«Die BRD hat mich verjagt»

Interview mit Russland-Exilantin Alina Lipp. Ihr Interview mit dem ZDF wurde zur Verleumdung missbraucht. Deshalb sprach die bekannteste deutsche Journalistin in Russland lange nicht mehr mit BRD-Medien. Jetzt brach sie ihr Schweigen und gab COMPACT Auskunft. Es folgen Auszüge aus dem Interview, das Sie vollständig in der Februar-Ausgabe lesen können. Hier mehr erfahren.

_ Alina Lipp im Gespräch mit Jürgen Elsässer

COMPACT: Sie sind ja vermutlich nach Gerhard Schröder die bekannteste Persönlichkeit aus dem Bereich deutscher Russland-Versteher. Das ZDF hat Ihnen eine sage und schreibe dreiteilige Doku mit dem Titel The Princess of Disinformation – Alina Lipp und Putins Krieg gewidmet. Woher kommt Ihrer Meinung nach die Wut der deutschen Staatsmedien ausgerechnet auf Sie?

Alina Lipp: Ich glaube, dass sie eine ähnliche Wut verspüren gegen mich wie ich andersrum auf sie. Meine journalistische Karriere fing in Donezk an, als ich 2021 zum ersten Mal dorthin gefahren bin und dann dorthin umgezogen bin. Dadurch war ich die einzige deutsche Journalistin, die darüber berichtete, dass die Ukraine dort seit vielen Jahren Zivilisten ermordet.

Sie werden wohl auch gehasst, weil Sie eine Überläuferin sind, Sie kommen ja ursprünglich von den Grünen.

Ich habe die Grünen sehr lange unterstützt. Es fing schon während der Schulzeit an. Als ich ungefähr 16 Jahre alt war, habe ich einen sogenannten Girl’s Day mitgemacht bei den Grünen, das war so ein Schnuppertag, hat mir sehr gut gefallen. Ich habe mich immer für Politik interessiert, schon in der Schule, und auch an der Uni habe ich als Wahlfach Politik gewählt.

Während meines Umweltstudiums bin ich bei den Grünen eingetreten und habe mich sehr engagiert, bin zu vielen Veranstaltungen gegangen und hatte ein kleines Amt beim Umweltausschuss in Hannover inne. Ich wollte damals einfach etwas Gutes für den Planeten tun. Aber als 2014 die ganze Geschichte mit der Ukraine losging, bin ich erstmalig mit der Nase auf die Tatsache gestoßen, dass die deutschen Medien lügen

Hat Sie ihr russischer Vater beeinflusst, wie die Mainstream-Medien behaupten?

Überhaupt nicht. Ich habe nie Russisch gesprochen, zu Hause sprachen wir ausschließlich Deutsch, mein Vater hatte es schon beim Studium in Russland gelernt. Er sagte auch immer, er sei Deutschland dankbar für alles, was er erreichen konnte. Er hat seine eigene Firma, wir hatten unser eigenes Haus und Auto, ein schönes Familienleben…

Sie waren ab 2021 in Donezk, wo die Ukrainer laufend reingeballert haben, dann fuhren Sie 2022 sogar an die Front, nach Mariupol. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich habe Ende 2021 genau mitbekommen, wie sich die Situation zugespitzt hat, als die Ukraine begonnen hatte, auch Massaker anzurichten, selbst im Zentrum der Stadt. Nach dem Sommer 2021 sind in Donezk die ersten Menschen um mich herum erschossen worden. Dadurch härtet man sozusagen ab, man stumpft regelrecht ab. Der Trip nach Mariupol war einer der ersten, bei dem ich auch Leichenberge gesehen habe. Da dachte ich: Was mache ich hier eigentlich? Wie kann ich das so in Ruhe filmen und danach so einfach wieder zurückfahren? Das nimmt einen auch physisch mit.

(…)

Wie muss man sich Ihren Tagesablauf vorstellen?

Täglich verfolge ich deutsche Medien, russische und ukrainische auch. Ich versuche, so neutral wie möglich zu berichten.

Die ukrainische Sprache ist vom Russischen offensichtlich nicht so weit entfernt, dass man es nicht verstehen könnte.

Genau. Das ist ein bisschen wie bei Norddeutsch und Bayerisch.

Zurzeit leben Sie in Moskau. Was fehlt seit den westlichen Sanktionen oder was ist ex­trem teuer geworden?

