Nach der Zwangsfusion der beiden Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse drängt sich die Frage auf, wie mit einer großen Finanzkrise umzugehen ist. Dabei kann sich ein Blick auf eine Insel im Nordatlantik lohnen. Der erste Teil dieses Artikels erschien gestern. In dem COMPACT-Spezial Welt.Wirtschaft.Krisen – vom Schwarzen Freitag zum Corona-Crash werfen bekannte Autoren einen Blick hinter den Vorhang der Weltfinanzmärkte und erklären Ihnen, wer dort die Fäden zieht. Das Heft kann HIER bestellt werden!

    _ von Raphael-Maria Grünwald

    Dass dieses Umsteuern nicht das Werk der liberalkonservativen Regierung Haarde war, die den Weg in den Abgrund geebnet hatte, liegt auf der Hand. Diese Regierung wurde Anfang 2009 durch den Druck der Straße zum Aufgeben gezwungen. Die ihr folgende Linksregierung unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurðardóttir hatte den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen.

    Erfolgreiches Umsteuern

    Zu diesen unkonventionellen Wegen gehört, dass nicht durch eine rigorose Sparpolitik „saniert“ wird, sondern durch Konjunkturspritzen. Im Weiteren gab es einen Teilschuldenerlass für jene Menschen, die ohne Kredite in finanzielle Not geraten waren. Ihnen wurde mittels eines Hilfspakets die Möglichkeit eröffnet, ihre alten Schulden zu bedienen. Auch sozialpolitisch ereignete sich nachgerade Revolutionäres auf Island, erging doch der Beschluss, die Pensionen und Renten der Oberschicht zu kürzen.

    Parallel dazu wurden die Budgets für den Sozialsektor erhöht, um der für isländische Verhältnisse dramatischen Arbeitslosigkeit mit gezielten Fördermaßnahmen und Sozialprogrammen begegnen zu können. Diese Maßnahmen führten zu einem durchschlagenden Erfolg: Derzeit liegt die Arbeitslosenquote unter dem EU-Durchschnitt. Überdies wächst die Wirtschaft mittlerweile wieder, und auch die Inflationsrate konnte bei etwa drei Prozent stabilisiert werden.

    Aussagekräftig werden diese Zahlen, wenn man sie mit denen von Staaten wie Estland und Lettland vergleicht, die wie Island vor der Krise als neoliberale Musterstaaten apostrophiert wurden. In diesen baltischen Republiken liegt die Arbeitslosenquote zwischen 16 und 18 Prozent (Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012, als dieser Artikel erstmals erschien; Anmerkung der Redaktion).

    Keine Zustimmung zu Knebelverträgen

    Die Kehrtwende in der isländischen Politik forderte auch Opfer, aber nicht in der breiten Masse der Bevölkerung. Das Nachsehen hatten insbesondere ausländische Banken und Hedgefonds, die ihre Forderungen gegen isländische Banken komplett abschreiben mussten. Die niederländischen und britischen Kunden der Landsbanki-Tochter Icesave, einer Onlinebank, die von hohen Renditen angezogen worden waren, erhielten von ihren Staaten deshalb eine volle Kompensation.

    Die Niederlande und Großbritannien hatten die Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht. Der Versuch beider Staatennämlich, Island einen Schuldvertrag diktieren zu wollen, mit dem sowohl die Niederlande als auch Großbritannien für ihre Kompensation der Icesave-Kunden entschädigt werden sollten, stieß auf den entschiedenen Widerstand der Isländer.

    Widerstand, der verständlich ist: Hätte die Regierung in Reykjavik den Knebelvertrag unterzeichnet, wäre auf jede isländische Familie eine Last von nahezu 50.000 Euro entfallen – mehr als auf deutsche Familien durch den Versailler Vertrag. Verschärfend kam hinzu, dass das britische Finanzministerium bei seinem Vorgehen gegen Island die britischen Antiterrorismusgesetze geltend machte; auf dieser Grundlage wurden zum Beispiel die britischen Guthaben der Landsbanki eingefroren.

    Isländer wollen keine Terroristen sein

    Entsprechend groß war die Empörung unter den Isländern; Island wurde mit diesem Vorgehen quasi einer terroristischen Organisation gleichgestellt. Die anfängliche Zusage der liberalkonservativen Regierung Haarde, das niederländisch-britische Schulddiktat zu unterzeichnen, nahm die Linksregierung unter Ministerpräsidentin Sigurðardóttir wieder zurück. Sie drängte auf eine deutliche Milderung der Konditionen, was wiederum auf den Widerstand der Gläubiger stieß, die unter anderem den Zugang Islands zu Hilfsgeldern des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu blockieren versuchten.

    Typische isländische Landschaft bei der Gemeinde Stykisholmur. Foto: Mihai_Andritoiu I Shutterstock.com.

    Das isländische Parlament (Althing) knickte daraufhin ein und stimmte einer Neufassung der Schuldverträge zugunsten der Gläubigerstaaten zu. In jedem anderen Land wäre an diesem Punkt der Kampf vermutlich verloren gewesen. Nicht so in Island: Fast jeder vierte Inselbewohner unterzeichnete Ende 2009 eine Protestpetition gegen das Schulddiktat, wochenlang wurde bei Eis und Schnee vor dem Althing gegen den Parlamentsbeschluss demonstriert.

