Vor 500 Jahren war Deutschland in Aufruhr. Hirtenpropheten erscheinen wie aus dem Nichts und verkünden ein neues Reich Gottes, Verschwörer und Bauern entwickeln Visionen einer neuen Welt, die frei von Bedrückung ist. Weitere Kabalen und Intrigen enthüllen wir in der Geschichtsausgabe „Verschwörung und Skandale – Mätressen, Morde, Machteliten“ von Edelfeder Jan von Flocken. Hier mehr erfahren.

    _ von Alain Felkel

    Am 24. März 1476 geschah in Niklashausen im Taubertal etwas Ungewöhnliches. Vor der Kapelle des kleinen Ortes, der etwa auf halber Strecke zwischen Nürnberg und Heilbronn liegt, sammelte sich eine Menschenmenge um einen Jüngling auf einem riesigen, umgestürzten Fass.

    Der Halbstarke gebärdete sich wie toll. Er redete sich in Rage und predigte mit Inbrunst das Wort Gottes. Jeder kannte ihn. Er war kein Priester, sondern Viehhirte und hieß Hans Böhm. Bisher hatte er nur auf sich aufmerksam gemacht, indem er bei Kirchweihen gleichzeitig Einhandpauke und Flöte spielte.

    Der Pauker von Niklashausen

    Was war in ihn gefahren, plötzlich das Wort Gottes zu verkünden? Die Antwort, die Hans Böhm den Verwunderten gab, war verblüffend einfach: eine Vision. Im Traum war ihm die Heilige Jungfrau Maria erschienen. Sie hatte ihn ermahnt, von seinem sündigen Treiben zu lassen, die gesellschaftlichen Missstände anzuprangern und in bester chiliastischer Tradition die Ankunft eines neuen Gottesreiches zu verkünden.

    Die Antwort überzeugte die Menge, zumal der Pauker das Gesagte in die Tat umsetzte und als Symbol seiner inneren Wandlung sein Schlaginstrument verbrannte. Dann predigte er vom Zorn Gottes gegen die sittlich verkommene Priesterschaft. Unverblümt rief er zum rücksichtslosen Kampf gegen den Klerus auf.

    Hans Böhm als Prediger vor Wallfahrern mit Votivkerzen (Illustration aus der Echter-Chronik, 1. Hälfte 16. Jh.). Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Tollkühn verneinte er den Machtanspruch des Papstes, Gottes Stellvertreter auf Erden zu sein. Scharf griff er die weltlichen Autoritäten wie Fürsten und Adlige an. Er forderte seine Zuhörer dazu auf, die Obrigkeit abzuschaffen und sämtliche Steuerabgaben an kirchliche und weltliche Grundherren zu verweigern. Der rasende Rundumschlag des Paukers traf mitten in die Seele der Unterdrückten und erreichte die Herzen der Massen. Das Programm des Pauker wurde immer kühner, seine Predigten radikaler:

    „Die Geistlichen haben viele Pfründen, das soll nicht sein. Sie sollen nicht mehr haben als von Mal zu Mal. Sie werden erschlagen, und in Kürze wird es dazu kommen, dass der Priester sein kahles Haupt mit der Hand bedecken möchte, damit man ihn nicht erkennt. (…) Es kommt noch dazu, dass die Fürsten und Herren um einen Taglohn arbeiten müssen.“

    Reden wie diese verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Binnen weniger Tage liefen dem Pauker Tausende Bauern aus allen Teilen Deutschlands zu, bis ungefähr 40.000 in Niklashausen versammelt waren. Hans Böhm wurde zum Idol der Massen, zum Messias der Armen. Seine Vision einer nahenden Endzeit versprach der Mehrheit der Bevölkerung nicht nur Erlösung im Jenseits, sondern auch auf Erden. Seine Worte begeisterten Handwerker, Bergknappen, Bauern und Leibeigene, aber auch Ritter und kleine Kaufleute.

    Die verzückte Volksmasse solidarisierte sich. Alle begrüßten sich nur noch mit „Bruder“ oder „Schwester“. Jeden Tag vollbrachte der Hirtenprophet Wunder an Körper und Seele. Doch der Pauker von Niklashausen sah sich nicht als Wunderheiler, sondern als Revolutionär. Immer dringlicher forderte er, das Unrechtsregime von Fürsten und Klerus ein für alle Mal zu beenden.

    Ein derartiges Treiben konnte die Obrigkeit nicht länger tolerieren. Als die Predigten immer aufrührerischer wurden, ließ der Fürstbischof von Würzburg den Hirtenpropheten in einer Nacht- und Nebelaktion verhaften. Die Häscher verbrachten den Pauker in einen Kerker nach Würzburg, wo er nach sieben Tagen schwerster Folter öffentlich auf dem Schottenanger hingerichtet wurde.

