In den 1930er Jahren schuf die Populärkultur ihre Superhelden zur Rettung einer chaotischen Welt: Superman, Batman oder Captain America. Darunter auch eine Frau: Seit genau 80 Jahren schützt „Fantomah“ den Dschungel vor der Destruktivität westlicher Zivilisation.

    Im 19. Jahrhundert sehnten sich zahlreiche Menschen nach einem Update. Die Aufklärung hatte den Himmel leergeräumt, aber ohne metaphysische Prothese wirkte der Mensch hilflos. Der Verlust schrie nach Kompensation. Irgendwie. Ludwig Feuerbach hatte eine Idee: Bisher habe der Mensch seine guten Eigenschaften in diverse Götter hineinprojiziert, er „schuf Gott nach seinem Ebenbild“. Hat der Mensch das erst begriffen und das in ihm angelegte „göttliche“ Potenzial erkannt, brauche er keine metaphysischen Hilfskräfte mehr. Dann meistert er sein Leben im Alleingang…

    Friedrich Nietzsche, 1882 (Photographie von Gustav Adolf Schultze). Wikimedia Commons, Gemeinfrei. CC0.

    Aber Karl Marx fand ein zusätzliches Hindernis: Die kapitalistische Ökonomie unterdrücke das humane Potential. Wäre die die klassenlose Gesellschaft erst etabliert, stehe dessen Verwirklichung nichts mehr im Wege. Auch die Sinnfrage verblasse im erfüllten Erdenleben. Dann werde die Welt zum Paradies. Das leuchtete nicht jedem ein. So glaubte Friedrich Nietzsche, der Mensch könne den Verlust Gottes nur überstehen, wenn er zum „Übermenschen“ emporsteige. Er müsse diese evolutionäre Beförderung bloß vorbereiten – die Realisation werde schon folgen. Das stand im Einklang mit dem Genie-Glauben jener Zeit: Dem bürgerlichen Kult um das große Individuum, das sich und die Welt neu schafft, neu definiert. Dabei bräuchten nicht alle Menschen den Genie-Status zu erreichen. Ein Dutzend pro Generation reiche aus, um die Welt zu tragen.

    Der Super-Präsident

    In Konkurrenz dazu standen Sozialdarwinisten und Rassentheoretiker, die ihren Prototyp durch genetische Zuchtwahl destillieren wollten. Beide, Marxisten und Rassenphantasten, versuchten im Europa des 20. Jahrhunderts die Realisation ihres „neuen Menschen“ mittels Politik. Ergebnis: perverse Diktaturen und Massenvernichtung. Auch in Amerika brach sich der Engineerings-Wille Bahn. Allerdings weniger in der Politik als in der Populärkultur. Der Startschuss fiel im Moment größter Hilflosigkeit, Anfang der 1930er: Die wirtschaftliche Depression hielt das Land in seinen Klauen. 1933 versprach Präsident Franklin D. Roosevelt der Bevölkerung einen New Deal.

    Hollywood spielte propagandistische Begleitmusik mit der Komödie „Gabriel over the White House“ (1933): Der US-Präsident verspürt nach einer Nahtod-Erfahrung ungeheure Durchsetzungskraft, ruft sich zum Diktator aus und repariert das Land im Alleingang: der Übermensch im Weißen Haus. Parallel dazu experimentierten Comic-Zeichner Jerry Siegel und Joe Shuster mit einer Heldenfigur, die übermenschliche Kräfte besitzt. Unverwundbar ist ihm nichts unmöglich. Einige Jahre später fand sich ein Verleger, der das Resultat unter dem Namen „Superman“ (1938) publizierte. Kurz darauf zog „Batman“ (1939) nach. Mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg gab es kein Halten mehr: Ab 1941 sorgte Superheld Captain America für militärische Verstärkung. Gemeinsam mit Superman und Batman verdrosch er Nazis und Stalinisten, Wehrmacht und Rote Armee. Diese Bildgeschichten erinnerten an altrömische Legenden, wonach Götter an Seiten der Legionäre gekämpft hätten.

    Und was war mit den Mädels? Brauchten die nicht auch Super-Ikonen zum Aufbau eines positiven Selbstbildes? Der Psychologe und Feminist William Moulton Marston beklagte bereits Anfang der 1940er die Abwesenheit weiblicher Superheldinnen in US-Comics: Ein schrecklicher Fehler, da Frauen den Männern moralisch überlegen seien. Seine Ehefrau Elisabeth Marston entwarf daraufhin die Figur der Wonder Woman (1941). Allerdings hatte der Psychologe nicht gründlich recherchiert. Denn seit 1940 züchtigte Fantomah bereits die Bad Boys dieser Welt. Ihr Erfinder war der Exzentriker Fletcher Hanks, zu dessen Fanclub auch Starzeichner wie Will Eisner, Art Spiegelman oder postmoderne Autoren à la Kurt Vonnegut zählen.

