Hatten die Nationalsozialisten geheime Basen in der Antarktis? Starteten von dort aus neue Wunderwaffen? Haben diese Stationen sogar den Zweiten Weltkrieg überdauert? In der Populärkultur grassieren solche Legenden. 

    Wo ist Captain Jonathan Archer? Er ist irritiert, als er die Augen aufschlägt und sieht, dass er sich mitten in einem Feldlazarett befindet, allerdings nicht in der Welt und der Zeit, die ihm vertraut sind. Der Raumschiffkommandant kann sich noch erinnern, dass die Erde im Jahr 2154 beinahe durch einen nuklearen Dritten Weltkrieg vernichtet wurde, die Menschen jedoch kurz vor der drohenden Katastrophe Kontakt mit Außerirdischen vom Planeten Vulkan aufgenommen hatten. Diese errichteten eine sozialistische Weltgesellschaft, die den Frieden für die Menschheit brachte. Die Erde war gerettet.

    Für Miguel Serrano war Hitler die Inkarnation des Gottes Vishnu.

    Nun ist Archer in einer alternativen Zeitlinie aufgewacht, man schreibt das Jahr 1944, er befindet sich in deutscher Gefangenschaft. Dem Dritten Reich ist es gelungen, andere Aliens, die Na‘kuhl, auf seine Seite zu ziehen. Diese haben die Nazis mit Superwaffen versorgt, die Hitler die Besetzung der USA ermöglichten. Vor dem Weißen Haus weht die Hakenkreuzfahne. Der Captain muss die Zeitlinie korrigieren, um den deutschen Endsieg zu verhindern…

    Dies ist die Handlung von «Storm Front», eines Zweiteilers, der die vierte Staffel der Serie Star Trek: Enterprise einleitet. Auf den ersten Blick ähnelt der Stoff Philip K. Dicks Science-Fiction-Roman The Man in the High Castle, doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: das Eingreifen von Aliens in das Weltgeschehen. Verarbeitet haben die Drehbuchautoren dabei zwei obskure UFO-Theorien, die bis heute nicht nur durch den polit-esoterischen Untergrund, sondern auch durch die Populärkultur wabern.

    Esoterischer Hitlerismus

    Der Chilene Miguel Serrano (1917–2009) war zur Zeit des Kalten Krieges Spitzendiplomat, amtierte unter anderem als Botschafter in Indien und Jugoslawien. Er pflegte Freundschaften zu Hermann Hesse, C. G. Jung und dem Dalai Lama. Zunächst in marxistischen Kreisen unterwegs, hatte er sich Ende der 1930er Jahre dem Nationalsozialismus zugewandt.

    Dieser war für ihn allerdings weniger eine politische Idee als vielmehr eine Art von Religion. Serrano verschlang die Schriften von SS-Forschern, -Mystikern und -Okkultisten wie Otto Rahn, Herman Wirth und Karl Maria Wiligut. Er befasste sich mit mittelalterlichen Gnostikern und verband hinduistische sowie tantrische Lehren mit Ariosophie – und er war fest überzeugt davon, dass Adolf Hitler und seine Getreuen 1945 in die Antarktis geflohen sind.

    Angriff aus dem All: Im Computerspiel «Iron Sky Invasion: Meteorblitzkrieg» kehren die Nazis vom Mond auf die Erde zurück. Als Vorlage diente die gleichnamige Science-Fiction-Komödie von 2012. Foto: Promo

    Über den von ihm zur Heilsgestalt erhobenen NS-Führer schrieb Serrano in seinem Buch Das Goldene Band (1984):

    Hitler war das Werkzeug, durch das hindurch ein Geiststrahl aufleuchtete. Bei der Einweihung war ihm die Vril-Kraft, die sieghaft-magische Energie (…) verliehen worden. Gegen ihn wurden nun sämtliche Kräfte des Schattens und des Todes (…) entfesselt. Deshalb mussten wir ihm helfen. Es wurde ein Krieg der Götter und Dämonen. Ein kosmischer Krieg, der auf Erden ausgetragen wurde und dort die allerdramatischsten Formen annahm.

