Verzweiflung in Mecklenburg-Vorpommern: Nord Stream 2 ist beerdigt, Fischerei und Landwirtschaft ächzen unter den hohen Energiepreisen. Für Politik und Medien ist Russland der Schuldige. Doch die Betroffenen sehen das anders.

    Es folgen Auszüge aus dem Artikel „Die Not an der Küste. Bäcker, Bauern und Fischer im Würgegriff“. Vollständig lesen Sie den Artikel in der Maiausgabe von COMPACT-Magazin. Hier bestellen.

    _ von Paul Klemm

    Auf dem Grund der Ostsee liegt ein kolossaler Leichnam. Tonnenschwer, 2.460 Kilometer lang, ummantelt von Beton und geschmiedet aus ultrafestem Spezialstahl. Nagelneu, betriebsfertig – und dennoch tot. Als eine Hauptader für Energie sollte Nord Stream 2 jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas ins Gebiet der Europäischen Union liefern.

    Drei Jahre Bauzeit und Gelder in siebenstelliger Höhe wurden dafür investiert. Ab September 2021 war die Pipeline einsatzbereit. Fünf Monate später, am 22. Februar, stoppte Bundeskanzler Olaf Scholz die Zertifizierung und beerdigte damit das deutsch-russische Mega-Projekt.

    Washington drohte mit harten Sanktionen.

    Michael Bertram kann das nicht verstehen: «Warum schlägt man von heute auf morgen Türen zu, die man eigentlich braucht?» Der Greifswalder Unternehmer stemmt sich auf der Seebrücke von Lubmin gegen den rauen Meereswind und blickt hinüber zum Industriehafen, wo Nord Stream 2 das deutsche Festland erreicht. Hinter Dünen und Kiefern ragen Maschinenhäuser, Lagerhallen und Fabrikschlote in die Höhe. Auf der Fläche eines stillgelegten Atomkraftwerks hat sich dort seit der Wende eine Vielzahl von Firmen angesiedelt.

    Fischer Björn Michalak: Er gehört zu den letzten Vertretern einer sterbenden Branche. Foto: Autor

    Eigentümer des Geländes ist der Zweckverband Energie- und Technologiestandort Freesendorf, in dessen Aufsichtsrat Bertram seit gut zwei Jahren sitzt. Er befürchtet nur, dass der Name schon bald nicht mehr zutreffend sein könnte: «Wenn zukünftig keine Energie mehr kommt, werden wir natürlich auch kein Energiestandort mehr sein.»

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    Amerikas Angstkulisse

    Dass die Ablehnung gegenüber der neuen Pipeline wächst, hat der 57-Jährige schon lange bemerkt. Der Ukraine-Konflikt sei ein willkommener Anlass gewesen, um zu sagen, dass man keine Lust mehr habe. Grund zum Feiern für die USA, deren Drohgebärden das Projekt zunehmend überschatteten: «Es wurde immer mehr eine Angstkulisse vonseiten der Amerikaner aufgebaut. Ausgeufert ist es dann, als man den Hafen auf Rügen behindert hat.» Im Oktober 2020 hatte Washington ein Ultimatum gestellt, das allen Unternehmen, die an den Bauarbeiten beteiligt waren, harte Sanktionen androhte. So auch dem Fährhafen von Sassnitz-Mukran. Dessen Vorstandsmitgliedern wurde in einem Brief dreier US-Senatoren sogar die Einreise untersagt und angekündigt, dass ihr Eigentum in den Vereinigten Staaten eingefroren werde.

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    Die Gesellschaft Gas for Europe, die den 54 Kilometer langen deutschen Part der Pipeline betreiben sollte, rüstete Schulen mit Computern aus und bezuschusste Sport und Kultur, etwa das Jugendorchester Baltic Sea Philharmonic oder den Volleyball-Bundesligisten SSC Palmberg Schwerin.

    Die letzten Fischer

    Mit seiner noch vor Kriegsbeginn gefällten Entscheidung, den Energiestrang nach Osten zu kappen, hat Scholz diese Netzwerke quasi über Nacht schockgefrostet. Etlichen Unternehmen sind nun die Aufträge weggebrochen, Jobs stehen massenhaft auf der Kippe. Hinzu kommt, dass die Preisexplosion bei Treibstoffen die Region besonders hart trifft. Denn die sprithungrige Landwirtschaft ist nach dem Tourismus ihre größte Einnahmequelle. Früher einmal spielte auch die Fischerei eine bedeutende Rolle. Doch die Branche ist seit Jahrzehnten im Niedergang begriffen, könnte jetzt sogar den Todesstoß erhalten.

