Ein schmales Buch, ein großes Buch! Dieser junge Mann ist die Zukunftshoffnung des lesenden Deutschlands, der lesenden Deutschen. Betonung auf beidem: Deutsche und Leser. Heutzutage keine selbstverständliche Paarung mehr. Der Literaturbetrieb ist so im Griff der Erziehungsjakobiner, dass es dem normalen Landsmann graust und er aufs Internet ausweicht, sich das Hirn mit Clips zertrümmert. Ein Fehler, Kamerad! Mach mal den Kasten zu, und hol’ diese Novelle raus. Sind nur 130 Seiten, das schafft man in einer Nacht!
Zierke ist wie eine Frischzellenkur. Es sind nicht nur die Sätze, die man liest – es ist auch das Blitzgewitter, was sich gleichzeitig und danach im Kopf abspielt. Tatsächlich: Man beginnt wieder zu denken, wird philosophisch – aber ganz nebenbei, denn Zierke schreibt ja Military-Sci-Fi.
Ein Zukunftsroman also? Vordergründig nicht. Es geht um Aufstandsbekämpfung in der Art des 20. Jahrhunderts. Ohne Laser und Schnickschnack, Karabiner und MG genügen. Der 28-jährige Autor, lange Zeitsoldat und dann bei der „Deutschen Militärzeitung“ beschäftigt, kennt die Schießgeräte jeden Kalibers aus dem Effeff.
Die Handlung: Ein Kreuzer irgendwo in der Südsee, ein Vorposten, eine geheimnisvolle Rebellenarmee. Deren Stützpunkte finden, ausräuchern. Schlachten mit gegnerischen Schiffen. Treffer, versenkt! Die obligatorische Zigarette danach. Kameradschaft. Scheuer Augenkontakt mit der Feuerleitoffizierin. Disziplin. Gehorsam.
Zukunftsroman nur insofern: Obwohl die Protagonisten alle deutsche Namen haben, gibt es Deutschland nicht mehr. Die Rede ist nur vom „jungen Staat“. Nach dem „Großen Krieg“ der Vergangenheit muss er in endlosen Kämpfen an Gestaden mit exotischen Namen weiterkämpfen. Muss? Zu welchem Zweck? Das bleibt unklar. Der Held beginnt zu zweifeln. Was heißt Patriotismus? Reichen die Sekundärtugenden, wenn das primäre Ziel nicht klar ist?
In der Sezession wurde „Enklave“ mit Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ verglichen. Kann ich als Jünger-Muffel nicht beurteilen, bringt aber eh nur rechtes Publikum auf den Geschmack. Christian Kracht, den Götz Kubitschek ebenfalls als Referenz anführt – ja, da ist was dran. Am meisten überzeugt seine Parallele zu Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“, der ebenfalls eine Expedition an die Grenzen des – damals britischen – Imperiums zum Inhalt hat.
Aber es gibt populärere Beispiele, bei denen sich Zierke offensichtlich bedient hat und mit denen man den Zehntausenden, die „Enklave“ als Leser verdient hätte, Appetit machen kann. In erster Linie „Das Boot“ von Lothar-Günther Buchheim, der das raue Soldatische ebenso anziehend schildert wie den Krieg als solchen verabscheut. Oder „Apocalypse Now“, einer freien Leinwand-Adaption von „Herz der Finsternis“: Wie bei Coppola trifft auch bei Zierke der Held auf einen Rebellenchef, der früher in den eigenen Reihen gekämpft hat, dann flüchtete und in der Wildnis eine archaische Aussteigerkommune gründete: Hippies mit scharfen Waffen, an den Rändern der Enklave lodert der Wahnsinn.
Hat dieser legendäre Khyber recht getan – oder muss die Zivilisation ihn und seine Jünger plattmachen? Zierke lässt die Antwort offen, und setzt genau damit, wie jede gute Literatur, das Nachdenken beim Leser in Gang. Der Wechsel zwischen packenden Kampfszenen und der trägen Melancholie, die die formierte Gesellschaft des „jungen Staates“ provoziert, schafft die geistige Spannung, die einen aus dem Lockdown holt.
Von Zierke wird man noch hören. Eigentlich ist das auch Stoff für einen großen deutschen Film. Welcher Regisseur traut sich? Jedenfalls Chapeau dem Jungeuropa-Verlag, der den Schatz schon mal gehoben und in einer sauber editierten Fassung unter die Leute gebracht hat. Hier bestellen.
Ein junger Offizier erhält von der Obrigkeit den Auftrag, bewaffnete Dissidenten zu jagen, die sich auf einer abgelegenen Insel versteckt halten. Nach und nach kommt er dahinter, dass die Rebellengruppe um Oberst Khyber ein Geheimnis aufgedeckt hat – und sich nun gegen das System stellt. Dieses System, die Welt in Enklave, ist kriegerisch und gefährlich. Im ewigen Kampf kann sich nur beweisen, wer den »Kodex« befolgt und im Krieg das große Abenteuer statt den großen Zerstörer sieht.
Am Ende wartet der verheerendste aller Gegner – die eigene Überwindung.
Mit »Enklave« legt Volker Zierke sein Erstlingswerk vor und vermengt dort seine militärischen Erfahrungen mit Science-Fiction und jungeuropäischer Utopie.