Wegen der Corona-Krise fallen Theater-, Kino oder Konzertbesuche vorerst flach. Durch Ausgangsbeschränkungen wird die eigene Wohnung gezwungenermaßen zum Refugium. Umso besser, wenn man ein paar gute Bücher zur Hand hat, um die Zeit sinnvoll zu überbrücken. Wir stellen Ihnen heute ein ganz besonderes Werk vor. Unser Kulturtipp aus COMPACT 3/2020.

    „Wildgänse rauschen durch die Nacht“: Dieses einst in der Wandervogelbewegung beliebte und später unter anderem von Heino neu vertonte Fahrtenlied ist heute nahezu vergessen. Das gilt auch für den Dichter der Zeilen: Walter Flex. Der 1887 geborene Eisenacher war nicht nur Literat, sondern auch Soldat. Er konnte sowohl mit der Feder als auch mit der Waffe umgehen. 1917 fiel er als Infanterist an der Ostfront.

    «Libro e Moschetto – Lebensbilder von Dichtersoldaten» (156 Seiten, gebunden, 16,00 Euro). Zur Bestellung HIER oder auf das Bild klicken.

    Walter Flex ist kein Einzelfall, auch Ulrich von Hutten, Theodor Körner, Gabriele D’Annunzio, Gorch FockHermann Löns und natürlich Ernst Jünger, dessen Geburtstag sich am 29. März zum 125. Mal jährt und an den COMPACT in Ausgabe 3/2020 mit einem umfangreichen Dossier erinnert, waren Dichtersoldaten.

    Körner war der große Dichter der Befreiungskriege; den Angehörigen der Lützower Jäger riss 1813 im Forst Rosenow eine französische Kugel in den Tod. Nach Gorch Fock, der eigentlich Johann Wilhelm Kinau hieß, ist das bekannte Segelschulschiff der Bundeswehr benannt; er ging 1916 in der Seeschlacht am Skagerrak mit seinem Kreuzer unter. Hermann Löns fiel 1914 bei Loivre in der Nähe von Reims und verfasste Prosatexte wie Der Wehrwolf oder Gedichte wie „Auf der Lüneburger Heide“.

    D’Annunzio schuf mit seinen Römischen Elegien bleibende Werke. Er nahm im September 1919 mit einer Gruppe von Freischärlern, den Arditi, die Adria-Stadt Fiume für Italien ein. Und Ulrich von Hutten, der auch als erster Reichsritter bekannt ist, forderte 1518 mit seinem Aufruf Ad principes Germanos ut bellum Turcis inferant die deutschen Fürsten dazu auf, gemeinsam gegen die Expansion der Osmanen vorzugehen. Er schlug sich auf die Seite Luthers, sagte den „ungeistlichen Geistlichen“ die Fehde an und geriet so in Konflikt mit dem Papst in Rom.

    Sie alle werden in dem von Johannes Scharf und Peter Steinborn herausgegebenen Sammelband Libro e Moschetto  (dt.: Buch und Karabiner) vorgestellt – mit kundigen Porträts verschiedener Autoren, die sowohl die militärischen Leistungen als auch das schriftstellerische Werk der kampferprobten Lyriker und Romanciers würdigen.

    So heißt es in dem Buch über Ernst Jünger:

    (…) Nur mit großer Mühe gelingt es Jüngers Vater, seinen Sohn nach sechswöchiger Legionärszeit über eine Intervention des Auswärtigen Amtes nach Deutschland zurückzuholen; eine Episode, über die Jünger später in seiner Novelle Afrikanische Spiele berichten wird. Nur ein Jahr später meldet sich Jünger kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Freiwilliger beim traditionsreichen Füsilier-Regiment 73 in Hannover und wird nach Notabitur und kurzer militärischer Ausbildung an die Champagne-Front in Frankreich abkommandiert.

    Nach einer ersten Verwundung beschließt Jünger auf Anraten seines Vaters, die Offizierslaufbahn einzuschlagen, nimmt als Leutnant an der Somme-Schlacht (24. Juni bis 26. November 1916) teil, erhält nach seiner dritten Verwundung das EK I und wird mit der Bildung eines Stoßtrupps für besonders kühne Aktionen zur Aufsprengung feindlicher Reihen beauftragt. Jüngers Einheit wird im Sommer 1917 nach Flandern verlegt, wo Jünger auf dem Schlachtfeld von Langemarck durch einen unglaublichen Zufall auf seinen schwer verwundeten Bruder Friedrich Georg trifft und dafür sorgt, dass dieser in ein Lazarett zurücktransportiert wird. Nach einer weiteren Verwundung in der Doppelschlacht von Cambrai wird Jünger das Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern verliehen, im März 1918 nimmt er an der großen Michael-Offensive teil, mit der Ludendorff den Sieg für das Deutsche Reich erzwingen will und die Jünger später in dem Buch Feuer und Blut – Ein kleiner Ausschnitt aus einer großen Schlacht schildern wird.

