Im libyschen Bürgerkrieg standen sich bislang zwei Lager unversöhnlich gegenüber, die beide wiederum von internationalen Großmächten unterstützt werden. Zwei namhafte politische Schwergewichte der beiden Lager haben sich getroffen und einen Deal miteinander gemacht. Eine große Überraschung.

    _von Michael Klar

    Der Bürgerkrieg in Libyen tobt seit fast zehn Jahren. Es geht dabei nicht nur um die politische und militärische Macht im Land, sondern auch um die gerechte Verteilung der Einnahmen aus dem Erdölverkauf. Während sich die Erdölfelder Libyens vor allem im Osten und Süden des Landes befinden, geht der Großteil der Einnahmen in den Westen. Die Überraschung kam in dieser Woche:

    Zwei Vertreter der verfeindeten Lager – auf der einen Seite die in Tripolis ansässige „Regierung der nationalen Übereinkunft“ (GNA) und auf der anderen die „Libysche Nationalarmee“ (LNA) – haben zu einer Einigung gefunden. Der stellvertretende GNA-Ministerpräsident Ahmed Mitiig und der LNA-Kommandeur Chalifa Haftar haben sich über die Ölfrage rasch geeinigt.

    Am 18. September kündigt Haftar an, dass das Land wieder unverzüglich die Ölförderung sowie den -export aufnehmen werde und dass die Erlöse aus dem Verkauf nach einem gerechten Verteilungsschlüssel zwischen den libyschen Regionen aufgeteilt werden sollen. Laut Haftar sei diese Einigung das Ergebnis eines „innerlibyschen Dialogs“ zwischen ihm selbst und Ahmed Mitiig.

    Außerdem solle ein „technischer Ausschuss“ gebildet werden, der die Einhaltung der Vereinbarungen ständig überwachen und Streitigkeiten schlichten werde. Doch vor allem innerhalb der GNA-Regierung erntet Mitiig für diesen Vorstoß nicht nur Zustimmung. Denn viele seiner Partner dort wollen die Kontrolle über die Finanzströme aus dem Energiesektor nicht verlieren.

    Vor allem dem Umfeld des derzeitigen GNA-Machthabers Fayiz Sarradsch ist der Passus einer „gerechten Verteilung der Einnahmen“ ein Dorn im Auge. Daher ist es kaum überraschend, dass das Mitiig-Haftar-Abkommen bereits jetzt aus den Reihen der GNA heftig sabotiert wird. Der „Oberste Staatsrat“ sowie die Libysche Zentralbank lehnen das Abkommen ab. Auch Sarradsch selbst habe sich ablehnend geäußert, heißt es aus GNA-Kreisen.

    Die Libysche Zentralbank ist seit neun Jahren in der Hand von Sadik al-Kabir, einem Mitglied der radikal-islamischen Muslimbruderschaft und allein schon deshalb ein eingefleischter Gegner des als moderat und säkular geltenden Mitiig. Al-Kabir hat zudem viel zu verlieren. Er steht unter dem Verdacht, als Leiter des wichtigsten Finanzinstituts Libyens seinem Land großen Schaden zugefügt zu haben. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, große Geldsummen veruntreut zu haben, um den Schmuggel türkischer Waffen nach Libyen und die Bezahlung syrischer islamistischer Söldner zu finanzieren.

    Auch der Chef der Partei „Gerechtigkeit und Aufbau“ innerhalb der GNA, Muhammad Sovan, sprach sich vehement gegen die Vereinbarung zwischen Mitiig und Haftar aus. Seine Partei kann getrost als islamistische Bewegung und politischer Arm der Muslimbrüder gesehen werden. Der Sprecher der LNA, Generalmajor Ahmad al-Mismari, erklärte, dass die Wiederaufnahme der Ölförderung sowohl für die Wirtschaft als auch für die Bevölkerung ein entscheidender Wendepunkt werden könne.

