Am 4. November 2011 enthüllten Staat und Medien das NSU-Konstrukt. COMPACT hat immer mit eigenen Recherchen dagegengehalten. Wir präsentieren zum 10. Jahrestag die Highlights unserer Recherchen zum Thema. Heute: Das Geheimdienstphantom. COMPACT-Edition veröffentlicht die Geheimakten zum NSU – hier bestellen.

    _ von Jürgen Elsässer

    Beate Zschäpe tanzt. Im Sommer 2011 ist sie im Urlaub auf Fehmarn und beteiligt sich mit zwei Dutzend anderer Touristen am öff entlichen Fitnesskurs in Sichtweite der Ostsee. Eine Kamera des NDR hielt die Szenen fest, Anfang April 2013 gingen die Aufnahmen über den Sender. Halb Deutschland schaute zu, und viele fragten sich: Ist das wirklich die gefährlichste Frau der Republik, die Staatsfeindin Nummer 1? Die damals 36-Jährige habe das Fernsehteam gut sehen können, erläuterte der NDR den Hintergrund der Aufzeichnung.

    «Wir standen schon lange vor Beginn der Kursstunde mit unserer Kamera am Strand», erinnerte sich der Autor des Inselporträts. «Es wäre leicht gewesen, einfach wieder zu gehen.» Doch Zschäpe, die zu diesem Zeitpunkt seit 13 Jahren im Untergrund lebte, blieb und ließ sich fi lmen. Von Befangenheit, von Angst, von Konspiration keine Spur. Warum zeigte sie sich so sorglos vor einer TV-Kamera? Was machte sie so sicher, dass das nicht zu ihrer Verhaftung führen würde? Wusste sie, dass ihr nichts passieren konnte, weil sie von der Staatssicherheit gedeckt wurde? War sie selbst eine V-Frau, eine Agentin?

    Der Verdacht wurde erstmals öffentlich geäußert im Gutachten, das unter anderen Dr. Gerhard Schäfer, ein ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, über das «Verhalten der Thüringer Behörden und
    Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des „Zwickauer Trios“» im Auftrag der Landesregierung verfasst und am 14. Mai 2012 vorgelegt hat. In der 273-seitigen Expertise taucht der Hinweis an vier Stellen auf. So wird auf Seite 121 von einem Gespräch mit den Eltern von Uwe Mundlos am 18. März 1998 berichtet: «Im Verlauf des Gesprächs äußerte der Vater, er habe einen handgeschriebenen anonymen Brief erhalten. Danach sei die Beate
    Zschäpe vermutlich eine Informantin des Verfassungsschutzes und werde dafür bezahlt.» Auf Seite 247 ff . wird
    der Bericht des späteren Leiters der Zielfahndung nach dem Trio behandelt, abgefasst am 14. Februar 2001.

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    Darin steht: «Die Befragung von Kontaktpersonen und Familienangehörigen führte zu dem Schluss, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der gesuchten Personen als „Quelle“ durch den Verfassungsschutz geführt wurde.» Zwei weitere Hinweise folgen. Gutachter Schäfer referierte diese Erkenntnisse, hielt sie aber letztlich
    für unzutreffend. Der ehemalige Bundesrichter begründete dies mit der Prüfung der Klarnamen aller V-Leute des thüringischen Verfassungsschutzes, die ihm die Behörde erstmals ermöglicht hatte. Doch bereits drei Wochen später erwies sich seine Entwarnung als voreilig: Es stellte sich heraus, dass auch andere Landesverfassungsschutzämter, die Bundesbehörde und der Militärische Abschirmdienst Informanten im Netz des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) platziert hatten. Ob darunter Zschäpe oder ihre beiden Kompagnons Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos waren, wird sich anhand der Akten des Inlandsgeheimdienstes kaum mehr klären lassen: Die Unterlagen der «Operation Rennsteig» waren bereits im November 2011 in einer großangelegten Schredder-Aktion vernichtet worden.

    Siegfried Mundlos, der Vater des angeblich durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Rechtsextremisten, ist bis heute überzeugt, dass Zschäpe «schon in den neunziger Jahren» für die Dienste arbeitete. «Ich bin gespannt, ob sie sauer auf mich ist – und ob sie im NSU-Prozess zu mei- nen Beobachtungen Stellung nehmen wird», sagte er Anfang April 2013 im Gespräch mit COMPACT.

