Weiter kein Schlussstrich unter das NSU-Rätsel: Beate Zschäpe will das durch den Karlsruher Bundesgerichtshof bestätigte Urteil einer lebenslänglichen Haftstrafe nun über eine Verfassungsbeschwerde kippen. Lesen Sie alles über die unterdrückten Revisionsgründe in unserer COMPACT-Edition NSU: Die Geheimakten. Hier bestellen.

    Erst im August dieses Jahres schienen alle Messen für Beate Zschäpe gelesen zu sein: Der Karlsruher Bundesgerichtshof verwarf letztinstanzlich den Revisionsantrag ihrer Rechtsanwälte gegen die lebenslängliche Haftstrafe, die das Oberlandesgericht München am 11. Juli 2018 über sie verhängt hatte.

    „Reine Spekulation“

    Wolfgang Heer, einer von Zschäpes Rechtsanwälten, äußerte sich nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs erschüttert: Der Bundesgerichtshof setze bei seinen Annahmen „die Zirkelschlüssigkeit und in weiten Teilen reine Spekulation des Oberlandesgerichts München“ fort, Zschäpe habe maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Morde und Anschläge ihrer Freunde, den gemeinsamen Tatentschluss und den Willen zur Tatbegehung gehabt.

    Heers Bestürzung über die Entscheidung der Karlsruher Richter ist mehr als nachvollziehbar. Zschäpes Aussage, nie an dem jeweiligen Tatorte der verschiedenen Morde, Banküberfälle und Sprengstoffattentate, die dem NSU zugeschrieben werden, gewesen zu sein, ist glaubwürdig. Es existieren beispielsweise mit Blick auf die sogenannten Česká-Morde merkwürdigerweise keine DNA-Spuren von Zschäpe – weder an den Tatorten noch der Tatwaffe – aber auch nicht von den beiden angeblichen Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

    Keine DNA-Spuren

    In einem Interview mit dem Magazin Cicero, das am 11. Juli 2018 veröffentlicht wurde, äußerte der Journalist Stefan Aust, der sich intensiv mit der Verbrechensserie auseinandergesetzt und darüber das Buch Heimatschutz: Der Staat und die Mordserie des NSU verfasst hat, deshalb beispielsweise, dass ihm ein Ermittler gesagt habe, dass es im Falle eines Überlebens der beiden Uwes gar nicht so einfach gewesen wäre, diesen überhaupt eine Präsenz an den Tatorten nachzuweisen.

    Noch viel mehr gilt das natürlich für Beate Zschäpe, von der ja nicht einmal Videoaufnahmen existieren, die sie auch nur in der Nähe eines der Tatorte zeigen, während es von Mundlos und Böhnhardt immerhin Videoaufnahmen gibt, die die beiden mutmaßlichen Terroristen in der Nähe des Tatortes eines Nagelbombenanschlags zeigen, der am 9. Juli 2004 in der Kölner Keupstraße begangen wurde.

    Ablehnung ohne Verhandlung

    Beate Zschäpes Anwälte Mathias Grasel, Wolfgang Heer und Andreas Lickleder haben nun eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben, mit der sie erreichen wollen, dass der Karlsruher Bundesgerichtshof wenigstens noch eine Hauptverhandlung ansetzt, in der die Revisionsgründe nochmals gesondert geprüft werden. Außerdem haben die Verteidiger eine Anhörungsrüge beim BGH erhoben.

    Die Ablehnung des Revisionsbegehrens Zschäpes hat der BGH im August dieses Jahres nämlich per einfachem Beschluss und ohne gesonderte Verhandlung beschlossen, was nach den Zschäpe-Anwälten einen krassen Bruch mit der bisherigen Rechtssprechungspraxis darstellt.

    Diese Schritte erscheinen umso nachvollziehbarer, wenn man sich gleichzeitig vergegenwärtigt, dass nie gegen den früheren Verfassungsschutzbeamten Andreas Temme auch nur ermittelt wurde, obwohl sich dieser am 6. April 2006 in einem Internetcafé in der Holländischen Straße in Kassel aufhielt, in dem zu diesem Zeitpunkt der letzte der sogenannten Česká-Morde stattfand. Dies soll nach dessen Aussagen ein Zufall gewesen sein.

    Die Spinne im Netz

    Schon das ist wenig glaubwürdig, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geheimdienstmitarbeiter zufällig ausgerechnet an einem Tatort einer der spektakulärsten Verbrechensserien der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik auftaucht, ist mikroskopisch gering. Mittlerweile ist auch noch die Dokumentation eines polizeilich abgehörten Telefonats aufgetaucht, die der damals unter Mordverdacht stehende Temme mit dem Geheimschutzbeauftragten des Landesamtes (LfV) Gerold-Hasso Hess führte, in dem dieser Temme einschärft: „Ich sag ja jedem – wenn er weiß, dass da irgendwas passiert – nicht vorbeifahren.“

    Aus dem Kontext des Gespräches geht ganz klar hervor, dass der Geheimschutzbeauftragte des Landesamtes davon ausging, dass Temme wusste, „das da irgendwas passiert“, und somit also nicht zufällig am Tatort war. Da wirkt es fast schon wie eine juristische Farce, dass der Begriff „Verfassungsschutz“ in dem 3.000 Seiten starken Urteil des Oberlandesgerichts München an keiner Stelle vorkam.

    Das Poizeifoto vom Tatort in Kassel. Auf dem Boden liegt der leblose Körper von Halit Yozgat. Was weiß der Verfassungsschutz-Agent Temme über den Mord? Foto: Screenshot RTL 2, Polizeifoto

    Bleibt nur noch die Hoffnung, dass sich angesichts des herannahenden zehnjährigen Jahrestags des Auffliegens des Trios mögliche Whistleblower aus den Behörden oder Geheimdiensten zu Wort melden, die Licht in das Dunkel bringen – auch mit Blick auf die bislang sehr einseitig und selektiv verlaufene juristische Aufarbeitung des Falls.

    Diese COMPACT-Sonderausgabe hat angesichts des juristischen Tauziehens um die Revision des Zschäpe-Urteils nichts an Aktualität eingebüßt. Zitiert wird aus unveröffentlichtem Aktenmaterial, das garantiert nicht zur Beweisführung im Prozess gegen Beate Zschäpe verwendet worden ist. Zschäpe sollte verurteilt werden, Rechtsbeugung hin oder her. Zum bestellen der Edition hier klicken oder unten auf das Banner klicken.

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