„Befreiung“ bedeutete Vertreibung aus der Heimat: Ein Augenzeugenbericht aus dem Internierungslager in Friedek-Mistek schildert das Schicksal einer sudetendeutschen Familie aus erster Hand. Auszug aus: COMPACT-Geschichte „Verbrechen an Deutschen. Vertreibung, Bombenterror, Massenvergewaltigungen“
«Am 1. Mai 1945 wurde ich mit meiner Tochter evakuiert. Nach einer durch Luftangriffe gestörten Fahrt kamen wir in lglau, unserem Bestimmungsort, an. In einer Schule wurden wir untergebracht. Als die Kampfhandlungen sich der Stadt näherten, wurden wir aufgefordert, uns ruhig zu verhalten, da fremdes Militär die Stadt besetzen würde. Ohne Kampf drangen die Sowjets in den späten Abendstunden des 7. Mai in die Stadt ein. Ein russischer Offizier kam in unser Lager, hielt eine Rede an uns und suchte sich sodann junge Frauen und Mädchen zur Vergewaltigung aus. Trotz unserer Bitten behielt er seinen Willen aufrecht. Das furchtbare Angstgeschrei derjenigen hielt die ganze Nacht bis in den kommenden Tag herein an. Wir hatten alle ungeheure Angst, da wir in einer fortwährenden Furcht um unser Leben und einer quälenden Ungewissheit über unser weiteres Schicksal bleiben mussten. Eine junge Frau beging aus Verzweiflung Selbstmord. Aus diesen Gründen fassten wir den Entschluss, auf eigene Verantwortung in unsere Heimatstadt Friedek-Mistek, wo mein Mann nach unserer Evakuierung verblieben war, zurückzukehren. Über die dort herrschenden Verhältnisse waren wir vollkommen im Unklaren. Nur der Tatsache, dass meine Tochter gehbehindert war, verdanken wir es, dass wir nicht die weite Strecke zu Fuß zurücklegen mussten.
Unsere Heimfahrt läßt sich kaum richtig beschreiben. Von den aus Deutschland zurückkehrenden tschechischen Arbeitern wurden wir unserer letzten Habe beraubt sowie mit Schlägen und unbeschreiblichen Schimpfworten bedacht. Halbtot vor Angst langten wir endlich am 20. Mai in Friedek ein, wurden sofort verhaftet und verbrachten die Nacht im Misteker Gerichtsgefängnis. Über meinen Mann konnte ich nichts erfahren. Nächsten Tag wurden mir die Schlüssel meiner Wohnung, welche fast ganz ausgeplündert war, ausgefolgt und bis zu deren Räumung konnte ich dort mit meiner Tochter wohnen. Von meiner Schwiegermutter erfuhr ich, dass mein Mann bei der Besetzung der Stadt von den Tschechen verhaftet worden war. Vier Tage nach unserer Ankunft wurden auch wir erneut verhaftet und in das Neumannlager in Friedek eingeliefert. Meine Tochter sollte zuerst von mir getrennt werden, wurde aber dann doch bei mir belassen. Schläge und Schimpfnamen waren die Begrüßung im Lager.
Schläge und Schlimmeres
Von 7 Uhr früh bis oft in die Nacht hinein mussten wir schwere und schmutzige Arbeit verrichten. Zum Essen bekamen wir nichts anderes als Kaffee, Wassersuppe und 180 Gramm Brot pro Tag. Oft wurden wir in der Nacht von unseren Schlafstellen herausgejagt, mussten am Lagerhof antreten, dann tanzen, singen, einander Ohrfeigen verabreichen, auf allen Vieren herumkriechen und so weiter. Diese sadistischen Akte wiederholten sich immer wieder, und viele meiner Mitgefangenen begingen aus Verzweiflung Selbstmord. Wir waren vollkommen der Willkür der uns bewachenden Partisanen ausgeliefert. Da wir mit den internierten Männern nicht sprechen durften, konnte ich nichts über das Schicksal meines Mannes erfahren. Eines Tages teilte mir im Vorbeigehen beim Kaffee holen Herr N., ein Bekannter von uns, mit, dass mein Mann tot sei. Näheres konnte er mir nicht sagen, und so wollte und konnte ich es nicht glauben. Meine Schwägerin teilte mir diese Nachricht bei einem Zusammentreffen ein paar Tage später auch mit. Nun wurde das Lager nach Mistek verlegt und wir gingen täglich in eine Baumschule arbeiten.
Ein barmherziger Bauer
Am 14. Juni wurde ich wie auch viele andere Frauen einem Bauern zur Dienstleistung zugeteilt. Bei diesem Bauern verblieb ich bis zum Mai 1946. Er behandelte mich gut und gab mir auch ausreichend zu essen. Jeden Monat ließ er mich einmal nach Mistek, um meine dort lebenden Verwandten und meine im Lager internierte Tochter zu besuchen. Ich bekam nun auch Gewissheit über das Schicksal meines Mannes. Von einem überlebenden Zellengenossen erfuhr ich, dass er am 27. Mai 1945 verstorben ist, und zwar an den Folgen des andauernden Prügelns und sonstiger Misshandlungen. Im Totenschein stand allerdings, dass er an Körperschwäche verstorben sei. Ich aber weiß und kann bezeugen, dass mein Mann nie an Körperschwäche gelitten hat und, als wir ihn verließen, dass er vollkommen gesund war. Am 30. Mai 1946 wurde ich mit meiner Tochter nach Deutschland ausgesiedelt. Diese Angaben habe ich nach bestem Wissen und Gewissen gemacht und kann sie jederzeit bezeugen.»
_ Quelle: Sudetendeutsches Archiv München, Sammlung Tutsch, erstmals abgedruckt in Wolfgang Benz (Hrsg.), Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen, Fischer Taschenbuch, 1995)