    Für Serrano waren die Asen, die germanischen Götter, in Wirklichkeit Außerirdische, die den Menschen am Nordpol – in Hyperborea – vor langer Zeit einen heiligen Funken gaben, ihnen Intelligenz und eine Seele verliehen. Doch Jahwe, der Gott des Alten Testaments, der in Wirklichkeit ein böser Schöpfergott (Demiurg) sei, habe Hyperborea, die Urheimat der Arier, zerstört, um die Menschen in der materiellen Welt gefangen zu halten.

    Der chilenische NS-Esoteriker Miguel Serrano hielt es für möglich, dass Hitler durch ein «astrales Wurmloch» in ein Paralleluniversum entkommen sein könnte. Foto: Miguel Sayago / Alamy Stock Foto

    Daraufhin hätten sich die Asen ins Innere der Erde zurückgezogen, um von dort aus den Kampf gegen den Demiurgen fortzuführen – auch mithilfe legendärer Krieger wie den Argonauten, den Templern und den Rittern des Königs Artus.

    Ihr Wissen werde von Eingeweihten weitergetragen – zunächst von den Katharern, die im 15. Jahrhundert als Ketzer verfolgt wurden, später von der Geheimgesellschaft der Rosenkreuzer und schließlich vom innersten Zirkel der SS.

    Die Nazis, meinte Serrano, seien von den Asen mit überlegener Technik wie den Ufo-ähnlichen Reichsflugscheiben ausgestattet worden, um die Welt vor dem Demiurgen zu retten.

    Dieser habe sich insbesondere das Judentum und die Freimaurerei zunutze gemacht. Hitler war für den Chilenen kein herkömmlicher Mensch, sondern Kalki, die zehnte und letzte Inkarnation des Hindu-Gottes Vishnu, der am Ende des Kali Yuga, des dunklen Zeitalters, auftauche, um das Böse zu vernichten und ein neues goldenes Zeitalter einzuläuten.

    In seinem Buch Adolf Hitler – Der letzte Avatar  schrieb Serrano:

    Von Zeit zu Zeit erscheinen die Avataras, die die göttlichen Führer sind, von jenseits der Sterne, um ihren Helden-Kameraden zu helfen. So verkörpert Wotan-Vishnu sich im letzten Avatar, Adolf Hitler.

    Da dessen welthistorischer Auftrag noch nicht erfüllt sei, harre der «Führer» in Neuschwabenland in der Antarktis aus, um mit dem «Letzten Bataillon», einer apokalyptischen Flugscheiben- und Superwaffeneinheit, zurückzukehren und die Vorsehung zu erfüllen.

    UFO-Kommunismus

    Man mag es kaum für möglich halten, aber zu der Nazi-Esoterik Serranos gibt es ein kommunistisches Pendant: die UFO-Theorie des Argentiniers Juan Posadas (1912–1981). Schon in seiner Jugend schloss sich der gelernte Schuhmacher und Profifußballer aus La Plata der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung an, 1941 wandte er sich dem Trotzkismus zu, in den 1960ern spaltete er sich mit seinen Getreuen ab und begründete den sogenannten Posadismus. Der Lateinamerikaner war schon früh an Grenzwissenschaften, Esoterik und Ufologie interessiert – und integrierte dies mit der Zeit in seine Ideologie.

    Juan Posadas glaubte an die Verwirklichung des Sozialismus durch Außerirdische.

    Posada war davon überzeugt, dass der Kommunismus bereits realisiert worden sei – aber nicht von Menschen auf der Erde, sondern von Aliens im All. Im Gegensatz zum Marxismus – und in Übereinstimmung mit der zyklischen Sicht des Hinduismus, der Serrano anhing – sah er die Menschheit in einer zunehmenden Abwärtsspirale befindlich, hervorgerufen durch den geistigen Verfall im Kapitalismus.

    Das werde, so Posadas‘ Ansicht, irgendwann in einem Atomkrieg enden. Dieser sei, schrieb er 1968 in einem Essay, nicht nur Katastrophe, sondern auch ein «revolutionärer Befreiungskrieg» und «der Beginn der Weltrevolution», nach der das kommunistische Paradies auf Erden errichtet werden könne – und zwar durch fremde Wesen aus dem Weltraum, die mit Ufos zu uns kämen.