    Gasleitungen an der Anlandestation von Nord Stream 2 in Lubmin. Foto: Autor

    Einer ihrer letzten Vertreter im Greifswalder Bodden ist Björn Michalak. Als ich ihn im Hafen des 800 Jahre alten Dorfes Wieck zum Gespräch treffe, ist der Chef der lokalen Fischereigenossenschaft gerade damit beschäftigt, Heringen den Bauch aufzuschneiden. Es regnet, und das Blut der frisch gefangenen Fische läuft in Rinnsalen über den Kai. Oben im Gestänge der Boote hocken Möwen und lauern darauf, sich die Innereien zu krallen. Michalak hat vier Kutter, drei betankt er mit Diesel, einen mit Benzin. Bei den jetzigen Preisen müsse er zweimal überlegen, ob er rausfährt oder nicht. «Mit Ruderboot wird das nämlich nichts», scherzt der 42-Jährige. Sein alter Kollege prustet herzhaft los und präsentiert dabei die wenigen verbliebenen Zähne.

    Landwirt Thomas Fischer aus Breechen wünscht sich eine Freigabe der staatlich verordneten Öko-Flächen. Foto: Autor

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    Im Bodden, wie die relativ flache See vor Usedom genannt wird, brachte die Verlegung von Nord Stream 2 zusätzliche Probleme mit sich. Die Bauarbeiten hätten den Boden «völlig verhunzt», so Michalak. Dort sei «alles tot». Und nun werde die Pipeline nicht einmal in Betrieb genommen, liege nutzlos in der Gegend herum. «Die quatschen jeden Tag was Neues», ärgert sich der Kutterfahrer und wischt sich einen Blutspritzer aus dem Gesicht. Seine Fänge sind kleiner geworden und müssen im urigen Fischladen um die Ecke zu erhöhten Preisen verkauft werden, um die Kosten noch decken zu können. «So wie das in den Kaufhallen passiert, muss das bei uns auch passieren.»

    In der Inflationsspirale

    Welche Ausmaße die Teuerung hat, führt mir ein Bäcker aus der Region eindrücklich vor. Der Besitzer von über dreißig Filialen, der namentlich lieber unerwähnt bleiben möchte, zeigt mir eine Tabelle, in der er seine Ausgaben für Zutaten und Hilfsmittel im letzten und in diesem Monat gegenübergestellt hat. Er verzeichnet nicht nur eine Erhöhung von 39 Prozent bei Weizenerzeugnissen, sondern auch von 66 Prozent bei Glukosesirup, 42 Prozent bei Eiweiß oder 15 Prozent bei Plastehaltern für Kaffeebecher. Etliche weitere Preise sind in die Höhe geschnellt.
    Den inflationären Trend gebe es jedoch nicht erst seit Kriegsbeginn. «Es ging los, als die Lieferketten durch Corona zusammenbrachen. Richtig doll wurde es Anfang dieses Jahres, als das Versorgungsnetz noch mehr unter Druck geraten ist. Förmlich explodiert ist es dann mit dem Krieg in der Ukraine.» Dass es in den letzten Monaten so rapide verlief, führt der Bäcker auch auf mediale Panikmache und Hamsterkäufe zurück. «Mit der Angst der Leute ist richtig Geld zu verdienen.» Jeder Anbieter wolle die Situation nutzen, um sich zu bereichern, und springe deshalb auf die gefährliche Entwicklung auf. Sie sei also eher die Folge eines entfesselten Marktes als realer Knappheit.

    Handwerk in Not: Den Bäckern in Mecklenburg-Vorpommern steht das Wasser bis zum Hals. Foto: Autor

    Ähnliches vermutet auch Thomas Fischer, Viehhalter aus Breechen: «Teurer ist das Gas ja nicht. Putin liefert immer noch zum gleichen Preis. Das ist doch alles künstlich hochgeschraubt.» Für ihn und seinen Kollegen, einen Ackerbauern aus Groß-Kiesow, ist die Lage mehr als ernst. Von der Inflation auf dem Getreidemarkt profitieren die Landwirte, wie man zunächst vermuten könnte, kein bisschen. Denn die erzielten Gewinne werden durch die horrenden Kosten komplett aufgefressen. Für Düngemittel etwa verlange man inzwischen das Vier- bis Fünffache des Vorjahrespreises. Doch auch hier hat sich die Katastrophe über Monate hinweg abgezeichnet. Angeblich hätten die deutschen Düngemittelwerke schon vor dem Krieg nicht mehr produziert, weil es sich für sie aus Kostengründen nicht mehr lohnte.

    Michael Bertram aus dem Aufsichtsrat des Industriegeländes ist erschüttert über das Aus der Pipeline. Foto: Autor

    Warum intervenierte die Regierung nicht, um die heimische Herstellung am Laufen zu halten? Vielleicht sei der Zusammenbruch ja genauso von ihr beabsichtigt, grübelt Fischer. Schließlich stehe nahezu alles, was gerade geschieht, auch im Wahlprogramm der Grünen. Wütend ist er vor allem auf den Landwirtschaftsminister der Öko-Partei, Cem Özdemir. Der beharrt eisern darauf, dass eine gewisse Fläche des Ackerlandes für den Klimaschutz freigehalten werden müsse. «Wir rollen auf eine weltweite Hungerkrise zu», warnt der Groß-Kiesower. Zwar nicht in Deutschland, das sich mit Weizen autark versorgen könne, aber in anderen Erdteilen, in denen jetzt die Importe aus der Ukraine und Russland wegfallen. Da gebiete es doch die Menschlichkeit, dass jeder verfügbare Quadratmeter mit Lebensmitteln bestellt wird.

