Big Brother USA hält Deutschland besetzt. Was kann eine Opposition dagegen tun? Brauchen wir einen Regierungssturz oder einen Systemwechsel? Welchen Einfluss kann jeder Einzelne über seine Konsumentscheidungen ausüben? Ein Streitgespräch. Die Debatte zwischen Ken Jebsen und Jürgen Elsässer ist in COMPACT-Heft Oktober 2013 erschienen.

    Jebsen: Die schweigende Mehrheit wird auch morgen weiter schweigen, wenn sie weiter profitiert. Es gibt nicht «die» Schuldigen – auch die großen Banken, die großen Trusts können das, was sie machen, nur machen, weil der kleine Sparer sein Geld dorthin bringt. Da muss man sich die Frage stellen: Gibt es eine andere Art von Banken? Und immer, wenn du zum Telefonhörer greifst, gehen die Daten an eine amerikanische Privatfirma. Und da arbeiten ja auch sehr viele Deutsche. Das heißt, wir sitzen mit denen quasi mit im Boot, verdienen unser Geld dort mit.

    Elsässer: Das Einfachste wäre doch, wenn eine deutsche Regierung sagt: Die Kommunikationsnetze sind wichtig für die nationale Sicherheit, die werden nicht privatisiert, schon gar nicht ins Ausland. Aber wir haben ja, auch unter freundlicher Beratung durch angloamerikanische Hedgefonds, alles Mögliche privatisiert: Die Wasserversorgung, die Stromversorgung, und eben auch diese Netze. Das ist aber kein Naturgesetz, das sind falsche Entscheidungen unsrer Regierung, unter dem Einfluss von US-Amerikanern getroffen. Und diese Entscheidungen könnten genauso gut wieder revidiert werden, ohne dass da irgendeiner arbeitslos wird. Die werden eben dann von einer deutschen Firma bezahlt.

    Jebsen: Natürlich wäre das alles möglich. Die Franzosen sind da sehr eigenständig und haben ihre eigenen Server. Wenn man sich darüber echauffiert, wie es im Moment läuft, dann darf man eben auch nicht an dem partizipieren, was einem bisher geholfen hat. Wenn eine Mail von hier nach Neukölln geht, aber tatsächlich meistens über amerikanische Server geht: Das ist der Preis der Globalisierung. Man muss sich dann klarmachen, wenn man das nicht möchte, sondern eine andere Welt, also kleinere globale Netze, dass man das selber in der Hand hat.

    Privatsphäre selbst schützen?

    Elsässer: Du sagst jetzt, das ist der Preis der Globalisierung. Eine ähnliche Diskussion hatten wir bei der Finanzkrise. Als die mit dem Bankrott von Lehmann Brothers 2008 ausgebrochen ist, da haben viele Leute gesagt: Das ist der Preis der modernen Finanzwirtschaft, beziehungsweise des Kapitalismus. Wenn wir das nicht wollen – so wie Du das jetzt auch sagst –, dann müssen wir uns eben da rausziehen. Ich habe immer bei der Finanzkrise vertreten, und jetzt auch bei der NSA-Affäre: Das ist kein spontaner Selbstlauf, der sich aus der technologischen Entwicklung ergibt, sondern ein gezielter Angriff der entsprechenden angloamerikanischen Agenturen.

    Und diesem Angriff kannst du dich als Privatmensch nur sehr begrenzt entziehen. Du kannst natürlich sagen: Ich bleib‘ raus aus Facebook und so weiter, das geht. Aber heute hast du schon Ämter, die verlangen von dir, dass du die Formulare online ausfüllst. Das heißt, du kommst aus der Sache als Privater nur begrenzt raus. Und durch individuelle Konsumentenentscheidungen können wir uns kaum retten, sondern wir müssen die Regierung stürzen, die in dieser Weise Vasallendienste für die fremde Macht vollzieht. Amerikanische Kanzlerin? Weg!