    Fantomah gegen die Zivisation

    Im Gegensatz zu Super- oder Batman war Fantomahs Schutzrevier keine Metropole, sondern der Dschungel. Wie Tarzan schützte sie Flora und Fauna vor Forschern oder Jägern, verteidigte Eingeborene und deren Heiligtümer. Fantomah besaß Superkräfte, beherrschte alle psychokinetischen Kampfmittel. Ihr Wille ließ Blitze einschlagen und hob die Schwerkraft auf. Dank telepathischer Intuition kannte die Superfrau sämtliche Dschungel-News und flog auf ihren „Gedankenwellen“ zu jedem Ort. Fantomahs Outfit entsprach dem Zeitgeist: langes, onduliertes Haar, schwarzes Trikot und durchsichtiges Cape. Zwar kämpfte sie wie ihre männlichen Kollegen für das Gute, behielt als weiblicher Magier aber einen Schuss Wildheit. In Momenten der Wut wandelte sich ihr Anlitz zum Totenschädel. Auch besaß sie keine zweite, bürgerliche Identität wie Superman als Reporter Clark Kent. Nein, der Dschungel verlangt keine Persönlichkeitsspaltung, kein Tragen von Masken.

    Ihre Gegner waren keine Geldraffer, die wollten sich nicht bereichern. Wie der Joker in den Batman-Comics handelten sie aus purer Destruktionslust. Ihr Ziel lautete: Vernichtung des Dschungels oder ihrer Bewohner, motiviert durch übersteigerte Rache-Projektion. So träumte ein Wildjäger vom Dschungelgenozid, weil wütende Tiere ihn zum Krüppel gebissen hatten. Nicht Gier, sondern Nihilismus ist in Superhelden-Comics das Hauptproblem westlicher Zivilisation. Die Gegner der Dschungel-Queen besaßen hohen Erfindungsreichtum, kreierten Maschinen und Mutationen, deren Bekämpfung tatsächlich Superkräfte verlangte: Fantomah verprügelte Riesendrachen aus der Züchtung eines Mad Scientists, um ihn zuletzt via Meteorit ins Weltall zu schießen. Oder: Ein Findelkind wurde von einer Riesen-Mamba adoptiert. Versehentlich futtert es Drogenbeeren, mutiert zum Scheusal und terrorisiert die Wildtiere, bis Fantomah es zur Vernunft bringt. Je haarsträubender die Story, so eindringlicher ihre Symbolsprache.

    Fantomah Comic (1940). Bild: Wikimedia Commons, Gemeinfrei. CC0

    Wie bei „Tarzan“ sticht in „Fantomah“ die frühe ökokritische Perspektive hervor: Die westliche Zivilisation, vertreten durch „weiße Männer“, bringt lediglich Unterwerfung und Destruktivität. Die Urwaldbewohner hingegen leben in friedlichem Einklang mit Pflanzen und Tieren. Jedoch – gestoppt werden kann das Unheil lediglich durch eine Frau! Die ist zwar weiß pigmentiert, aber als Magierin keineswegs westlich geprägt. Ein weiterer Fletcher Hanks-Comic, „Tabu“, bestätigt diese Konzeption: Darin hat der Dschungelheld seine Superkraft von einem farbigen Magier erhalten. Zauberkraft steht also für Naturvölker. Damit hat der Zeichner allerdings kaum den Öko-Feminismus vorweggenommen. Mögen Hanks Biographie, seine Vorbilder und Lektüren fast unbekannt sein: Die „Fantomah“-Ideologie zeigt große Nähe zu Europas romantischen Reformbewegungen. Deren vielleicht bekanntester Vertreter, Ludwig Klages, erklärte die menschliche Ratio, das Ich, zur evolutionären Katastrophe: Der Geist verwandele den Menschen in einen Selbst- und Naturzerstörer. Am schlimmsten sei diese Ratio und deren Frucht, die Technologie, im Westen ausgeprägt. Dagegen stünden matriarchalische Stammeskulturen und deren Seelen-Primat mit der Natur weitreichend im Einklang. Der Marxist Ernst Bloch verlachte Klages als „kompletten Tarzanphilosophen“. Nun, „Fantomahphilosoph“ hätte noch besser gepasst.

    „Fantomah“ war kein langes Comic-Dasein beschieden. Die erste Folge erschien im Februar 1940, die letzte im März 1941. Danach gab Hanks das Comiczeichnen schlagartig auf. Die Gründe dafür sind unbekannt.

    Helden, das sind heute jene Menschen, die sich trauen, gegen den Mainstream zu sprechen. Einer von ihnen ist zugleich Deutschlands größter Sänger: Xavier Naidoo. Sie möchten den Mannheimer Star einmal jenseits der Verzerrung durch Mainstream-Medien kennenlernen? Dann bestellen Sie jetzt die große Naidoo-Biographie als COMPACT-Edition. In wenigen Tagen liefern wir aus:


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    Inzwischen ist das Gesamtwerk des Comiczeichners Fletcher Hanks (1887-1976) als Reprint wieder lieferbar. In deutscher Sprache gibt es eine Auswahl: „Perlen der Comicgeschichte. Band 3: Fletcher Hanks‘ bizarre Comic Kunst“ Gebundene Ausgabe, Bildschriftenverlag Hannover, 2017.

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