Ab Februar 1941 verstärkte die Abteilung Fremde Heere Ost ihre Aufklärung. Grund waren unter anderem Informationen über das „teilmobile russische Kriegsheer“. Teil 3 unserer Reihe zum Unternehmen Barbarossa. Mehr dazu lesen Sie in der bahnbrechenden Dokumentation Die Aufklärung der Bedrohung aus dem Osten, die Sie hier bestellen können.

    _ von Bernd Schwipper

    Lesen Sie auch Teil 1 und Teil 2.

    3. Die Verhärtung der politischen Positionen

    Die Forderungen Stalins, durch Molotow am 12./13. November 1940 vorgetragen, zeigten erneut dessen weitreichende geopolitischen Absichten und bestätigten Hitlers Misstrauen, von seinem sogenannten Partner hintergangen zu werden.

    Von besonderer Brisanz für Deutschland waren die in Bezug auf die Nordflanke (Finnland, Spitzbergen, Baltikum, Ostseeausgänge) und die Südostflanke (Bulgarien, Rumänien, Donau und andere mehr) anmaßenden Forderungen, da die Meldungen aller Aufklärungsorgane bereits weitreichende Aktivitäten der Sowjetunion in Skandinavien und auf dem Balkan bestätigten. Und auch die verdächtige Massierung der Verbände der Roten Armee in den Grenzmilitärbezirken sowie die erkannte Bedrohung durch die russischen Luftstreitkräfte konnten nun nicht mehr ohne Reaktionen bleiben.

    Stalins Chemie-Waffen

    Die vom General der Nebeltruppen am 12. Dezember 1940 vorgelegte Meldung über die in der Sowjetunion vorhandenen 45 Anlagen mit 150.000 Angestellten zur Herstellung chemischer Kampfstoffe sowie die Schaffung entsprechender Organisationsstrukturen vom Schützenregiment bis zum Korps, die vorgelegte Übersicht über die Heeresstärken in Ost- und Südosteuropa, die Aufklärung von im Raum Kiew-Bessarabien konzentrierten 49 Divisionen der Roten Armee, die Meldungen über die am 3. November 1940 im Raum Athen gelandeten Vorkommandos der britischen Armee und weitere Meldungen vertieften den Verdacht eines Zusammengehens Stalins mit England und bestätigten die in der Rede Hitlers vom 19. Juli 1940 genannten Versuche zur Einkreisung Deutschlands durch Eröffnung einer Nord- und einer Südfront.

    Kolonne von Motorrad-Gespannen der Wehrmacht in Russland. Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-078-3076-16A / Fischer / CC-BY-SA 3.0

    Angesichts der Nichterfüllung der in die Gespräche mit Molotow gesetzten Erwartungen sowie der letzten Meldungen über die gefährliche Entwicklung im Osten, in Skandinavien und auf dem Balkan wurden weitere Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit des Deutschen Reiches im Osten erforderlich.

    Dennoch belegt die Weisung Nr. 21 vom 18. Dezember 1940 bereits mit dem ersten Satz: „Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein (…)“ die Absicht Hitlers, zunächst weitere „Vorsichtsmaßnahmen“ für den Fall einzuleiten, „dass Russland seine bisherige Haltung gegen uns ändern sollte“. Diesen Entschluss, den Hitler in seiner Weisung von der weiteren Haltung der Sowjetunion abhängig machte, kann man nur als einen „bedingten Entschluss“ und keinesfalls als unabänderlich bezeichnen.

    Aufmarsch der Divisionen

    Die durch die Aufklärungsorgane der Wehrmacht im Monat Januar 1941 vorgelegten Meldungen, so das 243-seitige Handbuch über die Kriegswehrmacht der UdSSR, dem die Oberkommandos der Wehrmacht und des Heeres eine grundlegende Bedeutung bei der Beurteilung der Roten Armee beimaßen, stellten bereits 161,5 Berechnungsdivisionen in den westlichen Militärbezirken fest.

    Eine Fülle weiterer Aufklärungsangaben, so Luftbildaufnahmen über die durch die 4. Armee der Heeresgruppe B überwachten Grenzabschnitte bis zu einer Tiefe von circa fünf bis sieben Kilometer von taktischer Bedeutung, die Information über die Rote Armee vom 15. Januar 1941, die den Fortbestand einer gefahrdrohenden Situation bewies (120,5 Divisionen in der Grenzmilitärbezirken, 161,5 in den westlichen Militärbezirken der UdSSR gegen 32 Divisionen der Wehrmacht), Funklagemeldungen des Kommandeurs der Horchtruppen Ost, unter anderem die zusammenfassende Meldung vom 31. Januar 1941, vor allem die Meldung über die grenznah entfaltete Offensivgruppierung der Fliegerkräfte der Roten Armee und viele weitere Informationen sowie eingedenk der durch Molotow dargelegten politischen Forderungen Stalins zwangen zum Erlassen der Aufmarschanweisung für Barbarossa vom 31. Januar 1941.

