Vor 50 Jahren beendete die Enttarnung eines Ost-Spions die Kanzlerschaft von Willy Brandt. Drei Jahre später wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback von der RAF ermordet. Vermutlich besteht zwischen beiden Ereignissen ein bislang kaum thematisierter Zusammenhang. Der Buback-Mord ist nur ein spannender Fall, den wir in unserer Spezialausgabe „Attentate des Tiefen Staates“ aufklären. Hier mehr erfahren.
Sagenhafte 45,8 Prozent erhielt die SPD unter ihrem Kanzler und Spitzenkandidaten Willy Brandt bei den Bundestagswahlen 1972 – ein Ergebnis, das heute wie aus einer anderen Welt erscheint. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde die SPD stärkste Fraktion im Bundestag. Fast alle Beobachter rechneten nach diesem Wahlsieg mit einer langen weiteren Kanzlerschaft Willy Brandts.
Warum trat Brandt zurück?
Doch dann gab es am 24. April 1974 den großen Schock: Als der Kanzler am Flughafen Köln-Bonn landete, wurde er mit der Nachricht begrüßt, dass sein persönlicher Referent Günter Guillaume und dessen Frau Christel als DDR-Spione festgenommen worden waren. Schon am 6. Mai 1974 trat Willy Brandt zurück.
Aber warum eigentlich? Viel logischer wäre doch ein Rücktritt des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) gewesen, um die Verantwortung für dieses sicherheitspolitische Versagen zu übernehmen. Genscher war schließlich eine der ganz wenigen Personen gewesen, die schon im Mai 1973 vom Verfassungsschutz-Chef Günther Nollau in die Verdachtsmomente gegen Guillaume eingeweiht wurden. Doch noch im Mai 1973 hatte Genscher diese Verdachtsmomente in einem Gespräch mit Willy Brandt relativiert.
Doch ein Jahr später, im Mai 1974, ging es nach der Guillaume-Verhaftung plötzlich nur noch um Willy Brandt. Böse Gerüchte machten die Runde. Guillaume soll dem Kanzler zahlreiche Frauen zugeführt haben, ob nun Zufallsbekanntschaften, Journalistinnen oder Prostituierte. Damit war der Kanzler erpressbar geworden.
Das merkwürdige Spiel von Verfassungsschutz und BND
Doch Brandt selbst sah sich als Opfer des damaligen Verfassungsschutz-Chefs Günther Nollau. Das Verhalten Nollaus in der Guillaume-Affäre ist tatsächlich hochverdächtig. Er infomierte im Mai 1973 zwar Genscher über die Verdachtsmomente gegen Guillaume, versuchte diesen aber gleichzeitig davon abzuhalten, Willy Brandt zu informieren. Brandt sollte weiter ganz unbefangen bleiben, damit so weiteres belastendes Material über Guillaume gesammelt werden könne, so die Argumentation Nollaus. Genscher hielt sich aber nicht an den Rat Nollaus und informierte Brandt über den Verdacht – wenn auch wie gesagt in einer merkwürdig relativierenden Art und Weise.
Und es gibt noch einen weiteren Hammer im Zusammenhang mit der Guillaume-Affäre. Der Auslandsgeheimdienst BND hatte Guillaume nämlich schon in den 50er Jahren über dechiffrierte Nachrichten zweifelsfrei als Ost-Spion enttarnt. War es wirklich eine Panne, dass Guillaume dennoch bis zum persönlichen Referenten Brandts aufsteigen konnte?
Nach der Verhaftung Guillaumes machte Nollau dann Druck beim SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner, dass dieser Brandt zum Rücktritt bewegen solle, was auch gelang. Später stellte sich heraus, dass die von Guillaume an die DDR weitergeleiteten Informationen wohl doch nicht so brisant gewesen waren. Bis heute ist der Brandt-Rücktritt ein Rätsel geblieben.
Buback-Mord und Guillaume-Affäre
Und es kommt noch besser. Im Mai 2007 leitete die Buchautorin Regine Igel nämlich eine brisante Information an Siegfried Buback, den Sohn des 1977 von der RAF ermordeten früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback, weiter. Als Generalbundesanwalt war Buback natürlich mit den Ermittlungen gegen Guillaume beschäftigt gewesen. Regine Igel schrieb dazu:
„Buback war (…) während seiner Ermittlungen möglicherweise darauf gestoßen, dass die westdeutschen Geheimdienste – wie in Italien von den Amerikanern gesteuert – schon lange über die Rolle Guillaumes Bescheid wussten, jedoch zögerten, seine Doppelrolle auffliegen zu lassen, um zum richtigen Zeitpunkt die Wirkung des Rücktritts zu erzielen.“
Wurde Buback ermordet, weil er dem zwielichtigen Treiben der deutschen Geheimdienste bei der Guillaume-Affäre auf die Schliche gekommen war? An der am 7. April 1977 erfolgten Ermordung von Siegfied Buback in Karlsruhe war schließlich auch Verena Becker beteiligt. Nach Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) soll Becker schon seit 1972 unter Kontrolle des Inlandsgeheimdienstes gestanden haben.
