Berlin, 1926: Die Hauptstadt ist fest in der Hand der Roten. Doch dann schickt Hitler seinen begabtesten Agitator an die Spree.

    Im Juni 1926 sitzt Joseph Goebbels an seinem Schreibtisch und verfasst einen NS-Propagandaartikel. Er schreibt:

    „Der Machtstaat beginnt auf der Straße. Wer die Straße erobern kann, kann auch einmal den Staat erobern.“

    Damit hatte der Agitator aus dem Rheinland formuliert, was sein politisches Leben in den kommenden Jahren bestimmen sollte. Hitler schickte den 1897 geborenen Spross einer frommen Kleinbürgerfamilie von seiner rheinischen Heimat in die Reichshauptstadt, um das „rote Berlin“ für die Nationalsozialisten zu erobern. Niemand anders wäre dafür besser geeignet gewesen als der promovierte Germanist mit seiner messerscharfen und aufputschenden Rhetorik und seiner strategischen Brillanz.

    Der deutsche Sozialist

    Dabei hatte Lenin-Verehrer Goebbels ursprünglich ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Hitler. Als sie sich am 6. November 1925 in Braunschweig zum ersten Mal begegneten, war der Rheinländer durchaus fasziniert vom NS-Führer. In seinem Tagebuch vermerkte er:

    „Alles hat dieser Mann, um König zu sein. Der geborene Volkstribun. Der kommende Diktator.“

    Kurz darauf, am 22. November 1925, gründete Gregor Strasser seine sogenannte Arbeitsgemeinschaft Nordwest – der den linken Flügel der NSDAP repräsentierte. Goebbels war federführend bei der Ausarbeitung eines Programms beteiligt. Die sozialistisch geprägte Agenda hob sich deutlich von Hitlers Vorstellungen ab, was später zum Bruch mit den Strasseristen führte.

    Eine Aufnahme aus der Frühzeit der NSDAP: Delegation der Partei bei dem vom Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund organisierten Deutschen Tag in Coburg, Oktober 1922. Foto: Bundesarchiv, Bild 119-5519 / CC-BY-SA 3.0

    Erst auf einer im Februar 1926 in Bamberg abgehaltenen Führertagung verfiel der spätere Reichspropagandaminister ganz dem Charisma Hitlers und stellte sich gegen die Strasser-Leute. Dennoch schrieb Goebbels noch am 6.Dezember 1931 in der von ihm aufgebauten Berliner NS-Gauzeitung Der Angriff:

    „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke (…) Nichts ist uns verhasster als der rechtsstehende, nationale Besitzbürgerblock.“

    An Spree und Havel hatte Goebbels mit diesem Kurs Erfolg. Das kam nicht von ungefähr. Der Historiker Jan von Flocken schreibt dazu:

    „Die Reichshauptstadt zeigte ein Bild krasser Gegensätze von Ober- und Unterschicht. Vor allem die Wohnungsnot machte vielen das Leben zur Hölle. Drangvolle Enge in lichtlosen Straßenzügen, Mietskasernen mit fünf Hinterhöfen, kleine und muffige Wohnungen, bröckelnde Wände, verschmutzte Rinnsteine und an jeder Ecke eine Destille. Noch 1925 besaßen von 1.081.000 registrierten Wohnungen 401.000 keine Innentoilette. So hauste vor allem das Proletariat. Das Leben bestand aus Arbeit und Armut, Krankheit, Suff und Prügeleien.“

    Und weiter:

    „Krise und Notzustände schlugen sich auch auf das Gebaren der kommunalen Würdenträger nieder. Im Gefilde der hauptstädtischen Politik wehte generell ein rauer Wind, und die Parlamentarier gingen mit schlechtem Beispiel voran. So räsonierte der SPD-Bezirksbürgermeister Friedrich C. Lange schon Ende Mai 1926 in seinem Groß-Berliner Tagebuch über die Stadtverordnetenversammlung: ‚Der Ton der Debatten ist oft würdelos.‘ Im Rathaus dominierten ‚parlamentarische Disziplinlosigkeit der Flügelparteien links und rechts, die keine Achtung vor dem politischen Gegner kennen und den Mangel an sachlichen Argumenten durch (…) Verunglimpfungen zu ersetzen suchen‘.“

    Das kommt einem irgendwie bekannt vor…

    Mit SA und Angriff zum Sieg

    Goebbels brachte den desolaten Berliner Gauverband auf Vordermann. Er straffte die Parteiorganisation, setzte vor allem auf Provokation und Straßenkampf. Neben der neuen NS-Zeitung Der Angriff, die vor allem Goebbels als werbewirksames Sprachrohr diente, setzte der neue Gauleiter vor allem auf die SA als schlagkräftige Truppe.

