In Bayern sind sie etabliert. Und auch in anderen Bundesländern scheinen die Freien Wähler langsam aus der Nische herauszuwachsen. In Berlin nehmen die Neulinge nun erstmals Parlamente ins Visier – vor allem dank prominenter Zuwächse. Warum so viele der CDU den Rücken kehren, verdeutlicht COMPACT-Spezial Verrat am Wähler – Geschichte und Gegenwart der Altparteien. Hier mehr erfahren

    Am Donnerstagabend endete für Dirk Steffel eine persönliche Ära. 36 Jahre lang war der heute 51-Jährige Mitglied der CDU, zuletzt als stellvertretender Kreisvorsitzender. Seit 1991, so ist seinem Xing-Profil zu entnehmen, sitzt er in der Bezirksverordnetenversammlung – dem Kommunalparlament – des Berliner Stadtteils Reinickendorf. Doch nun ist Schluss. „Leider sehe ich für mich als überzeugten, weltoffenen Konservativen keine andere Möglichkeit“, sagte er dem Boulevard- und Berliner CDU-Hausblatt B.Z.

    Anlass sei die Unterstützung der Reinickendorfer Bundestagsabgeordneten Monika Grütters für die Nominierung Armin Laschets als Kanzlerkandidat gewesen – gegen das eindeutige Votum des Kreisverbandes. Doch Steffels Verweis auf „Klüngelpolitik“ und Personalentscheidungen aus „machttaktischen Gründen“ lässt erahnen: der Haussegen hing schon länger schief.

    Frontmann Luthe

    Eine neue Heimat hat Steffel – Bruder des einstigen Berliner Spitzenkandidaten und jetzigen Bundestagsabgeordneten Frank Steffel – bereits gefunden: die Freien Wähler. Deren Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl im September, Marcel Luthe, nahm das Angebot dankend an: „Mit Dirk Steffel als engagiertem und bestens vernetztem Reinickendorfer verstärken wir Freie Wähler unsere Verankerung in den Bezirken deutlich.“

    Auch Luthe gehört den Freien Wählern erst seit wenigen Wochen an. 2016 war er für die FDP ins Abgeordnetenhaus eingezogen. Unter anderem als Mitglied im Anis-Amri-Untersuchungsausschuss übertrafen Luthes persönliche Beliebtheitswerte bald die seiner Partei – 35 Prozent der Berliner fühlen sich nach einer INSA-Umfrage ganz oder teilweise von ihm vertreten.

    Dennoch – oder gerade deshalb – schloss ihn die FDP-Fraktion im vergangenen Sommer aus. Mitte April kündigte Luthe als Spitzenkandidat der Freien Wähler sein Comeback an. Ebenfalls auf deren Liste für das Landesparlament: Der in Berlin nach wie vor bekannte frühere Polizeidirektor Michael Knape und der Anti-Mobbing-Aktivist Carsten Stahl.

    Der Übertritt Steffels könnte sich für das Team um Luthe als echter Coup erweisen. In anderen Teilen Berlins ist der Lokalpolitiker unbekannt – doch in Reinickendorf ist er eine Größe. Und der in weiten Teilen gut situierte Bezirk im Norden der Stadt ist die letzte verbliebene Hochburg der CDU. Oft holten die Christdemokraten dort absolute Mehrheiten, auch 2016 wurden sie – trotz herber Verluste – mit weitem Abstand stärkste Kraft.

    Nach der Laschet-Entscheidung soll es auch in der Reinickendorfer Union Austritte gehagelt haben. Nun könnte Steffel Reinickendorf zur Basis der in Berlin erst 2019 gegründeten Freien Wähler ausbauen. Drei Prozent genügen in Berlin für den Einzug in eine Bezirksverordnetenversammlung.

    Schon in drei Landtagen

    Freuen dürfte diese Entwicklung den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, im Nebenberuf Vorsitzender des Bundesverbandes Freie Wähler. Deren Filiale in Rheinland-Pfalz gelang im März der Einzug in den Landtag. Seit 2014 sitzen zudem BVB/Freie Wähler im Brandenburger Landtag, die mit dem Bundesverband kooperieren.

    Das politische Ziehkind ihres Fraktionsvorsitzenden Peter Vida fällt im Plenum immer wieder mit unkonventionellem Abstimmungsverhalten auf und ist keine belächelte Randerscheinung mehr. Vielleicht zum Ärger der CDU – denn diese hatte den damaligen Kommunalverordneten Vida 2004 ausgeschlossen.


    Das waren noch Zeiten: Als in der SPD Helmut Schmidt den Ton angab, als in der CSU ein Franz Josef Strauß munter polterte oder als ein Jürgen W. Möllemann die FDP zu neuen Höhen führte! Wie aus Volksparteien Parteien gegen das Volk wurden, zeichnen wir in COMPACT-Spezial Verrat am Wähler – Geschichte und Gegenwart der Altparteien akribisch nach. Die umfassende Analyse können Sie hier bestellen.

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