    Das Engagement der Bürger zeigte Wirkung: Präsident Ólafur Ragnar Grímsson verweigerte Anfang Januar 2010 die Unterzeichnung des Gesetzes und ließ ein Referendum durchführen. Die Folge: Das Schulddiktat wurde in zwei Volksabstimmungen einhellig abgelehnt. Die Niederlande und Großbritannien haben damit ersteinmal das Nachsehen und können nur noch auf anderslautende Entscheidung internationaler Gerichte hoffen.

    Nicht EU-Mitgliedschaft als Segen

    Der isländische Eigensinn wäre in dieser Form wohl unmöglich gewesen, wenn das Land Mitglied der Eurozone oder der EU wäre. Allerdings waren die IWF-Kredite, mit denen Island die neuen Banken kapitalisierte und seine Sozialprogramme mit finanzierte, von zentraler Bedeutung. Bemerkenswert bleibt, dass der IWF, der ansonsten für Sparpolitik und Deregulierung steht, gegenüber dem unkonventionellen Vorgehen Reykjaviks bisher keinen Einspruch erhoben hat.

    Solidarität kam des Weiteren auch von Seiten Russlands und Polens, die bilaterale Kredite zu einem Vorzugszinssatz vergaben. Darüber hinaus half Island seiner exportorientierten Wirtschaft, die jenes Wachstum generieren konnte, das das Land brauchte, um seine Schulden zurückzahlen zu können. Mit anderen Worten: Das isländische Beispiel kann ohne erhebliche Einschränkungen nicht einfach auf andere Staaten übertragen werden.

    Es zeigt aber eines: Das Gerede von den systemrelevanten Banken („too big to fail“) bedarf einer Revision. Gerade das isländische Vorgehen zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, Banken zu Lasten der Inhaber und ausländischer Gläubiger in Konkurs gehen zu lassen. Island ist dafür weder isoliert worden, noch wurde es an den Finanzmärkten abgestraft.

    Kein Bock auf EU-Mitgliedschaft

    Im Gegenteil: Das Vertrauen in Island an den internationalen Finanzmärkten ist wieder im Steigen begriffen. Wenig überraschend ist, dass das Interesse der Isländer, Mitglied der EU zu werden – Reykjavik hat am 17. Juli 2009 ein Beitrittsgesuch gestellt –, in den Krisenjahren spürbar gesunken ist. Das ist auch bis heute so geblieben. Ein Beitritt des Inselstaates im Nordatlantik zur EU ist schlicht überhaupt kein Thema mehr.

    Den ersten Teil des Artikels finden Sie hier.

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    Welt.Wirtschaft.Krisen

    5 Kommentare

    1. Nixus Minimax am

      Leider nach 2 Tagen schon "out of date", aber wenigstens der Bezug ist noch da in diesem Artikel. Die Einschätzung von Ernst Wollf, was da eigentlich genau passierte mit Credit Suisse, also die Gesamtzusammenhänge wer dahinter steckte und "cui bono", mit etwas Spekulation, aber nicht sehr weit hergeholt in 4:30 min anschaulich erklärt! Vor allem für Menschen mit "niedrigem IQ", weil Sie globales und lokales Finanzgebaren der Banken und Investgesellschaften nicht so locker aus der Hüfte einschätzen können, wie manche der Oberschlaumeier-User, die hier posten und es dann auch so schreiben, "IQ" und so!

      https://www.youtube.com/watch?v=uXCWRPZlDw4

      Wird vermutlich nicht veröffentlicht, aber Versuch macht klug…

    2. Angesichts des weltweiten Elends in unzähligen Köpfen mal etwas tröstliches. Nicht überall sind die Unterbelichteten in der Überzahl. Es gibt sogar noch Politiker, die etwas für ihr Volk tun. Weshalb kriegen wir das nicht in Deutschland hin, dessen Wissenschaft und Wirtschaft einst zur Weltspitze gehörten? Weil sich der deutsche Michel gern auf dem eingestaubten Lorbeer vergangener Zeiten ausruht und sich das eigene Denken vielfach abgewöhnt hat. Wacht endlich auf, ihr Schafe!

    3. Der Krieg ist der Vater aller Dinge und die Seelen der Gefallenen sind im Jenseits reiner als die der daheim Gestorbenen.

    4. Amalia Zimmerholtz am

      Die Isländer beweisen: Selbstbewusstsein und Mut bringen den Sieg auch ohne Krieg.
      Würden die Briten in Island einmarschieren, könnten um so mehr Deutsche heim nach Schlesien und Pommern gehen.

    5. Spannende artikel aber ich hätte gerne etwas mehr zu wissen bekommen über das eigentlich leben dort. Haben sie dort auch die gleiche zustände erleben müssen wie in Belgien oder Deutschland was kriminalität angeht, migration usw…Oder ist es inzwischen einfach das paradies auf erde geworden?