    Libyen verfügt über große Öl- und Gasressourcen und könne schnell wieder zu Wohlstand kommen, wenn alle an einem Strang zögen. Durch die Einnahmen aus dem Export ließen sich viele Probleme lösen und das Land wieder aufbauen. Gleichzeitig warnte al-Mismari allerdings davor, dass die bewaffneten Milizen der GNA sich bereits darauf vorbereiteten, das Ölabkommen zu sabotieren, da es für sie nicht profitabel sei.

    Al-Mismari meint damit for allem die GNA-Milizen in der libyschen Stadt Misrata, die zum Großteil dem GNA-Innenminister Fathi Baschaga persönlich unterstehen. Außerdem handelt es sich bei den Angehörigen der Milizen um radikale Islamisten. Baschaga will wiederum die Kontrolle über die Finanzströme, die durch die in Tripolis ansässige nationale Ölgesellschaft NOC an die libysche Nationalbank fließen, nicht verlieren.

    Die bewaffneten Banden in Misurata werden stark von der Muslimbruderschaft beeinflusst. Sie unterstehen zumeist dem Innenminister der GNA Fathi Bashage. Dieser Beamte aus dem Gefolge Sarrajs will die Kontrolle über die Finanzströme, die durch die in Tripolis ansässige Nationale Ölgesellschaft (NOC) und die libysche Zentralbank fließen, nicht verlieren.

    Die Sabotage der Verständigung zwischen GNA und LNA durch radikale GNA-Milizen habe sogar bereits begonnen, so al-Mismari. In einem Interview am 19. September sprach er über einen bemerkenswerten Vorfall: Am Vortag habe in Sirte die Sitzung einer Sonderkommission stattfinden sollen, an der auch Ahmed Mitiig hätte teilnehmen sollen. Mitiig konnte allerdings nicht nach Sirte kommen, da bewaffnete Gruppen sein Wohnhaus angegriffen hätten. Al-Mismari:

    „Jetzt wird sogar auf Mitiigs Haus geschossen. Sarradsch steht jetzt an einem Scheideweg: Entweder geht er mit Baschaga, oder er entscheidet sich mit Mitiig für eine Friedenslösung. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es viele Länder gibt, für die der libysche Konflikt profitabel ist und daher den Krieg verlängern wollen. Mitiig steht jetzt unter Druck – bewaffnete Banden und illegale Gruppen greifen ihn an.“

    Angesichts des großen politischen Drucks, der auf Mitiig lastet, war es ein mutiger und riskanter Schritt des libyschen Politikers, sich mit Haftar für Verhandlungen zu treffen. In der libyschen Bevölkerung wird dieses Vorgehen goutiert. Viele Libyer hoffen jetzt darauf, dass Mitiig die Marschrichtung für Tripolis vorgeben wird und nicht Baschaga. Die Bürger des Landes erhoffen sich vor allem durch die Wiederaufnahme der Ölförderung wieder eine rasche Normalisierung des Alltaglebens.

    Der Druck auf Mitiig wird noch weiter zunehmen. Erst vor kurzem hat GNA-Machthaber angekündigt, bis spätestens Ende Oktober dieses Jahres zurücktreten zu wollen. Die Diadochenkämpfe um die Sarradsch-Nachfolge toben seitdem offen innerhalb der GNA. Ahmed Mitiig hat sich durch seine Öl-Vereinbarung mit Haftar überraschend in eine Topposition katapultiert.

    Jeder Schritt des moderaten und als sehr fähig geltenden libyschen Geschäftsmanns und Politikers wird nun in Tripolis ganz besonders genau beobachtet. Zum Beispiel sein Besuch in der Türkei Mitte September: Dort traf Ahmed Mitiig mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Verteidigungsminister Hulusi Akar zusammen.

    Auf dem schwierigen diplomatischen Parkett in Ankara – die Türkei gilt als besonders aktiv in der Unterstützung von Sarradsch und exportiert Waffen und Ausbilder an die GNA – habe sich Mitiig besonders geschickt verhalten, sind sich alle Beobachter einig. Die türkischen Staatsmedien wie beispielsweise der Sender TRT World ließen bereits jetzt verlautbaren, Ahmed Mitiig sei der „nächste Ministerpräsident der von der UN anerkannten libyschen Regierung in Tripolis“.

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