Fast jeder, der etwas auf sich hält, veröffentlicht irgendwann mal seine Biographie. Von manchen gibt es deren sogar viele. Handeln die meisten von den Erfolgen der Protagonisten, so ist es in dem vorgestellten Werk einmal anders. Hier beginnt die Autobiographie erst nach dem Erfolg, erst nach dem Fall, erst nach dem Scheitern. Und doch oder gerade deswegen ist es eine faszinierende Lektüre. Weil der Autor mit unglaublicher Klarheit einerseits die Ursachen des Scheiterns und dann den Weg der Umkehr beschreibt. Dem Leser wird klar: Mit dieser Kraft und diesem Mut lassen sich viele Brüche im Leben heilen.

    Es gab mal eine Zeit in der Bücherwelt, da waren Autobiographien der absolute Renner. Jeder wollte bei den Prominenten mal durch’s Schlüsselloch schauen, dabei sein, wenn aus dem Nähkästchen geplaudert wurde. Die Folge: Immer mehr Verlage warfen immer neue Autobiographien auf den Markt. Bei manchen Protagonisten konnte man gar mehrere Leben vermuten, so viele Biographien erblickten von denen das Licht der Welt und landeten am Ende auf den Ramschtischen im Supermarkt.

    Und doch gibt es mitunter auch wieder Etwas zu entdecken, wo ein zweiter Blick lohnt, man schon nach wenigen Seiten hängenbleibt und bis zum Ende liest. In einem Rutsch. Ein solches Werk legte vor kurzem jemand vor, der sich lange nur „The Big T“ nennen ließ. Die Rede ist von Thomas Middelhoff. Bevor er durch seinen tiefen Fall schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, blitzte er durch die Schlagzeilen, z. B. als er das Kunststück fertig brachte, auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase die Beteiligung an AOL Europe für sagenhafte 6,8 Mrd. Dollar zu verhökern. Sein Arbeitgeber Bertelsmann belohnte ihn dafür reichlich. Über AOL redet heute keiner mehr.

    Bertelsmann konnte in der Folge dieses Deals nicht nur die Mehrheit bei RTL übernehmen, sondern sich auch die Verlagsgruppe Random House unter den Nagel reißen und somit den größten Buchkonzern der Welt erschaffen. Fortan läuft das gesamte Buchgeschäft unter dem Dach von Random House. Auch dafür zeichnet Middelhoff verantwortlich. Die RTL Group ist heute der Gewinnbringer für Bertelsmann.

    Middelhoff wurde nach knapp vier Jahren bei Bertelsmann vor die Tür gesetzt. Weitere Stationen als Manager folgten. Dann plötzlich Schlaglichtgewitter: Middelhoff wurde noch im Gerichtssaal 2014 verhaftet und musste später eine Gefängnisstrafe von drei Jahren antreten. In der Folge verlor er alles, sein Vermögen, seinen Status, seine Frau trennte sich von ihm. Er wurde zum Geächteten. Der Fall ging noch tiefer, seine Gesundheit nahm schweren Schaden, er bekam auch depressive Schübe, wie er später einräumte. Seine Fallhöhe war beträchtlich.

    Hier setzt sein Werk „Schuldig“ an. Der Blick von ganz unten, führt nicht mehr nach oben, sondern lässt ihn wieder zu sich selbst finden. Dornenreich und mühsam. „Schuldig“ wird erzählt im Blick zurück. Der Blick nach vorn lässt hoffen. „Ich bin ich“ – sein altes Motto noch aus Studentenzeiten kann fortan wieder als sein Leitspruch gelten.

    „Ein Professor einer renommierten deutschen Universität schrieb mir überraschend. Seine Analyse meiner Entwicklung verblüffte mich in ihrer Klarheit. Er schrieb unter anderem: ‚Wenn ich es richtig verstehe, haben Sie nach Ihrem Fall in die Grube etwas sehr Kluges gemacht, indem Sie die Strafe zu Ihrer Wandlung verwendet haben.‘“, so der Autor in seinem Buch.

    Was die Lektüre so spannend macht: kein Wort der Verbitterung. Nur eine Aufarbeitung. Er analysiert, er zieht seine Lehren, er findet die Ursachen und ist schonungslos ehrlich: Seine „Todsünden“, die Gier, Stolz und Hochmut, Narzissmus und andere. Diese zu erkennen und seine Umkehr davon – erzwungener Maßen –, dadurch wird diese Autobiographie etwas Besonderes. Der promovierte Betriebswirt Middelhoff wird plötzlich einer von uns, einer von all den Menschen im normalen Alltag. Jedoch, nicht ohne das Wissen um diese alte Welt, um das Glitzern, die Fassade, die Ellenbogen, das „take it or leave it“! Er weiß jetzt, was er nicht mehr sein will.

    Natürlich wurde Middelhoff nach seinem Fall auch geschasst. Oft überwog die Schadenfreude bei ehemaligen Weggefährten. Das ficht ihn jedoch nicht mehr an. Auch hier gilt der alte Spruch, von „echten Freunden in der Not“. Dass es davon aus seinem „alten“ Leben nicht viele gab, lässt uns Middelhoff mehrmals erahnen.

    Es gibt auch andere, neugierige, oft junge Menschen, die aus seinem Scheitern lernen möchten. Wobei Middelhoff davor warnt, das Scheitern als bewusstes Korrektiv zu glorifizieren, „ich hoffe, insbesondere jungen Studenten eine Hilfestellung geben zu können, meine Fehler nicht zu wiederholen.“, so der Autor über seine neue „Mission“.

    Als Middelhoff kurz nach seiner Haftentlassung den Drang verspürte, dass er „Luftveränderung“ bräuchte, entschloss er sich, eine Flugreise ins Ausland zu wagen. Wie mulmig war ihm doch zumute, als er durch die Passkontrolle musste. „Würde man ihn gehen lassen?“. Doch es ging alles glatt.

    „Und jetzt stand ich mit dem Gefühl am Hamburger Flughafen: ‚Ich bin wieder da, aber ich bin anders.‘“, könnte als Fazit für dieses Buch gelten oder auch „From Hell to Heaven“. Middelhoff ist gelandet, in einem anderen Leben, einem besseren, dem wahren, unter hohen Verlusten zwar. Aber eben gerettet. „Schuldig“ ist ab sofort in unserem Shop verfügbar.

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