    Beim Vorrücken verliert Jünger am 19. März 1918 durch einen Granateneinschlag fast seine gesamte Kompanie und wird drei Tage später selbst durch zwei Schüsse verletzt. Jünger schilderte die Szene später wie folgt: „Ich glaubte, ins Herz getroffen zu sein, doch empfand ich bei der Erwartung des Todes weder Schmerz noch Angst. Im Stürzen sah ich die weißen, glatten Kiesel im Lehm der Straße. Ihre Anordnung war sinnvoll, notwendig wie die der Sterne und verkündete große Geheimnisse.“ Fünf Monate später, als Jünger in der Schlacht von Baupaume wieder einmal an vorderster Stelle nach vorne stürmt, trifft ihn ein Lungenschuss und er verliert soviel Blut, dass er in wenigen Minuten verblutet sein würde. In seinem Kriegstagebuch In Stahlgewittern schildert er: „Nun hatte es mich endlich erwischt … Als ich schwer auf die Sohle des Grabens schlug, hatte ich die Überzeugung, dass es unwiderruflich zu Ende war. Und seltsamerweise gehört dieser Augenblick zu den ganz wenigen, von denen ich sagen kann, dass sie wirklich glücklich gewesen sind.“

    Doch Angehörige seiner Kompanie, bei denen Jünger als der „ruhige Leutnant“ mittlerweile in höchstem Ansehen steht, bringen ihn zu einem Verbandplatz, wobei ein Sanitäter, der ihn tragen hilft, und danach ein anderer Soldat, der ihn auf die Schulter nimmt, durch Kopfschüsse getötet werden. (…)

    Die Autoren packen in Libro e Moschetto – Lebensbilder von Dichtersoldaten auch heiße Eisen an. Ein Porträt beschäftigt sich etwa mit Kurt Eggers, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat der Waffen-SS fiel. Nach ihm wurde später eine Kriegsberichterstatter-Einheit benannt. Vorgestellt wird auch Léon Degrelle, belgischer Kollaborateur und vormaliger Führer der katholisch-nationalistischen Rexisten-Bewegung, der mit seinen Memoiren und Kriegserinnerungen wie Meine Abenteuer in Mexiko, Die verlorene Legion und „Denn der Haß stirbt…“. Erinnerungen eines europäischen Kriegsfreiwilligen auch als Schriftsteller bekannt wurde.

    Über Kurt Eggers heißt es in Libro e Moschetto:

    Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, lässt sich Eggers freiwillig an die Front versetzen: „Nun, da die Entscheidungsstunde nahe herbeigekommen ist, stehe ich wieder dort, wohin ich gehöre: in der vordersten kämpfenden Front. Ich bin Kommandant eines mittleren Panzers und fahre in der Kampfstaffel. Abend für Abend sitze ich mit meinen jungen Kameraden beisammen. Wir sprechen viel von Vergangenen, von Ferne, von Unerreichbarem, noch mehr aber von morgen, von Einsatz, von Gefahr und Bewährung. Wir sind stolz und glücklich, unsere gefürchteten Panzer in die Reihen der Feinde fahren zu dürfen. Wir sind dankbar, die ersten am Gegner zu sein. Das soll mein bescheidener Dank an Deutschland sein, dass ich als Soldat und Dichter in dieser gewaltigen männlichen und revolutionären Zeit leben, dichten und kämpfen durfte.“ In der Schlacht bei Isjum, weit im Osten, als Panzerkommandant in der 58-Division Wiking – wie immer bei einem Angriff in vorderster Linie – findet sein Leben dann auch seine ihm gemäße Erfüllung. Posthum wird er noch wegen besonderer Tapferkeit zum Obersturmführer der Waffen-SS befördert.

    Genau so groß wie die Anzahl sind auch die Genres seiner Werke. Als Verfasser zahlreicher Dramen, Geschichten, Lieder, Bühnenspiele, Romane, Gedichte und natürlich den politisch- weltanschaulichen Stücken, hinterlässt Kurt Eggers mehr als fünfzig Werke. Neben seinen Romanen ist Eggers wohl am meisten durch seine kriegsphilosophischen Werke bekannt geworden. In Vater aller Dinge, Die kriegerische Revolution, Von der Freiheit des Kriegers und Vom mutigen Leben und tapferem Sterben analysiert er auf eindrucksvolle Art das Wesen des Kriegers, aber auch den Auftrag eines jeden Soldaten. So lässt erst die Überwindung der eigenen Angst den Soldaten in das „Reich der Freiheit“ aufsteigen.

    Hier knüpft er an Friedrich Schiller an, der bereits in seinem Reiterlied 1798 verkünden ließ: „Der dem Tod in‘s Angesicht schauen kann, Der Soldat allein, ist der freie Mann.“ Als Vorbild diente auch Clausewitz, in dem er den Begründer der modernen Lehre von der Soldatenehre sah: „Er hat den Drill der preußischen Armee die Forderung und Erkenntnisse Kants beigegeben und damit die preußischen Regimenter ethisch weit über die sieggewohnten Armeen Napoleons sich erheben lassen.“ (…)

    Weitere Kämpfer mit „Feder und Schwert“, die in Libro e Moschetto – Lebensbilder von Dichtersoldaten vorgestellt werden, sind T. E. Lawrence alias Lawrence von Arabien, Felix Steiner, Baldur von Schirach, Fritz Stüber und Dominique Venner. Die insgesamt 14 Porträts sind sachkundig und mit viel Herzblut verfasst. Der gediegen gestaltete Sammelband eignet sich hervorragend, um gerade jüngere Leute mit Schriftstellern vertraut zu machen, die heute auf keinem Lehrplan für den Deutschunterricht stehen. Aber auch für alle anderen ist er eine wahre Fundgrube und ebenso kurzweiliger wie wissensvermittelnder Zeitvertreib für lange Abende bei einem guten Glas Wein.


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