    «Als mein Sohn Beate kennenlernte, war sie eher links», erinnert sich der emeritierte Professor. Im letzten Jahr der DDR schließt sich die 14-Jährige einer Gang an, die sich den programmatischen Namen «Die Zecken» gegeben hat – so nennen die Rechten bis heute alle, die nach Punk, Links und Antifa aussehen. Die Teenager
    kommen aus der Jenaer Plattenbausiedlung Winzerla, einige haben die Haare schrill gefärbt – die letzten Monate des Arbeiter- und Bauernstaates lassen dissidente Biotope sprießen. «Die Zecken» haben geplant, einen «Glatzentreff» zu überfallen, auch Zschäpe will dabei sein, um ein paar Rechte «zu klatschen».

    An ihrer Einstellung ändert sich auch nach der Wende zunächst nichts. 1991 wird Beate Zschäpe oft in der Disco Kassablanca gesehen. Dort tanzt sie zu Reggae, Punk und Ska, zusammen mit vielen anderen meist links eingestellten Heranwachsenden. In dieser Zeit lernt sie den zwei Jahre älteren Uwe Mundlos kennen, die beiden werden ein Liebespaar und verloben sich sogar. Doch die unterschiedliche politische Einstellung führt oft zu Streit. «Zieh dir bitte andere Klamotten an», fordert die selbstbewußte junge Frau ihren Freund auf, wenn sie abends ins Kassablanca ziehen. Mit Springerstiefeln und Bomberjacke will sie ihn nicht mitnehmen.

    Doch im Laufe der nächsten zwei Jahre driftet auch Beate Zschäpe nach rechts. Das mag mit der intellektuellen Dominanz zu tun haben, die der kluge Mundlos ausstrahlt, aber auch mit dem allgemeinen politischen Klima im wiedervereinigten Deutschland – Anfang der neunziger Jahre brennen zahlreiche Flüchtlingsheime, vor allem im Osten. Zschäpe schließt sich zusammen mit Mundlos der rechtsradikalen Jugendszene, der sogenannten Kameradschaft Jena, an. Bemerkenswert ist dennoch, dass sie ihr Erscheinungsbild nicht ändert: Wilde Mähne, Jeans, T-Shirt, Lederjacke – damit sticht sie in unter den Skinheads und ihren Nazi-Bräuten heraus. Nach Auskunft von Bekannten hielt sie sich politisch zurück. «Die wollte vor allem Spaß haben, auf Konzerte gehen und den Staat ein bisschen provozieren, wie die meisten unserer Leute damals. Ideologisch waren nur wenige drauf», erinnert sich einer der Gründerväter des Thüringer Heimatschutzes (THS) gegenüber COMPACT. Katharina König, Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag, kommt ebenfalls  aus Jena und hat Zschäpe anders erlebt. Sie habe 1995 als Teil einer rechten Prügelgruppe auf dem örtlichen  Weihnachtsmarkt Jagd auf Antifas  gemacht, dabei sei einem Mädchen  der Arm gebrochen worden. Die brutale Angreiferin sei Beate Zschäpe gewesen, so ihre Darstellung.

    Zschäpe (mit Freunden Böhnhardt, Mundlos, vermutlich 2009 an der Ostsee): Wegen Geldmangel für den Verfassungsschutz gejobbt? Foto: BKA

    In der zweiten Hälfte des Jahres 1992 stellt Mundlos seine Freundin seinem besten Kumpel Uwe Böhnhardt vor. Ein schwerer Fehler, wie sich erweisen sollte. Der damals erst 14-Jährige ist, ganz anders als der besonnene Mundlos, ein brutaler Haudrauf und begeht Einbruchsdiebstähle in Serie. Vor allem aber: Als Mundlos 1994 zur Bundeswehr eingezogen wird, spannt der Jüngere ihm die Verlobte aus. Oder ist es umgekehrt, geht der Partnerwechsel von Zschäpe aus? Dafür spricht, dass sie auch ansonsten nichts von sexueller Treue hält. Lebenshungrig wie sie ist, hat sie bereits 1991 eine weitere Bekanntschaft gemacht, die höchstwahrscheinlich ausschlaggebend nicht nur für ihre weitere Radikalisierung, sondern auch für ihre Kooperation mit dem Geheimdienst werden sollte: Thomas Starke. 1996/97 geht Zschäpe mit ihm einige Monate ins Bett, ohne dass eine «richtige» Beziehung daraus wird. Aber Starke bleibt mit ihr befreundet, und auch mit den beiden Uwes. Das
    Trio hat Starke im Knast «betreut», als er ab 1993 für zweieinhalb Jahre wegen schwerer Brandstiftung, Landfriedensbruch und gefährlicher Volksverhetzung einsaß. Starke revanchiert sich nun und besorgt den
    Dreien 1,1 Kilogramm TNT – damit legt er die materielle Grundlage für ihren Terrorismus. Nach ihrem Untertauchen Anfang 1998 organisiert er einen ersten Unterschlupf in Chemnitz und hält auch im Weiteren mit
    ihnen Kontakt. Als ein Funktionär der rechtsradikalen Blood & Honour-Bewegung ihm Anfang der 2000er Jahre eine Geldspende für die Gesuchten anbietet, entgegnet er, dass die Drei kein Geld mehr bräuchten, da sie nun «jobben« würden. (Das Parlament, 25.3.2013) Ist das eine Um-schreibung für ihre Banküberfälle, für ihre Morde? Ist der Begriff «jobben» flappsig gewählt – oder im Wortsinn, also als Übernahme von Kill-Aufträgen gegen Geld? Hat Starke das selbst eingefädelt?

