Die Ölkrise von 1973, die vor 50 Jahren eskalierte, beendete die scheinbar endlos währende Ära des Wirtschaftswunders. Es begann die Ära von Nordsee-Öl und Erdgas sowie der linken Öko-Apokalyptik des „Club of Rome“.  Den ersten Teil dieser Serie lesen Sie hier. In dem COMPACT-Spezial Welt.Wirtschaft.Krisen – vom Schwarzen Freitag zum Corona-Crash werfen bekannte Autoren einen Blick hinter den Vorhang der Weltfinanzmärkte und der Weltwirtschaft und erklären Ihnen, wer dort die Fäden zieht. Das Heft kann HIER bestellt werden!

    Schon in den 50er Jahren hatte der legendäre Krupp-Manager Berthold Beitz erste Fühler nach Moskau ausgestreckt und ein Tauschgeschäft „Rohre gegen Erdgas“ angebahnt. Der geplante Osthandel konnte nur mit Mühe von den US-Amerikanern ausgebremst werden, die im Jahr 1963 über den NATO-Rat ein gegen die Sowjetunion gerichtetes Embargo für diese Produkte initiierten. So sollte „Druschba“, deutsch „Freundschaft“, verhindert werden, die Leitung, die das sibirische Erdöl in die Satellitenstaaten Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und die DDR bringen sollte.

    Der Erdgas-Siegeszug beginnt

    Am Ende baute der Ostblock die Pipeline trotz westlicher Sanktionen, noch heute transportiert sie Öl bis nach Schwedt an der Oder. Das Eis zu den bundesdeutschen Gesprächspartnern brach dann endgültig im Mai 1969. Auf der Hannover-Messe plauderten SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller und der sowjetische Außenhandelsminister Nikolaj Patolitschew über die neuen gigantischen Gasfunde in Westsibirien und dachten nochmals über die sechs Jahre zuvor auf Eis gelegten Tauschgeschäfte nach. Schon neun Monate später wurde der Deal in Essen vertraglich festgezurrt. Ein deutsches Bankenkonsortium übernahm die Vorfinanzierung der 1,2 Millionen Tonnen Großrohre, die der Mannesmann-Konzern in die Sowjetunion lieferte.

    Schwarzes Gold unter dem Meeresgrund: Nordsee-Öl wurde in den 1970er Jahren als Alternative zu den arabischen Lieferungen erkannt. Wegen der durch die Rohstoffpreise getriebenen Inflation kam es in den 70er Jahren zu einem Silber-Boom, der an die Bitcoin-Manie erinnerte. Foto: Erik Christensen, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons

    Die Russen erwiesen sich in den Folgejahren als eisern in der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Bundesrepublik ‒ wenn es Engpässe gab, dann hatten zuerst die sozialistischen Bruderländer das Nachsehen. Aber nicht nur das Erdgas konnte von der Verknappung des schwarzen Goldes profitieren, auch die Förderung von Nordseeöl wurde massiv ausgebaut und begann sich angesichts der höheren Preise auch plötzlich zu rentieren, was zuvor nicht der Fall gewesen war. Zwar wurden erste Erkundungsbohrungen schon ab 1939 vor der dänischen Küste durchgeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den fünfziger und sechziger Jahren trotz des Wissens um die Öl- und Gasfelder in der Nordsee aber kaum Bemühungen, den unter dem Meeresgrund liegenden Schatz zu heben, da solche Projekte als zu teuer und aufwändig erschienen.

    „Die Atomflut ist nicht aufzuhalten“

    Diese Einschätzung änderte sich schlagartig im Oktober 1973. Das Nordseeöl wurde von einem Tag auf dem anderen zu einem großen Hoffnungsträger, mit dem man sich mehr Unabhängigkeit von den zu dieser Zeit noch fast ausschließlich im Nahen und Mittleren Osten beheimateten OPEC-Mitgliedsländern verschaffen wollte. Die sich bietende Chance wurde insbesondere von Norwegen genutzt. Das Land verfügte über große Vorkommen von sehr hochwertigem und schwefelarmem Öl, was dazu führte, dass der skandinavische Staat schon damals das „Kuwait Europas“ genannt wurde.

