Henry „Enrique“ Tarrio ist Kopf der rechten US-Truppe Proud Boys. Vor dem Sturm auf das Kapitol mobilisierte er nach Washington, später verurteilte er Donald Trump für seine Distanzierung von dem Vorfall. Gerichtsakten zeigen nun, dass Tarrio jahrelang undercover für die US-Behörden gearbeitet hat. 

    Bei einer Anhörung am Mittwoch in Miami kam das heraus, was Proud-Boy-Anführer Henry Tarrio wohl lieber unter Verschluss gehalten hätte: Ein Bundesstaatsanwalt, ein Agent des FBI und sein eigener Anwalt beschrieben dort die langjährige Zusammenarbeit des vermeintlichen Systemgegners mit staatlichen Stellen. In mehr als einem Dutzend Fälle habe er verdeckt gearbeitet und den Ermittlern Informationen verschafft.

    Der Diabetes-Dealer

    Laut den Gerichtsakten begann die Kooperation, nachdem Tarrio 2012 des Betrugs beschuldigt wurde. Weil er illegal Diabetes-Teststreifen weiterverkauft hatte, sollte er eigentlich für 30 Monate ins Gefängnis wandern. Doch wegen seiner Bereitschaft, als geheimer Informant für die Behörden zu arbeiten, bekam er vom Richter einen Erlass auf 16 Monate. Der Bundesstaatsanwalt berichtet:

    Vom ersten Tag an war er es, der mit den Strafverfolgern reden wollte, um seinen Namen reinzuwaschen

    Tarrio selbst streitet seine Mithilfe bei Ermittlungen ab. „Ich kann mich an nichts erinnern.“, sagte er auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters.

    Eine rechtsextreme Miliz?

    Die Proud Boys (Stolze Jungs) gelten im Mainstream als rechtsextreme Miliz. In Wirklichkeit ist die Gruppierung weder extrem noch handelt es sich um eine Art Ku-Klux-Klan 2.0. Ihre Mitglieder sind multiethnisch, wofür Henry Tarrio mit seinen kubanisch-afrikanischen Wurzeln beispielhaft steht – und sie vertreten konservative und libertäre Positionen wie Redefreiheit, freies Unternehmertum und das Recht auf Waffenbesitz. Die Proud Boys wenden sich gegen illegale Einwanderung und setzen sich für den Schutz ungeborenen Lebens ein. Als Erkennungszeichen tragen sie schwarze Polohemden der Marke Fred Perry mit gelbem Lorbeerkranz-Logo und gelben Kragenstreifen.

    Proud Boys beim Million Maga March am 12.12.2020 in Washington D.C.

    Gegründet wurden die Proud Boys von dem gebürtigen Briten Gavin McInnes – einem Komiker und politischen Kommentator, der einst das linksliberale Lifestylemagazin Vice mit ins Leben gerufen hatte. Später kehrte er dem Mainstream den Rücken, wurde ein leidenschaftlicher Anhänger Trumps, arbeitete für rechte Medien wie Taki’s Magazine oder The Rebel Media und war regelmäßiger Gast bei Fox News.

    Skurril: Um ein Proud Boy zu werden, muss man Medienberichten zufolge eine Reihe von Initationen durchlaufen: Dazu gehört unter anderem ein Bekenntnis zum Westen und zur modernen Welt sowie eine Verprügelung durch andere Gruppenmitglieder, bei der man die Namen von Frühstücksflocken aufsagen muss sowie das Versprechen abzugeben hat, nur einmal im Monat zu masturbieren…

    Bis zum Sturm auf das Kapitol unterstützten die Proud Boys Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten. Als der in einer Fernsehdebatte dazu aufgefordert wurde, sich von ihnen zu distanzieren, sagte er provokant in die Kamera: „Proud Boys – haltet euch zurück und haltet euch bereit“.

    Provokateure im Parlament

    Der als Spitzel enttarnte Henry Tarrio kam schon zwei Tage vor der Erstürmung des Kapitols in Washington an. Weil er mehrere Schusswaffenmagazine mit sich führte, wurde er jedoch verhaftet und der Stadt verwiesen. Dass Donald Trump sich später von den Geschehnissen am 6. Januar distanzierte, kritisierte der Ober-Proud-Boy auf Telegram als Verrat an der Sache. 

    Der Sturm aufs Kapitol am 6. 1.2021: Eine inszenierte Provokation?

    Tarrios Informantentätigkeit bestärkt viele in dem Verdacht, dass der Kapitol-Sturm eine vom Establishment gewünschte und geförderte Entgleisung gewesen sein könnte, um damit eine Rechtfertigung für weitere Repressionsschläge gegen das patriotische Lager zu schaffen und Trump nachhaltig zu diskreditieren –  womöglich gar, um einen Anlass für ein erneutes Impeachment-Verfahren gegen ihn zu schaffen. 

    In diesem Zusammenhang wird oft auch auf Handy-Videos verwiesen, in denen es so aussieht, als ob Einsatzkräfte wütende Demonstranten in das Parlamentsgebäude hereinwinken und die Sperrgitter für sie beiseite schieben würden. Oder auf Fotos, die den bekannten Black-Lives-Matter-Aktivisten John Earl Sullivan mit Trump-Kappe im Gemenge zeigen. Was am 6. Januar wirklich geschah, bleibt weiterhin nebulös. Henry Tarrio hat sich nun vor allem gegenüber seinen eigenen Leuten zu verantworten. 

    In COMPACT 2/2021 mit dem Titelthema „Wollt ihr den totalen Lockdown? Die Diktatur marschiert“ (ab heute am Kiosk!) beleuchten wir in einem 12-seitigen Dossier den Sturm auf das Kapitol und analysieren die Folgen.


    In diesem Dossier finden Sie folgende Beiträge:

    Trumps letztes Gefecht – High Noon im Wilden Westen: Trump verlässt die politische Bühne mit einem Knall. Der Sturm auf das Kapitol war eine Verzweiflungstat, die die Schwäche der Patrioten offenbart.

    Früchte des Zorns – Analyse von Martin Sellner: Mit dem Ende der Ära Trump setzen die kosmopolitischen Eliten der Küstenstädte ihren Siegeszug gegen das traditionelle Amerika fort. Doch aus der Niederlage könnten auch neue Chancen erwachsen.

    Bilderstrecke: Wutbürger und Revolutionäre – oder Provokateure? Szenen aus dem Kapitol.

    Der Bumerang-Effekt – Analyse eines US-Aktivisten: Der Sturm auf das Kapitol hat die größte Säuberungswelle in der Geschichte des Internets zur Folge. Doch der Schuss wird nach hinten losgehen – und oppositionelle Kräfte nicht schwächen, sondern stärken.

    Zum vollständigen Inhaltsverzeichnis und zur Bestellung von COMPACT 2/2021 geht es hier.

    Kommentare sind deaktiviert.