    Der Marxist Posads setzte auf eine Revolution von Aliens, die per UFOs auf die Erde reisen. Foto: ktsdesign | Shutterstock.com

    Posadisten glauben, dass genau dieses Ereignis in allen großen Religionen vorausgesagt wird – etwa in der biblischen Apokalypse. Außerirdische seien nicht von Klasseninteressen beeinflusst und deshalb als Einzige dazu in der Lage, den Kapitalismus zu überwinden. Als Esoteriker war Posadas davon überzeugt, dass das Stoffliche lediglich eine Illusion sei.

    In vollkommenem Widerspruch zum Historischen Materialismus – und auch hier in Übereinstimmung mit Serrano – betrachtete der Argentinier die materielle Welt als ein Gefängnis, in dem der Mensch förmlich zur Gier gezwungen sei, erpressbar und kontrollierbar gemacht werde. Die Lösung lag für ihn in der Emanzipation von der Materie, hin zu «reiner Energie» – deren Wirklichkeit er durch Experimente Nikola Teslas bewiesen sah.

    Schlangendämon und Hydra

    Politisch blieben sowohl der Esoterische Hitlerismus von Serrano als auch der Posadismus Randerscheinungen. In Brasilien hat Guilherme Monteiro die Ideen des Argentiniers aufgegriffen, zeigte sich jedoch weniger an UFOs interessiert als vielmehr an sowjetischen Parapsychologie- und Telepathieforschungen. Monteiro vertritt die Idee, dass der Mensch das Potenzial zum Gott habe, aber von seiner wahren Natur getrennt sei. Seine Göttlichkeit könne er unter anderem mithilfe von Magie erreichen.

    Captain America kämpft gegen die SS-Männer von Hydra.

    In die Fußstapfen Serranos trat der japanische Zen-Buddhist und frühere Mönch Haku Zynkyoku. Seiner Ansicht nach ist der Demiurg ein Überbleibsel aus einem zerstörten Paralleluniversum. Er sei identisch mit dem Schlangendämon Yamata no Orochi aus dem Shintoismus, der in langen Zeitabständen immer wieder auftauche, um die menschliche Zivilisation zu vernichten. Zynkyoku glaubt, Hitlers Ziel sei es gewesen, Yamata no Orochi in einem okkulten Kampf zu besiegen, während die US-amerikanische Machtelite und die Rothschilds diesen Dämon anbeten würden.

    Wesentlich größer ist der Einfluss der obskuren Theorien auf die Populärkultur. Bestes Beispiel ist die fiktive Geheimorganisation Hydra aus den Captain-America-Comics von Marvel: Sie wurde kurz nach Hitlers Machtergreifung vom SS-Mann Johann Schmidt gegründet und sollte ursprünglich Superwaffen für das Dritte Reich entwickeln. Nach der Niederlage der Nazis konnte Hydra verschiedene US-Organisationen infiltrieren und führt so den Kampf um die Weltherrschaft fort. Auch in Animes wie Fullmetal Alchemist: Der Eroberer von Shamballa und der Filmpersiflage Iron Sky finden sich Motive aus Serranos Vorstellungswelt.

    Museumsstück: Dieser angebliche Roswell-Alien hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.
    Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

    Elemente des Posadismus wurden vor allem in verschiedenen Franchises des Star-Trek-Universums verarbeitet – nicht nur in der eingangs erwähnten Enterprise-Serie, sondern auch in Star Trek: The Next Generation und Star Trek: Lower Decks.

    Massive Verbreitung hat der UFO-Kommunismus in der Meme-Kultur des Internets gefunden. In der Szene kursiert inzwischen eine neue Form der Ideologie, der sogenannte Bio-Posadismus. Dieser geht nach wie vor davon aus, dass Außerirdische kommen werden, um auf der Erde ein kommunistisches Paradies zu errichten – aber nicht nach einem Atomkrieg, sondern einer globalen Pandemie.

     

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