    Um nicht von den internationalen Multis abhängig zu werden, aber dennoch vom Boom zu profitieren, hatte die Regierung in Oslo schon 1972 das Unternehmen Statoil gegründet. Als 1974 das riesige Statfjord-Feld entdeckt wurde, erhielt der Staatskonzern einen Anteil von 50 Prozent an den Förderlizenzen, was künftig auch bei jedem weiteren in norwegischen Gewässern entdeckten Vorkommen der Fall war. Schritt für Schritt eignete sich das Land so nicht nur selbst das Wissen an, um in den Kreis der großen Produzenten vorzustoßen, sondern es realisierte auch einen konstanten Zufluss an Geldern, um seinen „Oljefondet“ zu speisen, wie die Norweger ihren aus den nationalen Fördereinnahmen gespeisten Pensionsfonds umgangssprachlich nennen.

    Er wuchs zum größten Staatsschatz der Welt heran, durchbrach am 19. September 2017 beim Blick auf das verwaltete Vermögen erstmals die Marke von einer Billion US-Dollar und gilt heute als das Musterbeispiel klugen Aktienmanagements schlechthin. Auch wenn im Zuge der Coronapandemie natürlich Verluste aufliefen, bleibt dieses Finanzvehikel der Grund dafür, dass der skandinavische Staat zu den reichsten Ländern der Welt zählt und hier möglicherweise sogar den Spitzenplatz einnimmt, wie viele Ökonomen vermuten.

    Nächtlicher Blick auf das Ende 2021 stillgelegte Atomkraftwerk Grohnde bei Hameln. Der Strom, der hier einst produziert wurde, ist nur schwer zu ersetzen. Foto: Thorsten Schier I Shutterstock.com.

    Einen starken positiven Basisimpuls versetzte die Ölkrise natürlich auch der Nuklearenergie. „Die Atomflut ist nicht aufzuhalten“, verkündete Reginald Jones, der Vorstandsvorsitzende des US-Energiegiganten General Electric schon im November 1973 triumphierend auf einer Pressekonferenz in New York, denn diese sei schließlich „eine Wachstumschance von geradezu historischem Ausmaß“. So dachten damals fast alle führenden Manager und Politiker der westlichen Industriestaaten. In Frankreich führte der Ausbauplan des Premierministers Pierre Messmer zur Errichtung von Dutzenden von Reaktoren, die das Land schließlich tatsächlich weitgehend unabhängig von Energieimporten gemacht haben.

    Atom-Euphorie in der Bundesrepublik

    Noch im Dezember 1973 verabschiedete auch das Bundeskabinett ein sechs Milliarden DM schweres Programm, das dazu dienen sollte, nicht weniger als 40 AKWs zwischen Flensburg und dem Bodensee fertigzustellen. Nur ein Bruchteil dieses Mammutvorhabens wurde am Ende dann auch wirklich realisiert, dazu zählten beispielsweise die heute längst schon wieder abgeschalteten Doppelblöcke von Biblis. Ab dem Ende der siebziger Jahre stießen alle angedachten Neubauten auf den teilweise militanten Widerstand einer fanatischen Anti-Atom-Bewegung und bald bezeichneten selbst Unionspolitiker wie Lothar Späth die Nuklearkraft nur noch als Übergangsenergie.

    Überhaupt muss man die Ölkrise 1973 auch als Geburtsstunde einer Öko-Apokalyptik bezeichnen, die zwar in allen ihren Prognosen regelmäßig danebenlag, die aber dennoch – man denke nur an Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion – bis heute eine maximale gesellschaftliche Wirkung entfaltet. Dennis Meadows vom Denkerkreis des „Club of Rome“ prophezeite schon 1972 in seiner am Ende in 35 Sprachen übersetzten Studie Die Grenzen des Wachstums das Ende der globalen Erdölvorräte bis zur Jahrtausendwende. Die nur ein Jahr später folgende Preisexplosion erschien da wie eine glänzende Bestätigung seiner Vorhersage, die erstmals auf Basis einer Computersimulation erstellt worden war.

