Ihnen sollte das Recht auf Demonstration entzogen werden, doch weitaus mehr als 5.000 Querdenker haben Berlins Straßen trotzdem erobert. Zu einem hohen Preis: Über 600 Menschen wurden festgenommen. Ein Teilnehmer starb nach einer polizeilichen Maßnahme. Mit unserer COMPACT-Edition Tage der Freiheit bieten wir Ihnen die besten Reden, Fotos und Interviews von den großen Querdenker-Demos. Hier mehr erfahren.

    Unter den Linden wirbelt Staub auf: In der glühenden Mittagssonne Berlins bewegen sich hunderte Demonstranten im Laufschritt vorwärts. Ganz vorn rennt ein Mann mit wehender Deutschlandflagge. Die Maßnahmen-Kritiker sind wütend, sie skandieren: „Frieden, Freiheit, keine Diktatur!“ 

    Spontaner Demonstrationszug auf der Straße Unter den Linden. Foto: Paul Klemm

    Nahezu alle Kundgebungen, auf denen sie an diesem Sonntag friedlich für die Wiederherstellung ihrer Grundrechte protestieren wollten, sind verboten worden –  mit Verweis auf eine vermeintliche „Gefährdung von Leben und Gesundheit“. Um zu verhindern, dass Querdenken-711 ein Bühnenprogramm auf die Beine stellen kann, hat die Polizei am Morgen essentiell wichtige Teile des Equipments beschlagnahmt. 

    Straßenkampf und Dauerlauf 

    Die Protestier Unter den Linden hatten sich spontan an der U-Bahn-Station Brandenburger Tor versammelt und drohten von den Einsatzkräften eingekesselt zu werden. Doch ihnen gelingt es, auszubrechen – jetzt stürmen sie die frühere Prachtstraße in Richtung Alexanderplatz entlang. 

    Laut Polizeiangaben waren circa 5.000 Menschen im ganzen Stadtgebiet unterwegs. Tatsächlich waren es viel mehr. Foto: Paul Klemm

    Ein Gruppe behelmter Polizisten überholt sie sprintend und stellt sich ihnen in den Weg. Mit geballten Fäusten springt sie in die Reihen der Querdenker. Eine Frau wird in den Staub geschleudert, ein Mann zu Boden geschlagen. Dann spritzen Salven von Pfefferspray. 

    Freund und Helfer? Diese Frau ist sich nicht mehr sicher. Foto: Paul Klemm

    Auf der zweiten Fahrspur können die Menschen weiterrennen. Aus Autos, die zum Halten gekommen sind, werden sie freundlich gegrüßt. Eine Fahrerin ruft aus dem offenen Fenster heraus die Parolen mit. Auf Höhe der Humboldt-Universität muss die Menge jedoch vor eilig errichteten Polizeiblockaden in ein Gewirr von Seitenstraßen ausweichen. Dort zersplittert sie in Kleingruppen und verliert sich im Trubel der Großstadt. 

    Szenen wie diese ereignen sich am 1. August in ganz Berlin. Spontan gebildete Demozüge werden von den Polizeitruppen umzingelt oder bis zur Auflösung durch die Straßen gejagt. Immer wieder kommt es zu Festnahmen. Am Ende des Tages sind es laut behördlichen Angaben über 600. 

    Falschinformation als Falle

    Die insgesamt angeblich nur 5.000 Demonstranten hatten sich dabei über das gesamte Stadtgebiet zerstreut. Schuld daran sind die rigiden Polizeimaßnahmen, aber auch informative Verwirrung: In den zahlreichen Telegram-Gruppen verkünden unterschiedliche Akteure ständig neue Treffpunkte, zum Teil kilometerweit von den ursprünglich geplanten Versammlungsorten entfernt.

    So brechen am Morgen Hunderte zum Olympischen Platz, in den äußersten Westen der Hauptstadt, auf, um dort an einem Autokorso Richtung Stadtmitte teilzunehmen. Die Aktion ist von einem der vielen Infokanäle als Alternative zu den verbotenen Kundgebungen beworben worden.

    Versammlung auf dem Olympischen Platz. Foto: Paul Klemm

    Doch der Korso wird zur Falle: Über mehrere Stunden hinweg warten die Teilnehmer vergeblich auf das Startsignal der Polizei. Einige Autos können noch ausscheren, die anderen bleiben gefangen. Querdenker, die in der Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit zu Fuß gekommen waren, sehen sich nun gezwungen, einen Rückweg von fast 15 Kilometern ins Zentrum anzutreten. 

    Brutale Festnahmen und ein Toter

    Erst am Abend kommt eine größere stationäre Versammlung auf dem Ostberliner Alexanderplatz zustande. Im Licht der versinkenden Sonne pusten die Menschen Seifenblasen in die Luft, tanzen zu elektronischer Musik oder erfrischen sich am Brunnen der Völkerfreundschaft.

    Für eine Weile bleibt es friedlich, doch als Greiftrupps der Polizei vorrücken und die ersten Bürger abführen, brandet eine Welle der Empörung auf. Rund um den Platz wird eine Hundestaffel in Stellung gebracht. 

    Viele Demonstranten halten zwar nichts von der Vierten, aber umso mehr von der Neuen Deutschen Welle. Foto: Paul Klemm
    Abendstimmung auf dem Alexanderplatz. Foto: Paul Klemm

    Bei einbrechender Dämmerung eskaliert die Gewalt: Vor einer Pizzeria entsteht ein Handgemenge, bei dem ein Beamter umgestoßen, Reizgas versprüht und mehrere Protestierer niedergeschlagen werden.

    Festnahmen auf dem Alexanderplatz. Foto: Paul Klemm
    Gefährliche Vierbeiner: Gegen die Demonstranten wurden auch Kampfhunde eingesetzt. Foto: Paul Klemm

    Zeitgleich verbreitet sich die Meldung von einem 49-Jährigen, der nach seiner Festnahme im Krankenhaus verstorben ist. Laut den Ermittlern habe der Familienvater versucht, eine Polizeikette zu durchbrechen, sei dann zu Boden gebracht und mit Handschellen fixiert worden. Als er über nicht abklingende Schmerzen in Schulter und Brust klagte, habe man ihn in die Intensivstation gebracht, wo er dann, wie es heißt, an einem Herzinfarkt gestorben sei. 

    Die maßnahmenkritische Partei Die Basis, die der Verstorbene mitbegründet hat, fordert nun eine lückenlose Aufklärung des Todesfalls und sucht nach Augenzeugen. Auf Telegram kursiert ein Bild, das den Rheinländer am Vorabend der Demo bei einem Biergartenbesuch in Berlin zeigen soll. Sein Name sei Sascha gewesen. Er hinterlässt einen jugendlichen Sohn.

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