    Grafik: Bernd Schwipper

    Der Inhalt der Aufmarschanweisung belegt die vollständige Aufklärung dieser Gefährdungslage im Osten, aber mit der Formulierung: „Die deutsche Wehrmacht muss darauf vorbereitet sein, (…)“ auch, dass nur die Vorbereitung auf diesen Feldzug befohlen war, noch nicht dessen Durchführung.

    Verstärkung der Aufklärung

    Dennoch, das aufgeklärte Hitler und der Wehrmachtführung bekannte Kräfteverhältnis im Osten, 1 zu 3,76 (Truppen in den Grenzmilitärbezirken) beziehungsweise 1 zu 5,04 (Truppen in den westlichen Militärbezirken der Sowjetunion), musste als ernsthafte Gefährdung empfunden werden und erforderte Maßnahmen zur Sicherung des Deutschen Reiches, auch wenn die etablierte Geschichtsschreibung diese Zusammenhänge negiert.

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    Allerdings lieferte nicht jede Information über die Rote Armee genaue Angaben. So lag die Meldung des Militärattachés aus Tokio weit unter den tatsächlich in Fernost stationierten Kräften der Roten Armee. Eine Lagebeurteilung, die durch die Aufklärungsinformation vom 15. Januar 1941 korrigiert wurde. Immerhin aber wurde durch diese Meldung bekannt, dass eine strategische Umgruppierung der Kräfte aus Fernost nach Mitteleuropa zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen hatte.

    Der Vortrag Halders vor Hitler vom 2. Februar 1941, in dem er sich mit der Bemerkung „2. Feind: a) Nachrichten nicht erschöpfend, nicht zuverlässig“, kritisch über die Aufklärungsergebnisse der Wehrmacht im Osten äußerte, war offenbar ausreichender Anlass, eine verstärkte Aufklärung im Osten zu organisieren, wie die Vielzahl der im Monat Februar 1941 vorgelegten Aufklärungsdokumente belegt.

    Besorgnis über russische Luftwaffe

    Bei jeder Besprechung Hitlers mit den Oberkommandos der Wehrmacht beziehungsweise des Heeres wurde nunmehr der anwachsende und zunehmend bedrohlicher werdende Aufmarsch der Roten Armee Gegenstand der Lagebeurteilung.

    So äußerte Hitler am 17. Februar 1941 seine Betroffenheit über Nachrichten über die russische Luftwaffe. Offenbar hatte er den Inhalt des Orientierungsheftes des Oberbefehlshabers der Luftwaffe über die russische Luftwaffe vom 1. Februar 1941 zur Kenntnis genommen, in dem sehr detailliert und mit genauen Angaben, so in der Karte über die in Grenznähe entfaltete dichte Gruppierung der russischen Luftstreitkräfte (siehe nebenstehendes Dokument) berichtet wurde.

    Die nunmehr regelmäßig vorgelegten Meldungen der Fremden Heere Ost, des Kommandeurs der Horchtruppen Ost, so unter anderem Funklagemeldungen mit immer genauer werdenden Angaben, Informationen der Heeresgruppe B über das „teilmobile russische Kriegsheer“, die Operative Studie über den Südraum, die zwar erkannte, dass die Hauptrichtung der Roten Armee nunmehr die Südwestrichtung wurde, aber dennoch, bezugnehmend auf Abwehrmeldungen, eine ernsthafte Bedrohung Rumäniens und des Erdölgebietes von Ploesti für wahrscheinlich hielt, die Feindlagemeldung der 4. Armee, die die Zunahme der Konzentration von Verbänden der Roten Armee im Kiewer Besonderen Militärbezirk, das heißt, in der Südwestrichtung bestätigte, und weitere Dokumente erforderten die nunmehr unumgänglich gewordene Notwendigkeit der Verlegung weiterer Divisionen nach dem Osten.

    Auch die schnell sich zuspitzende Lage in Skandinavien (die zunehmende Gefahr englischer Stör- und Landungsunternehmen in Norwegen und die Vorbereitung russischer Unternehmungen gegen Finnland) sowie auf dem Balkan (russische Versuche zum Ausbau Bulgariens als Brückenkopf, die Verlegung englischer Flugzeuge großer Reichweite, die Ploesti bedrohten) und viele weitere Ergebnisse der deutschen Aufklärung, so unter anderem die Meldungen der Abwehr, die ein Zusammengehen sowjetischer und britischer Geheimdienste vermuten ließen, erhöhten die mögliche Notwendigkeit einer militärischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion.

    Wird fortgesetzt.

    _ Dr. rer. mil. Bernd Schwipper (*1941) ist Generalmajor a. D. der NVA und Militärhistoriker. Er war unter anderem Stabschef einer Division und Kommandeur der 3. Luftverteidigungsdivision der Nationalen Volksarmee. 1977 Promotion zu einem militärwissenschaftlichen Thema, 1990 Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst; seitdem als Autor zu militärhistorischen Themen tätig. Der Experte auf dem Gebiet des Zweiten Weltkriegs ist verheiratet und hat einen Sohn.

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