    Jebsen: Natürlich. Nur, ich mache Angela Merkel persönlich keine Vorwürfe für das, was sie sagt, weil: Angela Merkel ist ja quasi der George Clooney ihrer Generation, das sind ja nicht ihre Texte. Das kriegt sie aufgeschrieben, die äußert das dann – und Peer Steinbrück ist bestimmt keine Alternative. Die kommen ja alle aus dem selben Pool, sind vorgecastet. Aber, weil Du gesagt hast, der einzelne Bürger kann individuell nicht so viel machen: Ich habe es in meinem eigenen Leben getan. Ich habe gesagt, OK, was kann ich individuell leisten, wo kann ich aussteigen aus Systemen, von denen ich weiß, die werden miss-braucht und gegen mich benutzt? Ich bin nicht mehr bei einer systemrelevanten oder großen Bank, von der ich weiß, dass da zwar «Deutsche Bank» draufsteht, das aber gar keine deutsche Bank ist. Ich bin bei einer ganz kleinen Bank, wo ich bestimmen kann, wo das Geld hingeht, in lokale Projekte.

    Ken Jebsen und Jürgen Elsässer
    Ken Jebsen, Jürgen Elsässer

    Elsässer: Ken, Du hast die Commerzbank genauso mit gerettet, wie ich auch!

    Jebsen: Gegen meinen Willen!

    Elsässer: Ja, eben!

    Jebsen: Nur: Ich bin ja nun mal Opfer von Dingen, die einfach über meinen Kopf entschieden werden. Und ich bin auch dafür, dass die Bevölkerung sich empört und vielleicht mal kollektiv etwas machen würde, wozu ich ja schon lange angeregt habe: Vielleicht mal einen Monat zuhause bleiben… Dann wüsste Angela Merkel schon, was los ist.

    Elsässer: Ich finde, Du drehst da ein zu großes Rad. Du sagst, man muss eigentlich aus den Wahlen ganz aussteigen oder kann gar niemanden mehr wählen, das sind ja alles Betrüger. Aber das macht niemand. Das ist der Aufruf zur Revolution – aber die Deutschen machen keine Revolution! Die Deutschen wären bereit, Merkel zu stürzen, in einer bestimmten konkreten Situation wie jetzt, aber dann muss man auch auf den Punkt nageln. Gibt es «kleinere Übel»?

    Jebsen: Du sagst zu mir, ich würde gerne am großen Rad drehen. Das ist genau das, was ich immer sage. Es hat überhaupt keinen Sinn, das blaue Puzzleteil auszutauschen, Du musst das gesamte Puzzle sehen. Und ich glaube, wenn wir einen Systemwechsel wol-len, dann müssen wir bei uns selber anfangen. Wir dürfen Verantwortung für ganz wesentliche Dinge einfach nicht mehr an irgendwelche Regierungsver-treter outsourcen.

    Elsässer: Dann bist Du bei der Rätedemokratie.

    Jebsen: Ich weiß nicht, wie Du das nennen willst, aber es fängt doch damit an, wenn Du zur Zapfsäule greifst – das ist von Amerikanern gefördertes Benzin. Es gibt kein Ökobenzin. Und jetzt fragst Du Dich: Ja, wie soll ich denn aus der Nummer raus-kommen? Das ist sehr, sehr schwierig. Aber erst, wenn Du das machst, hast Du eine Chance auf eine wirkliche Veränderung. Weil: Sonst stolperst Du ja immer nur in eine angebotene Veränderung, mit welchem Kanzler auch immer. Oder, stellen wir uns mal vor, Gregor Gysi, Jürgen Trittin, wer auch immer, sitzt dann dort – und dann ist die Welt ganz anders?

    Elsässer: Man muss doch eines zugeben, es ist nicht einfach, das zuzugeben, aber man muss es doch zugeben: In der Situation 2002/2003, Irakkrieg, war es ein Segen, dass Gerhard Schröder an der Macht war und nicht Angela Merkel. Oder nicht?

    Jebsen: Natürlich, aber Gerhard Schröder hat doch nicht gesagt, er geht nicht in diesen Krieg, weil er gegen den Krieg war. Gerhard Schröder war schon im nächsten Job mit drin! Gerhard Schröder und Joschka Fischer sind übrigens diejenigen, die die ganzen großen Waffendeals eingefädelt haben.