    Bericht über den „Pauker von Niklashausen“ in der Schedelschen Weltchronik von 1493. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Damit hatte der Aufstand seine Seele verloren, was jedoch das Volk nicht daran hinderte, aus Niklashausen eine Wallfahrtsstätte und aus dem Pauker einen Heiligen zu machen. Die Obrigkeit unterband dies schnell. Erst durch Verbot der Wallfahrt, dann durch Einebnung der Kapelle und schließlich mit Hilfe einer Schrecklegende, die aus Hans Böhm einen trivialen Verführer der Massen machte. Mit dem Tod des Paukers von Niklashausen waren jedoch nicht seine revolutionären Ideen gestorben.

    Die Bundschuh-Bewegung

    Die Prophezeiung des Paukers von Niklashausen sollte bald wahr werden. 1493 versammelten sich in Schlettstadt im Elsass 110 Verschwörer, um gegen das ungerechte und undurchsichtige Rechtssystem, die hohen Steuern und die dadurch entstandene Verschuldung aufzubegehren. Ihre wichtigsten Programmpunkte waren die Vertreibung der Wucherer, ein vollkommener Schuldenerlass, die Aufhebung von Zoll, Ungeld und anderer Lasten. Der Plan der Verschwörer sah mehrere Etappen vor. Zum Fanal der Erhebung hatten sie die Einnahme Schlettstadts vorgesehen, dann wollten sie die Klöster- und Stadtkassen beschlagnahmen. Anschießend sollte sich der Aufstand ins ganze Elsass ausbreiten.

    Doch dazu kam es nicht. Noch bevor der Aufstand ausbrechen konnte, wurde er verraten. Die Anführer Ullmann und Hanser wurden hingerichtet, doch die Untergrundbewegung lebte weiter. denn ein einst leibeigener Bauer mit dem Namen Joß Fritz griff das Verschwörungsprinzip auf. Mittels geheimer Treffen spann er das konspirative Netz weiter, dessen Symbol landesweit die Bundschuhfahne wurde.

    Inhaltlich griff Joß Fritz auf die chiliastische Prophezeiung des Paukers zurück. Unablässig verkündete er während der Geheimtreffen seinen Anhängern die Ankunft eines gerechteren Reiches Gottes, das mit den Unrechtsverhältnissen ein für alle Mal aufräumen werde.

    Aufständische Bauern mit Bundschuhfahne umzingeln einen Ritter. Holzschnitt des sog. Petrarca-Meisters aus dem Trostspiegel, 1539. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Unter seiner Führung fanden am Oberrhein in den folgenden Jahren allein drei Bundschuh-Verschwörungen statt: 1502 in Speyer, 1503 in Lehen und 1517 am Oberrhein. Aber die Aufständischen begingen Fehler. Leichtsinn und Verrat machten es dem Adel leicht, die aufflackernden Revolten im Keim zu ersticken. Dutzende der Verschwörer wurden gefoltert und fielen dem Richtschwert zum Opfer. Nur einer wurde nie gefasst: Joß Fritz, der König des Untergrunds.

    Jedes Mal sah sich der Bauernführer genötigt zu fliehen, jedes Mal erschien er mehrere Jahre später wieder, um neuen Aufruhr anzuzetteln. Als Untergrundkämpfer war Joß Fritz hartnäckig, zäh und listenreich. So schuf er während der Vorbereitung seines dritten Aufstandes 1517 durch gezielten Einsatz des fahrenden Volkes ein überregionales Verschwörungsnetz, auf welches die aufständischen Bauern noch im Großen Deutschen Bauernkrieg 1525 zurückgriffen.

    Dank kursierender Flugschriften wurde er schon zu Lebzeiten zur Legende. Ihm war es vergönnt, seine Saat noch aufgehen zu sehen. 1525 erlebte er noch den Ausbruch des Bauernkriegs mit, dann starb er.

    Der Arme Konrad

    Der Bundschuh von Joß Fritz war nicht die einzige Bauernbewegung, die den Herrschenden Anfang des 16. Jahrhunderts gefährlich wurde. Verschwenderische Hofhaltung und Misswirtschaft führten in Württemberg während der Herrschaft Herzog Ulrichs dazu, dass das Land schwer verschuldet war.

