Gestern starb im Alter von 81 Jahren der Regisseur und Kameramann Joseph Vilsmaier. Wie kaum ein Zweiter suchte er in den vergangenen 32 Jahren die cineastische Auseinandersetzung mit dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs. In der aktuellen COMPACT 02/2020 lesen Sie im Gustloff-Dossier auch einen Abschnitt über Vilsmaiers TV-Version der Tragödie, der hier – in leicht veränderter Form – wiedergegeben wird:

    Vilsmaiers filmischer Zugang zum Zweiten Weltkrieg erinnert an den früheren Regisseur Frank Wisbar. Auch bei ihm dominieren Frauenperspektiven. Bereits Vilsmaiers Debüt, „Herbstmilch“ (1988) beleuchtet das Sichdurchkämpfen einer einfachen Bäuerin während der Kriegsjahre. Das Biopic „Marlene“ (2000) schildert den Zweiten Weltkrieg aus der Perspektive der Exilantin Marlene Dietrich. „Comedian Harmonists“ (1997), „Leo und Claire“ (2001) sowie „Der letzte Zug“ (2006) thematisierten die Judenvernichtung. Mit “Stalingrad“ (1993) griff der Münchener Regisseur einen Wisbar-Stoff („Hunde, wollt ihr ewig leben“, 1959) direkt auf. Auch Vilsmaier interessiert primär das Leid, in das der Krieg die Menschen stürzte – kaum verwunderlich, dass er 2008 auch „Die Gustloff“ als aufwendig inszenierten Zweiteiler ins TV brachte.

    Star des Films ist das – digital unterstützte – Schiffsmodell – eine Parallele zur Titanic: Hollywood-Regisseur James Cameron hatte deren Schicksal zwölf Jahre zuvor als Megablockbuster für die Leinwand adaptiert. Damals neuartige Spezialeffekte rissen das Publikum in ihren Bann, verursachten einen gigantischen Hype. Seitdem wird jedes Schiffsdrama an ihm gemessen.

    Vergessenes Leid: Tausende ließen ihr Leben in der eisigen Ostsee. Szene aus der ZDF-Dokumentation «Die Gustloff» (2008). Foto: ZDF

    Alles beginnt mit der Ankunft des zivilen Kapitäns Hellmuth Kehding in Gotenhafen. Um ihn herum zermürbte, hungernde Frauen, frierende Kinder. Bald kommt es zum Streit zwischen Kehding und der militärischen Führung. Man zwingt ihn, die Überfahrt der «Gustloff» ohne Geleitschutz anzutreten. Ein verschlüsseltes Telegramm lässt einen Sabotageakt vermuten. An Bord herrscht eine vergiftete Atmosphäre des Misstrauens. Schließlich schalten die Militärs, aufgescheucht durch eine falsche Warnung, die Positionslichter der «Gustloff» ein – damit wird der Dampfer zur Zielscheibe eines russischen U-Boots.

    Torpedos schlagen ein. Die Passagiere drängen in die Rettungsboote, stürzen ins Meer. Vergeblich versucht Kehding, Eingeschlossene zu retten… Am nächsten Morgen fallen die ersten Sonnenstrahlen auf im Wasser schwimmende Leichen, Koffer und Kinderspielzeug. Während man in Swinemünde noch die Toten aufbahrt, selektieren Soldaten bereits die Überlebenden: Die Jüngeren kommen ins letzte Aufgebot. Die Offiziere der «Gustloff», verantwortlich für die Katastrophe, bleiben ungestraft.

    Wie in „Nacht fiel über Gotenhafen“ (1960) ist das Leid deutscher Zivilisten das Ergebnis eines Bumerang-Effekts: Marinehelferin Erika erklärt ihrem Verlobten: «Wir lassen die ganze Welt bluten, hat mein Vater gesagt. Aber der Krieg kommt zu uns zurück, und dann bezahlen wir für alles.» Dennoch lassen beide Filme keinen Zweifel, dass die Tötung von Zivilisten nicht als Kollektivstrafe abzuhaken ist.

    Das Magazin Stern unterstellte in einer Rezension, Vilsmaier präsentiere die Flüchtlinge der «Gustloff» als Mikrokosmos der NS-Gesellschaft. Dabei betreibe er Schönfärberei: «Auf Vilsmaiers Nazi-Traumschiff wird jede negative Figur durch eine positive neutralisiert (…) Sorgfältig verteilt Vilsmaier sein Nazi-Gegengift über alle Hierarchien und verrechnet das böse Deutsche restlos mit dem guten.» Kein Wort über Wehrmachtsverbrechen und Holocaust, denn: «Die Opferrolle ist schon von deutschen Zivilisten besetzt» (siehe Infobox). Ein unfaires Urteil – besonders angesichts Vilsmaiers Gesamtwerks.

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    Autor Jonas Glaser arbeitete vor Jahren als Komparse bei Vilsmaier. Dabei fiel ihm die äußerst temporeiche Arbeitsweise des Regisseurs auf: Kaum ein Kollege, der so schnell eine Szene arrangieren und abdrehen ließ, der am Ende des Tages so viel Material belichtet hatte.

    Dieser Artikel erschien im COMPACT-Magazin 02/2020. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form hier bestellen.

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