    Heute ist längst bekannt, dass der damals noch sehr junge US-Ökonom vom Massachusetts Institute of Technology mit drastischen Vereinfachungen arbeitete, um schnelle Ergebnisse zu liefern und das von der Volkswagenstiftung zur Verfügung gestellte Budget nicht zu überschreiten. Tatsächlich hatten die verwendeten Modelle keinerlei prognostischen Wert „im Sinne einer exakten Voraussage“, wie die Autoren sogar selbst freimütig einräumten. Dennoch entstand damals ein regelrechtes Gewirr an Protestbewegungen, die sich sehr stark an apokalyptischen Grundstimmungen und Szenarien ausrichteten und zu ihrer wachsenden Anhängerschaft regelmäßig im Sound des drohenden Weltuntergangs predigten.

    Die Peak-Oil-Lüge

    Daraus wurden schnell lukrative Geschäftsmodelle, so wie bei der 1971 gegründeten Organisation Greenpeace. Auch die Politik bemerkte rasch, wie gut sich die kursierenden Dystopien dazu eigneten, um allen Varianten staatlicher Großplanung eine neue Legitimität zu verleihen. Die ökologische Frage wurde so immer stärker zu einer Waffe in den Händen westlicher Funktionseliten und sogenannter zivilgesellschaftlicher Organisationen. Ausgerechnet das ist bis heute so geblieben und hat sich als das vielleicht zählebigste Erbe der Ölkrisen der siebziger Jahre erwiesen. Die Untergangsangst erreichte 1979 nochmals einen neuen Höhepunkt, als die Weltlage angesichts der Revolution im Iran und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan völlig aus dem Ruder zu laufen schien und der Ölkurs auf einen zehn Jahre zuvor noch für unmöglich gehaltenen Wert von 38 Dollar pro Barrel kletterte.

    Doch schon ab den frühen 80er Jahren stellte sich die saudische Führung hinter den neuen konservativen US-Präsidenten Ronald Reagan und ließ sich bereitwillig in dessen Projekt einspannen, die Sowjetunion durch niedrige Rohstoffpreise in die Knie zu zwingen. Gerade diese Entwicklung machte aber auch deutlich, wie grundfalsch zuvor all jene lagen, die Peak Oil, also den angeblich bevorstehenden Höhepunkt der Ölforderung und den daraus resultierenden apokalyptischen Endkampf der Menschheit um die letzten Ressourcen prognostiziert hatten. Heute, knapp 50 Jahre nach dem Erscheinen der Meadows-Studie, ist der Ölangebotsüberhang so hoch wie nie – was auch in der Vor-Corona-Zeit schon so war! Eine Lehre aus der damaligen Krise könnte also gerade darin bestehen, den Untergangspredigern aller Couleur mit einem gesunden Misstrauen zu begegnen.

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    Welt.Wirtschaft.Krisen

    9 Kommentare

    1. Zündet wohl nicht so richtig, das Thema. Wetten , daß noch die Arie von dem "zuverlässigen und preiswerten " russischen Öl/Gas gesungen wird ? Wenn Deutschland von seinem industriellen Wasserkopf befreit ist und mit ihm von allen Übeln, welche die Industrie gebracht hat, dann können Russkis und Saudis ihr Zeug selbst saufen und studierte Volkswirte Bürgergeld bentragen.

    2. Vor 50 Jahren versaute der Westen das gute deutsch-arabische Verhältnis,
      heute versaut der Westen das gute deutsch-russische Verhältnis.