    Da die Städte die Einführung einer neuen Vermögenssteuer verhinderten, verfiel die Finanzverwaltung auf einen verhängnisvollen Trick. Statt wie üblich die Steuern zu erhöhen, griff sie zu einer Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel. Diese wurde nicht durch eine direkte Preis- oder Steuererhöhung umgesetzt, sondern mittels der Einführung falscher Gewichte und Maße, die um den geforderten Steuerbetrag vermindert wurden. Der Schwindel flog auf und sorgte im Land für große Empörung.

    Wie so oft, war es ein bettelarmer Bursche aus Beutelsbach (bei Stuttgart) − der Gaispeter − der den Aufstand entfachte. Vor einer aufgebrachten Menschenmenge unterzog er die falschen Gewichtsteine einfach einem Gottesurteil: „Wann der Herrschaft Fürnehmen recht und billig, so werden die Stain emporschwimmen; sei dann ihr, der Bauern Vorhaben recht, so werden sie zu Boden fallen und sich nicht mehr sehen lassen!“

    Den Ausgang dieses vermeintlichen Gottesurteils kann man sich denken. Das Beispiel des Gaispeters machte innerhalb Württembergs Schule. Bald befand sich das ganze Remstal nahe Stuttgart im Aufstand, war kein Herr mehr vor den aufgebrachten Bauern und Ackerbürgern sicher. Die Aufständischen nannten sich selbst „Armer Konrad“ oder „Armer Kunz“ − also „Jedermann« und übten so viel Druck auf Herzog Ulrich aus, dass dieser einlenkte.

    Die Zusage des Herzogs, die Gewichts- und Maßverminderung aufzuheben, kam genauso zu spät wie das Versprechen, eine Untersuchung der Beschwerden durchzuführen und den Landtag einzuberufen. Es war eine verzweifelte Maßnahme. Als Herzog Ulrich ins Remstal kam, konnte er sich nur mit Mühe vor der aufgebrachten Menge retten. Jetzt fuhr der Landesherr schwere Geschütze auf. Nur dank auswärtiger Soldtruppen gelang es ihm, nach kurzen Kämpfen den Aufstand des Armen Konrad niederzuschlagen.

    Das aufständische Schorndorf streckte die Waffen. Fast 1.800 Rebellen wurden gefangen genommen und wenig später wieder laufen gelassen. Wer von den Anführern nicht entkommen war, starb durch das Richtschwert.

    Trotzdem hatte der Aufstand von 1514 eines gezeigt: Eine Erhebung hatte gute Chancen, wenn sich Bauern und Stadtbürger überregional zusammenschlossen und ein gemeinsames Programm entwickelten.

    Elf Jahre sollten vergehen, bevor sich ein neuer Rebellenführer bereit fand, sich an die Spitze einer sowohl städtischen als auch bäuerlichen Aufstandsbewegung zu stellen. Dieser Mann war Thomas Müntzer, sein revolutionäres Programm war überständisch und überregional: die Reformation.

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    13 Kommentare

    1. ,,…die Obrigkeit abzuschaffen…" Was ist daran christlich? Selbst der Hl. Petrus schrieb noch in seinem Brief, daß man der Obrigkeit gehorsam sein solle – was er allerdings später immerhin dahingehend korrigierte, daß man Gott mehr gehorchen solle als den Menschen.

      Ohne Obrigkeit gibt es nur Anarchie, somit das Recht des Stärkeren. Das ist noch nie gutgegangen!

      Also lassen wir lieber die Vergleiche mit dem Bauernkrieg…

      • Vergleiche gingen ja noch, aber es gibt Figuren, die sich positiv mit den Bauernhaufen gleichsetzen. Obrigkeit kann gut oder schlecht ,falsch oder richtig sein , natürlich muß sich ein Christ nicht mit einer schlechten, falschen Obrigkeit abfinden. Die Einstellung der ersten Christen muß im historischen Zusammenhang verstanden werden. Sie sollten sich ,um das zarte Pflänzchen nicht zu gefährden, nicht mit der übermächtigen römischen Herrschaft anlegen.

    2. Anno 1525 mußte Joß Fritz nicht den Anfang des Bauernkrieges erleben sondern dessen schmähliches Ende, denn mit dem Massaker von Frankenhausen am 15. Mai des Jahres war es mit der Pächter-Revolte vorbei.

