Im Fall Dutroux blieb mehr im Dunkeln als aufgeklärt wurde. 27 tote Zeugen und zahlreiche Spuren, die im Sande verliefen, sprechen Bände. Höchstwahrscheinlich stellt das, was bekannt ist, nur die Spitze eines monströsen Eisbergs dar. 

    _ von Manja May

    Es folgt ein Auszug aus dem Artikel „Die Schatten von Charleroi“, den Sie vollständig in der brandneuen COMPACT-Spezial „Geheimakte Kinderschänder: Die Netzwerke des Bösen“, das jetzt am Kiosk und in unserem Online-Shop erhältlich ist. Investigativ-Journalist Oliver Janich urteilte über diese Ausgabe: „Das geht noch einmal weit über das hinaus, was COMPACT bisher zu diesem Thema veröffentlicht hat.“

    Am 15. August 1996 befreien Polizeibeamte zwei junge Mädchen aus einem Kellerverlies in Marcinelle, einem Bezirk der belgischen Stadt Charleroi. Die 14-jährige Laetitia und die 12-jährige Sabine waren wie Tiere gefangen gehalten und mehrfach sexuell missbraucht worden. Die Beamten fanden die Mädchen total verängstigt vor, Laetitia versteckte sich unter einer Decke. «Ich hörte laute Stimmen und dachte: ”Jetzt kommen sie und bringen uns um”», sagte sie in einem Interview drei Jahre nach ihrer Rettung.

    Schnell wird klar, dass die beiden Teenager nicht die einzigen Opfer eines Mannes waren, mit dessen Namen einer der schrecklichsten Verbrechensfälle der belgischen Geschichte verknüpft ist. Und doch war dieses Monster wohl nur ein relativ kleines Licht in einem Netzwerk, dessen Dimensionen bis heute nicht aufgeklärt sind.

    Das mörderische Paar

    Jener Unmensch namens Marc Dutroux wurde 1956 als Sohn eines Lehrerehepaars in Elsene Nähe Brüssel geboren. Schon während seiner Schulzeit startete er eine Karriere als Kleinkrimineller, verkaufte unter anderem gestohlene Mofas. Mit 16 riss er von zu Hause aus und schlug sich zunächst als Stricher durch. Später wurde er durch Autodiebstähle, Überfälle und Drogendelikte aktenkundig.
    Fassade seiner verbrecherischen Aktivitäten war ein Schrotthandel.

    Doch es sollte noch schlimmer kommen: Im Februar 1986 wurde Dutroux mit seiner damaligen Lebensgefährtin Michelle Martin, die ihm drei Kinder gebären sollte, wegen Entführung und Missbrauchs von fünf Mädchen im Alter von zwölf bis 19 Jahren verhaftet. Im Prozess wurde bekannt, dass er pornografische Aufnahmen von seinen Taten gemacht hatte, die er verkaufen wollte. Am 26. April 1989 wurde Dutroux deswegen zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, seine Komplizin Martin erhielt fünf Jahre.

    Noch im selben Jahr heirateten die beiden im Gefängnis. Unfassbar: Schon 1992, nach gerade einmal drei Jahren, wurde Dutroux von dem damaligen belgischen Justizminister Melchior Wathelet begnadigt – entgegen der Warnung seiner Mutter. Ein Psychiater bescheinigte dem Kindesentführer und -schänder seelische Schäden durch die Haft, die eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bedingen würden. Daher wurde ihm auch noch eine lebenslange Rente zugesprochen.

    So konnte Dutroux seinem widerwärtigen Treiben weiter ungehindert nachgehen. Und das tat er auch: 1995 baute er den Keller eines seiner Häuser in Charleroi zum Verlies um. Dorthin entführte er im Juni jenes Jahres zwei 8-jährige Mädchen, Melissa Russo und Julie Lejeune. Wieder verging er sich an den Opfern und fertigte Videoaufnahmen an, um sich an diesen finanziell zu bereichern.