Verena Becker und der Verfassungsschutz
Diese These vertritt auch der Autor und Historiker Wolfgang Kraushaar in seinem Buch „Verena Becker und der Verfassungsschutz“. Im Jahr 2011 verriet Nils von der Heyde, der frühere Chef-Reporter der Bild, im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Kraushaar ein weiteres brisantes Detail. Unmittelbar nach der Ermodung Bubacks, so von der Heyde, habe ihm der Hamburger VS-Beamte Christian Lochte mitgeteilt, dass Becker bei dem Buback-Mord auch geschossen habe.
Womit der Kreis sich schließt. Nachdem Siegfried Buback von Regine Igel über den Verdacht gegen staatliche Stellen im Zusammenhang mit der Ermordung seines Vaters informiert wurde, notierte er:
„Das war ein Schock. (…) Nein, es konnte und durfte einfach nicht wahr sein, dass mein Vater mit Duldung oder gar Unterstützung von Geheimdiensten ermordet worden war. Das wäre Verrat gewesen, unerträglicher Verrat.“
Enorm viele Indizien sprechen aus heutiger Sicht dafür, dass es diesen unerträglichen Verrat gegeben hat.
Neben dem Fall Buback behandeln wir in COMPACT-Spezial „Attentate des Tiefen Staates“ unter anderem folgende politischen Morde behandelt: Uwe Barschel, JFK, Bobby Kennedy, Martin Luther King, John Lennon, 9/11, Oktoberfestattentat, RAF-Morde, Möllemann, Haider, Kiesewetter (NSU), Lumumba, Sankara, Milosevic, Gaddafi, Djindjic, Breitscheidplatz (Anis Amri), Marylin Monroe und Magufuli – der Querdenker-Präsident von Tansania, der sich gegen Lockdown und Impfpflicht stemmte. In „Attentate des Tiefen Staates“ (84 Seiten, reich bebildert) wird nicht theoretisiert, sondern ermittelt. Hier bestellen.
3 Kommentare
Ich war Zeitzeuge dieser Geschehen. Aus heutiger Sicht, durch die aktuellen politischen Entgleisungen wacher geworden, halte ich die dreckigsten Varianten in jeder Zeit und in Allem für absolut glaubhaft. Verrat? Natürlich! Mord? Klar! Und die Hintergrundkräfte kriechen seit 1914 immer noch aus den selben Löchern. RAF-Mitglieder waren eventuell "nur" nützliche Idioten, Werkzeuge, durchsetzt mit Geheimdienstlern. Denke ich an die Nachrichten von damals, haben die Menschen die verbreiteten Narrative über RAF, deren Morde und Aktionen oder Guillaume tatsächlich SO geglaubt. Sie mussten es glauben .. denn es gab keine anderen Informationsquellen. Viele Dinge sind mir im Leben hart aufgestossen: Von Kuba, über den Mauerbau, von dem die USA wussten und Kennedy mit Showeffekt "ein Berliner" sein konnte, die vielen Morde auch der 70er .. bis Haider. Die Welt ist fest im Griff von kriminellen Gierhälsen, die niemand kennt. Und die wir kennen, von denen wir wissen, sind nicht die Strippenzieher, sondern nur deren Lautsprecher. Einen Trost habe ich: Diese Verbrecher mögen hier auf Erden reich und mächtig sein. Doch auch sie stehen vor unserem Schöpfer und werden von Jenen verklagt werden, denen sie die Hölle auf Erden bereitet haben. Dessen bin ich sicher!
Willy Frahm-Brandt und Günter Guillaume praktizierten deutsche Einheit gemäß Westbesatzer-Grundgesetz, aber das passte den Westbesatzern ebenso wenig wie 1955 die von der Sowjetunion angebotene Wiedervereinigung Deutschlands mit neutralem Österreich-Status. Feindbild Russland, seit dem Krimkrieg von 1853. Anständiger als die unersättlichen Geldgierlinge in GB und USA sind die Russen allemal. Tolstoj, Dostojewski, Gontscharow, Tschaikowski, Prokofjew – deutschen Künstlern ebenbürtig, vielleicht sogar noch seelentiefer, wo gibt es so etwas Großartiges im wilden Westen?
Ivan Iljin; Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse. Ein absolut lesenswertes aber leider dauernd vergriffenes Buch.