Interview mit Peter Scholl-Latour bzw. ein Auszug, aus COMPACT-Ausgabe Nummer 1. (Dezember 2010)

    Jürgen Elsässer: Kommen wir zurück zur eurasischen Perspektive.

    Peter Scholl-Latour:  Dafür ist Russland der Schlüssel, das deutsch-russische Verhältnis. Aber nicht im Sinne von Rapallo und Tauroggen …

    Jürgen Elsässer:  … den deutsch-russischen bzw. preußisch-russischen Verträgen von 1923 und 1806 …

    Peter Scholl-Latour:  Das waren Sonderbündnisse, gegen den Westen gerichtet, das geht heute nicht. Aber wirtschaftlich ist Russland unsere Chance. Russland hat die Rohstoffe, die wir brauchen. Jetzt muss nur noch mehr darauf geachtet werden, dass das Geld für Investitionen nicht versickert. Ich bin zuversichtlich: Putin und Medwedew haben die notwendige Autorität. Mit anderen Worten: Der Geheimdienst FSB regiert.

    Russland unter Putin

    Jürgen Elsässer: In unseren Medien wird genau das als Horror dargestellt: Ein autokratisches Land mit einer mächtigen Geheimpolizei, wie früher.

    Peter Scholl-Latour: Russland muß in gewissem Maße autokratisch regiert werden, anders geht das gar nicht. Ohne starke Zentralgewalt bilden sich an den Rändern des Riesenreiches lauter Ganovenrepubliken, die auf eigene Rechnung wirtschaften. Aber so undemokratisch, wie es viele westlichen Medien dargestellt werden, geht es auch nicht zu. Die europäischen Zeitungen werden von den Desinformationszentralen der USA mit Geschichten über Russland gefüttert, und da sie ihre eigenen Auslandskorrespondenten eingespart haben, können sie den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten nicht mehr überprüfen. Auch die deutsche Presse steht unter Druck. So hat etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung seinerzeit sehr verdienstvoll aufgelistet, welche US-Institutionen im einzelnen die orange Revolution in der Ukraine im Jahr 2004 finanziert haben. Der Artikel erschien aber unter einer Überschrift, die diese Aussage ins Gegenteil verkehrte: Warum die US-Finanzierung unbedeutend gewesen sei.

    (…)

    Jürgen Elsässer: Die Beteiligung an den US-Kriegen hält Deutschland vor Extratouren Richtung Russland und China ab. Dabei macht diese Beteiligung, wie Oskar Lafontaine zurecht warnte, unser Land noch nicht einmal sicherer, sondern holt uns den Terror geradewegs vor die Haustür.

    Peter Scholl-Latour: Das sagen doch auch die US-Geheimdienste in ihren Expertisen. Selbstverständlich hat der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan die Terrorgefahr bei uns erhöht. Wobei man nicht alles auf Osama bin Laden schieben sollte. Der hat die Anschläge des 11. September bestimmt nicht organisiert. Er hatte doch in seiner afghanischen Höhle keine Flugpläne aus den USA, um irgend etwas zu koordinieren. Und falls er heute überhaupt noch lebt, kann er kein Telefon, kein Fax und kein Internet benutzen, wenn er nicht sofort geortet werden will. Wie kann er da Terror in Auftrag geben?

    Jürgen Elsässer: Es muss sich vieles ändern. Womit beginnen?

    Peter Scholl-Latour: Die NATO ist obsolet. Damit meine ich nicht das politische Bündnis mit den USA. Aber die militärische Einbindung hat keinen Sinn mehr. Ich erinnere an Staatspräsident Charles de Gaulle. Er hat eine klare Unterscheidung gemacht: In der Auseinandersetzung mit Moskau war er immer an der Seite der USA, in der Berlin-Krise etwa stand er für einen ganz harten Kurs. Aber unter seiner Führung ist Frankreich 1966/67 aus der integrierten Militärstruktur des Bündnisses ausgeschert, ohne die Mitgliedschaft in der NATO insgesamt aufzukündigen.

    Das Interview führte Jürgen Elsässer

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