzungen zumeist vergessen? Eine Leserin von COMPACT, die damals die Bombenangriffe als junges Mädchen miterlebte, schildert ihre Erlebnisse. Dieser Zeitzeugenbericht wurde uns als Ergänzung zu dem Artikel „Die Dresden-Lügen“ von Jan von Flocken in COMPACT-Geschichte Nr. 8 „Verbrechen an Deutschen. Vertreibung, Bombenterror, Massenvergewaltigungen“ zugesandt.

    _ von Hannelore Rentsch-Millin

    Die echte Opferzahl der Bombenangriffe des 13./14. Februar 1945 auf Dresden lässt sich nur schwer ermitteln. Auch mir war damals bekannt, dass wir durch Massen von Flüchtlingen aus den östlichen Kampfgebieten die Zahl von einer Million Einwohner längst überschritten hatten. Sie lagerten nicht nur auf den Bahnsteigen im Hauptbahnhof, sondern wohnten auch bei Familien in der ganzen Stadt verstreut, so auch in unserem Haus. Die 9-jährige Tochter einer Flüchtlingsfamilie fand bei uns Unterschlupf, denn mein Vater war Soldat. Etliche kamen als Gastschüler an unsere Schulen, auch viele Evakuierte aus bombengeschädigten Gebieten. Es gab sehr viele Opfer unter den Fremden, da sie sich im Zentrum aufhielten und nicht in den umliegenden Dörfern wohnten.

    Vor allem verbrannten Tausende im rasenden Feuersog, der die Menschen durch die Luft wirbelte, vollständig. Dazu gehören alle Feuerwehrleute, die aus Bad Schandau herbeigeeilt waren. Sie starben gemeinsam beim zweiten Nachtangriff auf Dresden und wurden in keinem Bericht erwähnt. Oder wer kennt die Namen der Internatsschüler, die in den Höheren Schulen der Innenstadt wohnten, oder die Besucher der Kinos, Theater oder Hotels? Der erste von vier Angriffen begann ja schon gegen 21:30 Uhr.

    Eine mit uns bekannte junge Sanitäterin, Rosemarie Hörnig, hatte in jener Nacht mit ihrer Mutter Dienst am Hauptbahnhof. Sie überlebte schwer verletzt. Sie erlitt Verbrennungen dritten Grades an beiden Beinen bis hoch hinauf. Ihre Mutter wurde vor ihren Augen, im Sog des Feuerorkans, ein Raub der Flammen. Jahre später verriet mir Rosemarie weinend, dass sie sich sehnlichst ein Baby wünscht, auch, wenn der Mann sie wegen ihrer hässlichen Brandnarben nicht heiraten möchte. Ihr Wunsch ging nie in Erfüllung.

    Viele Besucher besichtigten unsere Stadt, die bis dahin erst zwei Bombenangriffe erlebt hatte und als „sichere Rot-Kreuz-Stadt“ galt. Dicke rote Kreuze auf den Dächern der Turnhallen verschiedener Schulen wiesen darauf hin, dass sie als Notlazarette eingerichtet worden waren. Auch dort starben viele Verwundete als Namenlose.

    Auffallend ist, dass man immer nur von den Opfern der total zerstörten Innenstadt spricht. Es gab genug Opfer in den teilzerstörten Vorstädten, wo unter anderem ganze Krankenhäuser in Flammen aufgingen. In einer dieser Vorstädte wohnte ich.

    Als am 15. Februar 1945 die letzten Bomber das Stadtgebiet von Dresden wieder gen Westen verließen, lagen 40 Stunden Bombenterror hinter der Stadt. Das Ausmaß der vier Angriffswellen ist mit Worten kaum zu beschreiben. Tausende verbrannten im Feuersturm bei lebendigem Leibe, andere wurden verschüttet. Das als sicher geltende Dresden war damals voller Flüchtlinge. Viele mussten ihre Hoffnung mit dem Leben bezahlen. Dresden 1945 gilt seitdem als Fanal für Terror gegen die Zivilbevölkerung. Militärisch sinnlos, wurde das einst blühende Elbflorenz nahezu vollends zerstört. Unser Autor Wolfgang Schaarschmidt hat das Inferno überlebt und jahrelang recherchiert. Mit diesem Werk treten wir auch den Verharmlosern und Herrunterrechnern der Opferzahlen mit vielen neuen Fakten entgegen. Den über 100.000 Bombenopfern ist damit ein würdiges Denkmal gesetzt. Zur Bestellung von COMPACT-Geschichte Nr. 9 „Dresden 1945. Die Toten, die Täter und die Verharmloser“ klicken Sie HIER oder auf das Bild.

    Der Brockhaus (Wiesbaden, 1968), den ich besitze, schreibt wörtlich über Dresden: „Die Zahl der Opfer in der mit oberschlesischen Flüchtlingen überschwemmten Stadt wird bis auf 300.000 geschätzt.“ Ich selbst bin von 120.000 bis 150.000 Toten überzeugt.

    Das eng bebaute barocke Zentrum Dresdens besaß meist sechsstöckige Häuser mit Holztreppen, die wie Zunder brannten. Die Gelähmten oder gehbehinderten Alten ließen sich meist gar nicht erst in ihre Keller tragen. Sie fühlten sich oben in Sicherheit. Bunker gab es sowieso fast keine, und der Krieg ging ja dem Ende zu. Viele von ihnen verbrannten zur Unkenntlichkeit oder wurden von Sprengbomben zerrissen. Man spricht von 10.000 Sprengbomben, die auf Dresden niederfielen. Diese verheerende Kraft kann sich niemand vorstellen. Der Feuerorkan tobte mit einem Funkenflug, der einem Blizzard ähnelte. Wie können sich heutige Historiker erlauben, von einer „Legende“ zu sprechen, zumal sie keinen der Terrorangriffe selbst erlebt haben. Diese Wirtschaftswunderkinder haben noch nicht einmal von fern eine nerventötende „Stalinorgel“ heulen gehört.

    In unserem Wohnhaus in Dresden-Löbtau hatte sich eine einzige Stabbrandbombe im Treppenhaus entzündet, die ein Soldat per Schaufel durch das kaputte Fenster warf. Uns gegenüber brannten zwei Wohnhäuser bis auf die Grundmauern ab, und hinter unserem Haus loderte das Feuer der kleinen Maschinenfabrik von Simon, die auf ihrem Vorplatz mächtige Holzschwellen der Reichsbahn gelagert hatte. Eigentlich brannte es ringsumher, und das Feuer tobte. Es war die reinste Hölle.

    In unserer Wohnung lagen die meisten Fensterscheiben zersplittert auf dem Boden, sodass der Funkenflug in die Zimmer dringen konnte. Meine Mutter und ich, wir rissen die restlichen Gardinen von der Stange und schlugen mit nassen Handtüchern auf alles, was sich hätte entzünden können. Zum Glück stellte jeder bei Alarm mindestens einen vollen Wassereimer in seiner Wohnung auf. Das war Pflicht.

    Ich litt unsäglich unter der Rauchentwicklung und vor Erschöpfung. Ich atmete schwer, meine entzündeten Augen brannten, deshalb stülpte ich mir meine Gasmaske über, nahm Kissen und Decke mit in den Keller, wo ich auf dem harten Boden in tiefen Schlaf fiel. Es war der Moment, in dem einem alles egal ist. Übrigens, ich hatte in jener Nacht alle meine Spielkameraden und Freunde durch Tod oder Flucht aus den brennenden Häusern verloren und sah sie nie wieder.

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