    Elsässer: Nein, aber Du kannst jetzt nicht wieder alles mit allem vermischen. Ich hätte auch nie Schrö-der gewählt oder zur Wahl von Schröder oder der SPD aufgerufen. Also das habe ich lange hinter mir; die letzte SPD-Wahl war bei mir 1976, glaube ich. Ich will keine Reklame machen für diese sozialverräterische Politik. Aber trotzdem bleibt es doch wahr, dass – auf diesen Krieg bezogen – Schröder das kleinere Übel war!

    Jebsen: Ich möchte mit Dir bestimmt nicht über Schröder und Fischer und Co. reden. Warum? Ich rede mit Dir ja auch nicht über Bruce Willis, da kommt halt ein Neuer. Das hat ja gar keinen Sinn. Ich glaube nicht mehr daran, dass Parteien unsere Probleme lösen.

    Elsässer: Natürlich sind die Parteien nicht die Alternative. Aber ich sage Dir eines: Wenn Du da hinwillst, dass das Volk, unabhängig von den Parteien, eine Regierung aus dem Volk, durch das Volk und für das Volk bildet: Das erste, das notwendige Durchgangsstadium dahin ist, dass das Volk eine bestimmte Regierung stürzt. Ohne diese Bedingung geht es nicht! Das Schweizer Modell

    Jebsen: Da widerspreche ich Dir gar nicht, nur: Ich habe mich schon lange davon verabschiedet: Jemand Neues soll kommen und meine Probleme lösen. Ich brauche Angela Merkel nicht, aber auch keinen Joschka Fischer, ich brauche die nicht. Weil Du sagst: Wählst Du? Ich wähle jeden Tag, durch das, was ich konsumiere. Ich bin aus diesen ganzen Global-Player-Anbietern ausgestiegen. Ich kaufe gar nichts von Monsanto, ich kaufe kein durchgeknalltes Fleisch, ich bin bei keinem Monster-Provider, ich mache das alles gar nicht. Und natürlich würde ich gerne eine andere NATO-Politik haben und eine andere Finanzpolitik, aber das Erste, was wir überwinden müssen, ist doch die Ohnmacht. Und was hilft bei der Überwindung von Ohnmacht? Spott! Hohn und Spott. Warum ist denn in Italien ein Komiker wie Beppe Grillo erfolgreich? Weil er ehrlich ist, weil er keine Position verkaufen muss. Weil: Er hat das Geld, dass er an Wahlkampfspenden bekommen hat, in Mikrokredite gegeben, an die Leute rausgegeben. Ich bin gegen diese Art Berufspolitiker, die, wenn sie dort drin sind, Karriere machen, alles sagen müssen, weil sie ja keinen alternativen Job haben.

    Elsässer: Deutschland ist nicht souverän, sondern ein besetztes Land. Das ist eine Botschaft, die wir ver-breiten müssen. Aber sie soll nicht mit dem Unterton verbreitet werden, dass das bedeutet, wir könnten nichts ändern! Ich habe aber auch Schwierigkeiten – das bezieht sich jetzt weniger auf Ken, sondern auf eine Meinung aus dem Publikum – wenn so wahnsinnig getrommelt wird für die Revolution und den Systembruch. Sieht man doch in Ägypten. Die haben eine Revolution gemacht, ist gar nichts dabei rausgekommen, jetzt schneiden die sich gegenseitig die Köpfe ab. Was wir brauchen, ist eine ruhige, entschlossene Veränderung, etwa in Richtung Schweizer Modell. Das heißt, Ergänzung der Parteienmacht durch Volks-macht, über Volksentscheide. Das ist eine relativ kleine Änderung, aber eine sehr wichtige, die dem Volk die Möglichkeit gibt, Gesetze der Parteien zu stoppen oder eigene Gesetze auf den Weg zu bringen. Wenn wir das hinkriegen, wäre sehr viel gewonnen.

    Ken Jebsen, über zehn Jahre Moderator beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und TV, betreibt heute das Internet-Portal kenfm.de. 

    Jürgen Elsässer ist Chefredakteur von COMPACT-Magazin.

     

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