    3. Da hat der Herr F. den Wikipedia-Artikel über das Pfeiferhänslein mehr oder weniger abgeschrieben. Der W-Artikel ist, wikitypisch, von einem Feind Gottes und seiner Kirche verfasst worden. Der Hans war wohl eher ein armes Würstchen, welches nicht so richtig verstand, was es tat. Wäre er nicht zum Idol des Pöbels geworden und hätte er nicht die Gottesmutter involviert, wäre er nicht verbrannt sondern geköpft worden. Ich dachte immer, das Pfeiferhänslein sei im Graben des befestigten Schlosses Marienberg verbrannt worden und nicht auf dem Schottenanger in Würzburg. So kann man sich irren. Ein irrer Kirchenhasser hat dem armen Wirrkopf noch 500 Jahre später ein "Denkmal" auf den Schottenanger gestellt, deshalb wohl die verschiedenen Versionen des Hinrichtungsortes.
      Im Spätmittelalter ging die gute Zeit der Deutschen zu ende

    4. Otto Baerbock am

      " Er forderte seine Zuhörer dazu auf, die Obrigkeit abzuschaffen und sämtliche Steuerabgaben an kirchliche und weltliche Grundherren zu verweigern."

      Hätte ein Grüner sein können. Der Anfangszeit … – in seinem unbedingten Furor gegen alle weltliche Autorität und Gegebenheit. Und: Solche Forderungen … derart unbedingt … geht selten gut aus. Eigentlich … wohl nie. Rettung hätte ihm wohl nur durch eine sofortige Umkehr und Bekenntnis zu den Gesetzen des Sokratismus zukommen können. Aber … nun ja … man weiß wie solche Leute eben gestimmt sind.

      • Otto, begreifen Sie endlich, daß der Sokratismus die Antwort auf die Geldherrschaft reich gewordener Bäcker, Schuster Leineweber usw. ist,
        also gegen genau jenes Zeug geht, welches vor 500 Jahren gegen seine rechtmäßige, gottgefällige Obrigkeit rebellierte. Verstehen Sie den Unterschied ? Wenn nicht, stellen Sie besser mal das Horoskop des Chefredakteurs. Der Geburtstag steht in Wikipedia, die Stunde leider nicht.

      • Das waren fortschrittliche Zeiten ….. des Widerstande !!!! Wie sich doch die geschichtlichen Zeiten gleichen , die Mistpfützenkrebse sind die Hoheiten ,die Gewalt ausFaesern …..

    5. Die Berufsdemokraten werden die Proteste der ordentlich und diszipliniert im Tiergarten geparkten Bauern einfach aussitzen.
      Ohne die komplette Blockade der Hauptstadt passiert gar nix.
      Im Vergleich dazu steckt der Junta die absolut harmlose "Stürmung des Reichstages" noch ungemein mehr in den morschen Knochen.

      • Otto Baerbock am

        "Die Berufsdemokraten werden die Proteste der ordentlich und diszipliniert im Tiergarten geparkten Bauern einfach aussitzen."

        Klar werden sie das. Nur … die realen Probleme, die die Pauren auf die Straße gebracht haben, verschwinden ja durch das Aussitzen nicht. Und: Der gemeine Stadtpöbel hat sich mit den Pauren gefühlsmäßig solidarisiert; auf AUF1 gabs einen entsprechenden Bericht aus München – die hatten alle kein negatives Wort für die Pauren.

        Muß natürlich nicht so bleiben … aber … aus den Äußerungen der Interviewten konnte man entnehmen, daß wirklich KEINER die Lage als irgendwie rosig, aussichtreich … oder auch nur ‚vorübergehend etwas mißlich‘ empfindet. Also ich hatte den Eindruck: Die Leute sind langsam reif… für mehr als Geld und Zinsen.

    6. Ralf.Michael am

      Es braucht heute keinen Florian Geyer, aber seine schwarzen Haufen schon ( und sei es nur als Antwort auf die AntiFa ).Wo sind die Schreihälse überhaupt alle hin ? Angst vor den Pösen Bauern ?

    7. Elektrofranz am

      Ob wir rothe, gelbe Kragen,
      Hüte oder Helme tragen,
      Stiefeln oder Schuh’;
      Oder ob wir Röcke nähen,
      Und zu Schuh’n die Fäden drehen –
      Das thut nichts dazu. *träller*

    8. Tomaten-Theo am

      Es gibt also unbestritten einige historische Parallelen zu dem heutigen Ampel-Geschmeiß von mit seinen Trickbetrügereien, Weltuntergangslegenden und unverhohlenen Raubzügen gegen das Volk.
      https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/arbeitsagentur-und-pflegekassen-sauer-jetzt-greift-die-ampel-in-die-sozialkassen-86453740.bild.html
      Originell fand ich die Maxime der Münchner Traktorfahrer:
      "Ohne Blut wird man weiß.
      Ohne Luft wird man blau.
      Ohne Hirn wird man grün!"