    Jan von Flocken dazu:

    „In der Reichshauptstadt prallten die politisch-ideologischen Gegensätze besonders heftig aufeinander. Seit Joseph Goebbels 1926 NS-Gauleiter von Berlin geworden war, versuchten die Nationalsozialisten vor allem in traditionell roten Stadtvierteln Präsenz zu zeigen. Das galt auch für den Arbeiterbezirk Friedrichshain. Hier operierte der SA-Sturm 5 seit Anfang 1929 unter der Führung von Horst Wessel.“

    Goebbels hielt große Stücke auf den Pfarrerssohn. Im Januar 1929 notierte er in seinem Tagebuch:

    „Ich höre in Friedenau die Rede des Pg. Wessel gegen die Reaktion. Ein braver Junge, der mit einem fabelhaften Idealismus spricht! Nachher noch Besprechung mit ihm. Er bedauert den Mangel an Aktivismus der S.A.“

    Wahlplakat der NSDAP von 1930.
    Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Unter Goebbels‘ Führung blühte die NSDAP in der Hauptstadt förmlich auf: Machten bei den Reichstagswahlen 1928 lediglich 1,6 Prozent der Berliner ihr Kreuz bei den Braunen, zwei Jahre später waren es schon 14,6 Prozent. 1932 kam die NSDAP in Berlin auf 28,6 Prozent, bei den letzten freien Reichstagswahlen am 5.3.1933 war der Anteil der NS-Partei auf 34,6 Prozent gestiegen.

    Goebbels blieb eine schillernde Figur. Als Hauptfeindbild hatte er schon bald Berlins jüdischen Polizeichef Bernhard Weiß, den er stets „Isidor“ nannte, auserkoren.

    Als ideologisch sehr flexibel wiederum erwies sich der Berliner NS-Gauarbeiter im Zuge des Streiks bei der Berliner Verkehrsgesellschaft. Da reichte er sogar dem späteren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht die Hand.

    26 Kommentare

    1. Raiffeisen war ein großartiger Deutscher, national und sozial, aber weder nationalistisch noch sozialistisch. Er motivierte die sog. kleinen Leute, sich wirtschaftlich zu vereinigen zu einer unbesiegbaren großen Kraft. Zwei Weltkriege und sogar noch die 2008er-Krise haben Raiffeisens Genossenschaften hervorragend bewältigt, besser als manch globaler Konzern.

      Auch Bismarck war ein großartiger Preuße und Deutscher. Als gefestigter Adliger hatte er eine wiederholt verhängnisvolle Kombination aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn nicht nötig. Wehrhaft ohne globales Ausgreifen machte Bismarck die Deutschen und das Deutsche Reich rund um die Erde beliebt und vorbildlich. xxxxx

      COMPACT: Was soll die Unterstellung? Wir haben in dem Heft auch Porträts über Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht u.ä. Aber dazu müssten Sie das Heft erst einmal lesen…

    2. Mehrfach KZ-Leiter Himmler, z.T. beschönigend mit Töchterlein, mehrfach Goebbels-Großmaul, mehrfach Hakenkreuzlergruppen, jeweils ohne kritische Bildunterschrift – Compact zerstört sich mit solch nationalsozialistischer Propaganda selbst, obwohl Compact derzeit für den Wiederaufbau einer vitalen bürgerlichen Kultur wichtig wäre. Doch derzeit kann man ohne für verrückt gehalten zu werden Compact nicht mehr weiterempfehlen.

      Sozialdarwinismus und Chauvinismus aus Großbritannien, Führerkult aus dem Katholizismus, Faschismus aus Italien, Gleichschalterei aus dem Marxismus – diese wesentlichen Komponenten des Nationalsozialismus sind fremde Introjekte, die ebenso wenig deutsch sind wie heutzutage der transatlantische Globalismus.

      Gutenberg, Leibniz, Kant, Goethe, Schiller, Beethoven, Bertha und Carl Benz und die vielen anderen Erfinder, Wissenschaftler und Unternehmer aus dem 19. Jahrhundert, Bestes aus Deutschland für die Menschheit, alles kein Thema für Compact.