    Die pommerschen Dörfer wappnen sich für den Kollaps. Einige Kollegen hätten sich bereits einen 30.000-Liter-Tank gekauft und mit Diesel befüllt, um über die Ernte zu kommen, berichten die Bauern. Ein anderer habe sich im Gemeinderat Auskunft über Notstromaggregate, Brunnen und Wasserpläne geholt. Wenn Organisationen wie Greenpeace mit ihrer Forderung nach einem Embargo russischer Energie durchkommen, drohen flächendeckende Stromausfälle. Erst am 24. März belagerten Aktivisten der Umwelt-NGO die Anlandestation von Nord Stream 1 und protestierten: «Stop gas! End war!»

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    Dieser Artikel erschien vollständig im COMPACT-Magazin 05/2022. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form  hier bestellen.

    15 Kommentare

    1. „grüner Wasserstoff statt Öl- und Gasimporte“ aus dem Bundestagswahlprogramm der Grünen paßt doch. Die Abkehr von der Öl- und Gasabhängigkeit von Russland hat die Umsetzung des Programmes nur beschleunigt. Anstatt das Wahlvolk von einer zwanghaften Umsetzung überzeugen zu müssen, hat der Ukraine-Krieg den Prozess der Umkehr nur beschleunigt. Da brauchen die Grünen jetzt keine Krokodilstränen vergießen, wenn andere Schuld an der Umkehr haben.

    2. Für die neue Rot/Rot/Gelbe Regierung
      Bezahlen sollen sie alle –
      So ist das, wenn man das falsche Pack in den oberen Etagen wählt und immer wieder wählt.
      Ein Zeichen von unendlicher Dummheit und Naivität.

    3. Fehlinvestition! Wer sich in Gefahr begibt kommt darin um.
      Mit Trump wär das natürlich nicht passiert, oder?

      Wieviele Atomkraftwerke hängen hier eigentlich noch am Netzt? Hab gehört, dass die Zunahme von Russengaslieferungen proportional zu deren Abschaltungen sein soll, wahrscheinlich negativer dekadischer Logarithmus.

      Wussten Sie schon, durch die Abschaltung von 7 Meilern verloren rund 4000 Menschen ihren Arbeitsplatz.

      • @Prawda
        Au, au… Merkelsche Mathematik. Wo das hinführt, erleben wir gerade.
        Aber warum Trump? War der das mit dem "Atomausstieg"?

    4. Warum diktiert eigentlich der Ami vitale Entscheidungen Europas? Warum lassen die Politiker hier das zu? Sind die alle erpressbar? Oder Verräter? Wann hat denn Europa zuletzt im Gegenzug eine vitale Entscheidung in den USA diktiert?

      • Alter weißer Mann am

        Naivlinge leben halt in Tagträumen
        Du bist politisch ungemein gebildet

      • ach, die amis haben die deutsche energiewende diktiert? frau merkel, herr schröder, sie kaufen ab sofort russisches gas ein, um den industriebetrieb an flautetagen sicher zu stellen?

    5. jeder hasst die Antifa am

      Je Grüner die Regierung um so weniger werden wirkliche Probleme die die Mehrheit betrifft angepackt,statt dessen kümmert man sich um Genderwahn,Minderheiten, Multikulti und Krampf gegen Rääächts also alles Sachen die den normalen Bürger null Interressieren.Immer wenn Deutschland einen Grünen Außenminister stellt gibt es Krieg und Deutschland zahlt dafür Milliarden.

    6. Das haben noch nicht alle Ossis erkannt am

      Dieses BRD Regime verfolgt keine deutschen Interessen, sondern nur transatlantische

    7. jeder hasst die Antifa am

      Um dieses Dilemma zu beenden,wählt die richtige Partei an die Regierung,alle bisherigen haben kläglich versagt.

    8. Deutschlands Kollaps am

      Was Merkel in 16 Jahren nicht schaffte, das schaffen diese grünroten Spinner und Verbrecher in nur wenigen Monaten….

    9. Nicht jammern –

      Das grüne Wahlprogramm wurde schon lange offen diskutiert
      Und nun wird der Wählerwille umgesetzt
      90% der Bürger haben hirnbefreit diese Figuren gewählt.

      Fazit – Der dumme Wähler wollte das so bekommen !

      • friedenseiche am

        ich glaube seit monaten immer mehr
        dass die wahlergebnisse massiv anders sind als veröffentlicht

        es kann doch nicht so viele millionen geisteskranke geben die auf der einen seite
        handys autos usw manipulieren können und bedienen
        auf der anderen seite nicht mitkriegen dass sie vernichtet werden durch preistreiberei und krieg und ewig so weiter

        ich würde zu gerne von einem engel das wahre wahlergebnis erfahren