    3. Unter dem Artikel "Teil 1" zu dieser Thematik habe ich ja schon einige Aspekte grob umrissen.
      Nun laß ich auf RT folgenden Artikel:

      https://pressefreiheit.rtde.live/europa/184981-nahostkonflikt-plaene-fuer-eu-handelsroute/

      "…Er sollte eine Art Anti-Seidenstraße werden und nicht nur wirtschaftlich mit China konkurrieren: Der IMEEC-Handelskorridor sollte über die Arabische Halbinsel bis nach Indien führen. Nun steht das Projekt vor dem Aus.
      …Mit dem erneuten Ausbruch der Gewalt in Nahost sind die Voraussetzungen nicht mehr gegeben. Zentral für das Projekt war die weitere Annäherung von Saudi-Arabien und Israel. Dieser Prozess wurde durch den Angriff Israels auf Gaza gestoppt. Für den Westen und allen voran für die EU ist das ein schwerer Rückschlag. China ist der EU um Längen voraus, was die Vernetzung des eurasischen Kontinents mit Handelsrouten angeht. …
      …Zudem drohen auch in den Ländern Nordafrikas aufgrund der einseitigen Haltung der EU zum Nahostkonflikt Rückschläge. Für China gilt das nicht…"

      Man ist sich im Westen mehrheitlich überhaupt noch nicht im Klaren, welch dramatische wirtschaftliche Folgen der Nahost-Konflikt haben kann und aller Voraussicht nach tatsächlich auch haben wird.

    4. Peter vom Berge am

      Zeitverschiebung

      Was wäre geschehen, wenn diese friedlichen Spaziergänger einer Gruppe von Verrückten begegnet wären, die sich als "Letzte Generation" bezeichnen und den Weltuntergang für das Jahr 1984 ankündigen – das Jahr, in dem "die Erde verbrennen" wird?

      Wäre die Gechichte dann anders verlaufen? Das fragt sich meine Katze, die gerade ihre Lieblingsmaus küsst:

      /\_/\
      ( o.o ) >
      > ^ < ~

    5. Rápido González am

      Nachtrag zum Artikel:
      =====================
      Vor dem Jom Kippur-Krieg und der Verhängung des Embargos der erdölproduzierenden Staaten, wurde das Faß Öl mit $ 2,90 und danach, Januar 1974, mit $ 11,65 gehandelt. Die OPEC-Staaten stellten die Öllieferungen ein nach den USA, Niederlanden, Portugal, Rhodesien & Zuid-Afrika. Zu der Zeit fuhren die Amis noch ihre "Normalautos" mit V 8-Motoren, welche etwa 20 bis 30 Liter per 100 km soffen. Weite Schichten waren durch die Preiserhöhungen betroffen, gehört doch in den weiten USA das Auto zum Broterwerb.
      Ich hielt mich zu der Zeit in verschiedenen Teilen der USA auf. Erinnere mich daher an Benzin-Rationierung. An manchen Tankstellen gab’s nur Höchstmengen von 10 Gallonen ( ca. 38 Liter ). Dann konnte man nur an dem – geraden / ungraden – -Wochentag tanken, wenn dieser mit der geraden / ungeraden Endzahl des Kennzeichens übereinstimmte. In Texas baute man die Emotionen über die hohen Preise wie folgt ab: Es hing an manchen Tankstellen an einem Mast das Riesenfoto eines Rabbiners. Der Tankwart gab dem wütenden Kunden den Ballermann, damit er dem Rabbi zeigen konnte, was ein "Sieb" ist . . .

    6. jeder hasst die Antifa am

      Wenn eine Ricarda Lang uns erklären will wie Wirtschaft funktioniert,dann kommt man sich wie in einer Karnevalsveranstaltung vor wo der Redner einen Witz nach dem anderen reißt,bloss die meint das noch ernst,

    7. jeder hasst die Antifa am

      Die Grünen können froh sein das wir den Klimawandel haben und die Deutschen dadurch Heizkosten sparen,sonst würde deren Wirtschaftspolitik noch schneller in die Katastrophe führen.

      • Weil CO2 Pflanzenfutter ist, müssen wir dankbar sein, wenn es ansteigt, denn Kümmerwuchs und Überbevölkerung verursachen Aufstände.