      Das transgenerational vererbte Leid aus zwei mutwillig von sich deutsch nennender Herrschaft entfesselten Weltkriegen verbietet es mir, weiterhin an Compact zu spenden. Auch graut es mir mittlerweile, Compact weiterhin zu lesen.

      • Alter weiser, weißer Mann am

        "Mehrfach KZ-Leiter Himmler, z.T. beschönigend mit Töchterlein, mehrfach Goebbels-Großmaul, mehrfach Hakenkreuzlergruppen, jeweils ohne kritische Bildunterschrift"

        Na und, was willst du damit sagen?
        Historisches Wissen gegen Null, aber die Staatspropagandas zu 100% verinnerlicht nachplappern.

        • Alt und weiß, aber auch weise? Gerade wegen der Staatspropaganda und ihres Framings sind Sachkunde und Sensibilität überlebenswichtig für alternatives Wirken.

          Alt und weiß bin ich auch. Neben einem erfolgreich abgeschlossenen staatlichen Geschichtsstudium mit eigenen Quellenforschungen habe ich mir auch oft und ausführlich Berichte von noch älteren Menschen aus den Zeiten seit WK1 angehört.

          Ob schwarz wie in Italien, ob braun wie im Dritten Reich, ob rot wie im Stalinismus oder ob grün wie dieser Tage: Wegen ihres moralisierenden Ungestüms fasziniert totalitäre Politik moralisierend ungestüme jüngere Menschen.

      • Otto Baerbock am

        "… aus zwei mutwillig von sich deutsch nennender Herrschaft entfesselten Weltkriegen …"

        Alles klar. Muß man weiter nix zu sagen … – gute Reise!

    3. In Washington DC gibt es ein böses/lebensfeindliches Brüderpaar.
      Das sich gegenseitig deckt.

      Die FED und das Pentagon.

      Letzteres ist ja das wohl mit Abstand größte "Verteidigungs"ministerium der Welt.
      Fast 500m! Durchmesser.
      Baubeginn an 9/11 1941.

      "Willst Du nicht mein (-> FED) Schuldner sein schlag ich (-> Pentagon) Dir den…".

      Was könnten Herr H, Saddam Hussein, Gaddafi und JFK gemeinsam haben?

      1. daß sie die FED nicht mochten?
      2. daß sie nicht ihr natürliches Lebensalter erreichten?

      Zu Herrn H kann man ja mal hier reingucken, ab Seite 29.
      "Brechung der Zinsknechtschaft" etc.
      Und Mr. Farrell ist definitiv kein Nazifreund.

      https://shopify.mosquito-verlag.de/downloads/4420271931444/farrell-babylons-bankster-leseprobe.pdf

      • Als der Herr Gaddafi vor der UN sprach, forderte er übrigen die lückenlose Aufklärung über den Anschlag an JFK. Der konnte sich schon denken wer dahinter steckte. Lebte aber dann ja nicht mehr lange.
        https://archive.org/details/jfk_20200810

    4. Otto Baerbock am

      " So räsonierte der SPD-Bezirksbürgermeister Friedrich C. Lange schon Ende Mai 1926 in seinem Groß-Berliner Tagebuch über die Stadtverordnetenversammlung: ‚Der Ton der Debatten ist oft würdelos.‘ Im Rathaus dominierten ‚parlamentarische Disziplinlosigkeit der Flügelparteien links und rechts, die keine Achtung vor dem politischen Gegner kennen und den Mangel an sachlichen Argumenten durch (…) Verunglimpfungen zu ersetzen suchen‘.“ "

      Ja, da drängt sich der Gedanke ja förmlich auf: Berlin … ist sich – zumindest in diesem Punkt – offensichtlich gleich geblieben.

      • Das bei Kriegsende geplante 4. Reich, ohne Hitler und Himmler, sollte Arnstadt in Thüringen als Hauptstadt bekommen.
        Kam allerdings nicht mehr dazu.

        • Otto Baerbock am

          Mir wär mittlerweile so ziemlich alles recht … wenns bloß nicht Bürlün ist!

    5. Wolfgang Eggert am

      man reisse sich "die tagebücher von Joseph goebbels" unter den nagel. die wurden in drei serien aufgelegt: zuerst 4bändig, dann durch etliches anfangs zurückgehaltenes material ergänzt 15bändig, am ende erschienen dann noch reine fragmentbände. goebbels schrieb ehrlich und berührbar, für sich selbst – dieser schatz wurde dem autoren unter dem toten körper weggezogen. für historisch interessierte, die die kurzweil schätzen.