Eigentlich gibt es alles. Ich habe sogar hier zu Weihnachten einen deutschen Adventskalender gekauft. Produkte aus deutscher Herstellung gibt’s einige. Die kommen über irgendwelche Wege trotzdem hierher: Rittersport, Nutella, Chips… McDonald’s ist weg, H&M ist weg .

(…)

Noch eine konkrete Nachfrage zu Ihrem Vorgehen bei der Recherche. Letzten Juni gab es den sogenannten Putschversuch von Prigoschin. Der Söldnerführer ist mit seinen Wagner-Truppen von der Front abgezogen, hat Rostow am Don besetzt und wollte nach Moskau weitermarschieren. In diesen heftigen 48 Stunden spürte ich auf Ihrem Kanal die gleiche Unsicherheit in der Einschätzung wie bei mir.

Ich war in Rostow, habe dort zuerst mit den Soldaten der Armee gesprochen und dann, als die abgezogen waren, mit den Wagner-Leuten und natürlich mit den Anwohnern. Viele russische Medien haben entweder gar nicht berichtet oder absolut neutral.

Es wusste absolut keiner, was da passiert und welche Seite man unterstützen soll. Einige Wagner-Jungs haben mir bestätigt, dass sie vom Verteidigungsministerium fast keine Waffen und Munition bekommen haben, und sie berichteten auch vom Beschuss durch die regulären Truppen. Nach diesem Vorfall sei Prigoschin ausgerastet und nach Rostow marschiert. Die Jungs haben mir gesagt: Putin finden wir alle toll, wir kritisieren nur Verteidigungsminister Schoigu und Oberbefehlshaber Gerassimow. Das sehen übrigens – bis heute – auch viele russischen Bürger so.

Es wurde eigentlich nie aufgeklärt, was da passiert ist. Die Wagner-Jungs haben gute Arbeit geleistet und sogar Bachmut befreit – warum schickte ihnen dann das Verteidigungsministerium keinen Nachschub? Es gab auch andere Einheiten, die ähnliche Probleme hatten. Das versteht keiner. Vielleicht ist es so, dass Putin in einer so prekären Lage seinen Verteidigungsminister einfach nicht feuern kann.

(…)

Kadyrows Leute ziehen zum Teil mit dem Schlachtruf «Allahu Akbar» in den Kampf. Da Sie diese Soldaten getroffen haben: Wie islamistisch geprägt sind sie? Wie verhielten sie sich Ihnen gegenüber, einer westlich orientierten Frau?

Diesbezüglich hatte ich einige interessante Gespräche etwa in Mariupol, als da noch Kämpfe stattfanden. Sie sagten, dass es in ihrer Heimat nicht geduldet wäre, wenn ich in Jeans herumlaufe, und ich auch meine Haare bedecken müsste. Sie sind schon sehr, sehr konservativ. Sie sind eben muslimisch geprägt, und sie haben das Recht dazu. In Russland gibt es hunderte verschiedene Religionen und Ethnien, und alle unterstützen Putin, alle halten zusammen und leben in Frieden miteinander.

Das Jahr 2024 könnte entscheidend werden. Die westliche Militärhilfe für Selenski schwächelt, besonders die der USA. Was denkt der gewöhnliche Russe: Kommt der Krieg bald zum Erliegen – oder geht das noch viele Jahre so weiter?

Vonseiten der Regierung gibt es Vorbereitungen, notfalls noch jahrelang Krieg zu führen. In der Bevölkerung sagen die einen: Die Ukraine hat jetzt alle Unterstützung verloren, sie wird nicht mehr gewinnen können, und alles wird in den nächsten Monaten ein Ende finden. Andere sind deprimiert und gehen davon aus, dass es noch viele Jahre dauert.

(…)

Können Sie sich vorstellen, noch einmal nach Deutschland zurückzukommen und wieder hier zu leben?

Auf jeden Fall! Es ist mein Heimatland! Aber dafür müsste es eine komplett neue Regierung geben.

(…)

_ Das Interview wurde am 10. Januar per Zoom geführt und kann in voller Länge ab Anfang Februar auf dem Youtube-Kanal von COMPACT-TV angesehen werden.

Dieser Artikel erschien vollständig im COMPACT-Magazin 02/2024. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form – hier bestellen.