    Dazu muss man wissen: Starke war ein Mann des Geheimdienstes. Spätestens seit dem Jahr 2000 wurde er bis 2011 vom Berliner Verfassungs- schutz als V-Mann geführt, Codename VP 562. Wichtige Unterlagen über seine Aufträge, unter anderem Treffen mit seinem V-Mann-Führer, sind spurlos verschwunden, was bei Bekanntwerden Ende 2012 zu Turbulenzen im Berliner Senat führte. Und nun die eigentliche Sensation: «Dem Vernehmen nach soll das Berliner Landeskriminalamt die Nichtweitergabe von VP-Informationen an andere Behörden damit begründet haben, dass ein ausländischer Geheimdienst mit der Beendigung der Zusammenarbeit gedroht habe. Diese Anweisung habe generell gegolten, nicht speziell für VP 562», schrieb der Tagesspiegel am 18. März 2013. Welcher «ausländische Geheimdienst» hielt seine schützende Hand über Thomas Starke und andere V-Leute im Umfeld des NSU-Trios?

    Mit angeblich einer rechten Prügelgruppe macht sie Jagd auf Antifas und bricht einem Mädchen den Arm.

    Zu klären bleibt, ob Starke schon vor dem Jahr 2000 für die Dienste arbeitete – also zu der Zeit, als er Zschäpe,
    Mundlos und Böhnhardt den Sprengstoff lieferte. Immerhin hatte bereits das Ministerium für Staatssicherheit
    der DDR auf ihn als Informanten zurückgegriffen…

    Die Zusammenarbeit Zschäpes mit den Behörden beginnt zweifelsfrei 1996. Als die Polizei in ihrer Wohnung Fotos von einer Kreuzverbrennung des Ku-Klux-Klans findet, an der sie teilgenommen hat, muss sie zur Vernehmung auf die Wache. Sie selbst beteuert ihre Unschuld, es sei bei dem Spektakel nichts Verbotenes
    gemacht worden. Aber sie verpfeift 18 ihrer rechten Kameraden, indem sie ihre Namen mit Kugelschreiber
    an den Rand des Fotos schreibt.

    Was hat sie dazu getrieben? «Sie hatte Geldsorgen», vermutet der Vater von Uwe Mundlos. Als einzige des Trios hat sie nicht nur keinen Job, sondern auch keine Unterstützung aus dem Elternhaus. Während die Akademikerfamilien Böhnhardt und Mundlos ihren Söhnen etwas zuschießen können, hat Zschäpe von ihrer
    alleinstehenden und verarmten Mutter nichts zu erwarten. Für eine Spitzeltätigkeit aber hat Helmut Roewer,
    der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, damals hohe Summen ausgelobt. Tino Brandt, der von Roewer beauftragte Kopf des Thüringer Heimatschutzes, soll 200.000 Mark bekommen haben… Neben der materiellen Notsituation lockt Zschäpe vielleicht auch ein Deal: Beweggrund für ihre Kooperation mit den Behörden soll«eine mögliche Strafmilderung für einen Verwandten gewesen sein», hieß es in einem anonymen Brief (Süddeutsche Zeitung, 6.12.2011). Last, not least fallen ihre Aussagen bei der Polizei mit dem Beginn ihrer Sex-Affäre mit Thomas Starke zusammen, dem – späteren? – Spitzel des Berliner Verfassungsschutzes mit ausländischer Geheimdienstprotektion.

    Dieser Artikel erschien im COMPACT-Magazin 05/2013. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form  hier bestellen.

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