      • Wie verblendet muss man sein, als das man Goebbels Prograganda als "…wahren schatz…" bezeichnet?! Und gleichzeitig sich über die GEZ und die ÖRF als Propoganda beschweren… hahaha.

        • Wie verblendet muss man sein, sich über die GEZ und ÖRF als Propaganda zu beschweren, aber gleichzeitig deren Lügen und Gräuelpropaganda glauben?

      • Hast du großer Geschichtsforscher das selber erforscht?

        Goebbels konservierte die Tagebücher bewußt für die Nachwelt. Dabei griff er auch zu modernen Konservierungsmaßnahmen.
        Nach dem Krieg gelangte ein Teil der Tagebücher in sowjetische Hand, danach in die DDR, ein anderer Teil in die BRD. Die Erschließung der Quellen gestaltete sich daher schwierig und zog sich über Jahrzehnte hin. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion 1990 war die Quellenlage für Historiker verbessert.

        Ab 1992 wurden die Goebbels-Tagebücher von Ralf Georg Reuth in fünf Bänden herausgegeben , wurden dabei jedoch stark gekürzt und politisch korrekt kommentiert. Eine vollständige Veröffentlichung der Tagebücher steht somit noch aus.

    6. Eure schräge, fast anbiedernde Thematisierung der Hitler-Nationalsozialisten wird immer ekelhafter für Kriegsopfer und ihre Angehörigen, also für fast alle angestammten Deutschen. Kein Wunder, wenn ihr Wut auf euch zieht und von manchen Leuten politisch und juristisch verfolgt werdet.

      • Alter weißer Mann am

        Nur paar Anmrrkungen

        Ich bin noch im Reich geboren
        Und was hier die umerzogenen BRD Schafe vom sich geben ist quasi potenzierter Blödsinn

        eEltern

        • Ahja, und wie alt waren Sie als es unterging? 4? Da haben Sie sich sicherlich eine solide Meinung bilden können.

        • Alter weiser, weißer Mann am

          @ Dorian Grau
          alt genug um später mit vielen Zeitzeugen zu sprechen. und faktensichere Literatur zu lesen.
          Übrigens , ich bin gegen das betreute Denken der sog. BRD

      • Nach William Toel wurden nach! Kriegsende 13 Millionen Deutsche ermordet.
        (Sind ja bis heute nur noch 60 Millionen)
        ?

        Ist wohl nur schwer zu erklären.
        Bei moralisch so hochstehenden Alliierten.
        Oder?

      • Die Deutschen waren keine Kriegsopfer von Hitler-Nationalsozialisten.
        Ekelhaft ist diese Geschichtsverdrehung und Schuldzuweisung.

      • Otto Baerbock am

        # Huber

        Kannst ja Anzeige erstatten – die ‚Staatsanwälte‘ von Tuntistan werden sicher ihr Möglichstes versuchen um COMPACT zu verbieten.

    7. Es ist immer wieder amüsant wie Compact et al. einerseits Vergleiche zwischen der NS-Zeit und der heutigen Regierung zieht um diese zu denunzieren. Gleichzeitig schwingt immer wieder eine, mehr oder weniger subtile, Bewunderung und Liebe mit den Nationalsozialisten mit: „Der Machtstaat beginnt auf der Straße. Wer die Straße erobern kann, kann auch einmal den Staat erobern.“

      • Die damaligen 12 Jahre, erweitert 31, dürften wohl zu den komplexesten der Weltgeschichte zählen.
        Hat aber leider immer noch nicht jeder gemerkt.
        Auch nicht daß der linke Globalismus erst nach dem WK2 richtig an Fahrt aufnahm.

        PS schon mal von der britischen "balance of power" gehört?
        Der, jahrhundertelang praktizierten, britischen Strategie dominante Mächte auf dem europäischen Kontinent zu verhindern?

        Und das british empire war das Weltreich daß der Weltherrschaft bisher am nächsten kam.

        Während Hitler praktisch noch nicht mal eine Flotte hatte.

        Aber ohne die Beherrschung der Meere (vergleiche mit dem Video mit George Friedman "der Tod kommt aus Amerika") keine Weltherrschaft.

        • Heute besonders kommentierfreudig: Und, wollen Sie die "balance of power" zur Relativierung der NS-Zeit heranziehen? Schwaches Argument.