    Das Haus von Marc Dutroux in Charleroi-Marcinelle. Foto: STYX69, CC BY-SA 3.0

    Bis Anfang August 1996 verschleppte und missbrauchte Dutroux vier weitere Mädchen – Eefje Lambrecks (19), An Marchal (17), Sabine Dardenne (12) und Laetitia Delhez (14) zum selben Zweck. Komplizin war stets Ehefrau Michelle. Die beiden ältesten Opfer vergiftete der Entführer später, zwei – Sabine und Laetitia – konnten nach seinem Auffliegen am 15. August 1996 lebend befreit werden. Die beiden 8-jährigen Mädchen Melissa und Julie ließ Martin angeblich verhungern, während Dutroux wegen Autodiebstahls über drei Monate in U-Haft saß.

    Doch das ist absurd: Ganze 103 Tage soll sie niemand besucht und mit Nahrung versorgt haben, erst dann seien sie verhungert – ein medizinisches Wunder. Dutroux selbst erklärte im Prozess, der am 1. März 2004 in Arlon begann, dass die entführten Mädchen auch für Personen bestimmt gewesen seien, die teils «höchste Protektion von ganz oben» genössen.

    Polizeiermittler Patrick Debaets resümierte später: «Sobald man gegen Pädophilie vorgehen will, stößt man auf ein System von Protektionen und bekommt sofort Probleme.  In Belgien hat der größte Teil der Presse die Opfer und die Ermittler lächerlich und unglaubwürdig gemacht, um selbst eben keine Probleme zu bekommen.»

    «Probleme» ist noch milde formuliert. Laut der ZDF-Reportage „Die Spur der Kinderschänder – Dutroux und die toten Zeugen“ (2001) kamen während der Ermittlungen nach Dutroux’ Verhaftung 27 Zeugen, die vorhatten, im Prozess auszusagen, ums Leben. Die Richter befanden meist, dass es sich um Selbstmord handelte. Sogar der zuständige Staatsanwalt Hubert Massa soll im Juli 1999 Suizid begangen haben – ohne erkennbaren Grund.

    Die toten Zeugen

    Bei den toten Zeugen handelt es sich unter anderem um folgende Personen:

    ■ Guy Goebels: Der mit dem Fall befasste Polizist soll sich am 25. August 1995 mit einem Kopfschuss selbst gerichtet haben.

    ■ Bernard Weinstein: Der mutmaßliche Komplize von Dutroux wurde von diesem im November 1995 vergiftet.

    ■ Jean Paul-Taminiau: Der zeitweilige Nachbar von Dutroux verschwand am 2. April 1995, nachdem er einem Freund erzählt hatte, dass er wichtige Informationen zum Fall habe. Später fand man einen seiner Füße in einem Fluss. Der Rest der Leiche blieb verschwunden.

    ■ Michel Piro: Der Besitzer eines Nachtklubs in Charleroi kontaktierte die Familien von Julie und Melissa drei Monate nach Dutroux‘ Verhaftung. Er wurde am 5. Dezember 1996 auf einem Parkplatz erschossen.

    ■ Anna Konjevoda: Die Rotlicht-Insiderin wollte bei der Polizei zu einem Pornoring um Dutroux mit Verbindungen nach Osteuropa aussagen. Man fand sie am 7. April 1998 tot in der Maas. Ihre Leiche wies Würgemale und andere Verletzungen auf.

    ■ Gina Pardaens: Die Sozialarbeiterin kümmerte sich um Opfer eines Kinderpornoringes. Sie berichtete
    Freunden, dass sie in einem Video gesehen hatte, dass ein Mädchen ermordet wurde. Am 15. November 1998 raste sie mit ihrem Auto an ein Brückengeländer und war sofort tot. Zuvor hatte man ihr gedroht, dass sie einen Verkehrsunfall haben könnte.

    ■ Nadège Renard: Die Bekannte von Dutroux wollte der Polizei im April 2001 eine Liste von Kontakten des Täters übergeben. Bevor sie dies tun konnte, hatte sie einen tödlichen Autounfall.

    Einem Autounfall soll 2001 auch der Pornofilmhändler Bernard Routmond zum Opfer gefallen sein. Er wurde der Entführung eines Mädchens bezichtigt, die Polizei fand Kinderspielzeug in seinem Haus. Einen Tag nachdem er sich bei der Polizei gemeldet hatte, um auszusagen, war er tot. Auch der Investigativjournalist Christoph Vanhexe, der im Fall Dutroux recherchiert hatte, kam auf diese Weise ums Leben. (Ende des Auszugs)

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