„Wildgänse rauschen durch die Nacht / Mit schrillem Schrei nach Norden – / Unstäte Fahrt! Habt acht, habt acht! / Die Welt ist voller Morden.“ Mit dieser Strophe beginnt das wohl berühmteste Gedicht des großen Schriftstellers und Frontoffiziers Walter Flex. Ein Auszug aus dem Buch Libro e Moschetto –  Lebensbilder von Dichtersoldaten.

    _ von Johannes Scharf

    Die Zeilen finden sich auf der zweiten Seite seiner nicht weniger berühmten autobiographischen Novelle Der Wanderer zwischen beiden Welten, welche das Streiten und Sterben seines 1915 bei Simnen gefallenen Kameraden Ernst Wurche zum Inhalt hat. In der Zwischenkriegszeit avancierte das Werk zum Kultbuch der jungen Generation. Das darin mit anderen enthaltene Gedicht „Wildgänse rauschen durch die Nacht“ wurde vertont und bald von jedermann gesungen; sogar die französische Armee mochte mit der Zeit nicht darauf verzichten und schuf sich mit der Übersetzung „Les Oies Sauvages“ (Die Wildgänse) ein entsprechendes Marschlied.

    Walter Flex, 1915. | Foto: Aus dem Nachlass, CCO

    Geboren wurde Walter Flex am 6. Juli 1887 in Eisenach als Sohn des Gymnasialprofessors Dr. Rudolf Flex und dessen Ehefrau Margarete. Bereits als Schüler verfasste er dramatische Texte. Nach Bestehen der Reifeprüfung nahm er 1906 ein Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Erlangen auf, wo er in die Burschenschaft der Bubenreuther eintrat.

    Während er zwischen 1908 und 1910 in Straßburg sein Studium fortsetzte, veröffentlichte er Novellen, Erzählungen sowie Gedichte. Nachdem er ein erstes Dissertationsprojekt an der Universität Straßburg verworfen hatte, wurde er schließlich 1911 an seiner alten Universität Erlangen zu einem literaturgeschichtlichen Thema promoviert, das auch in seinem künstlerischen Oeuvre, namentlich in Form seines 1909 erschienenen Dramas Demetrius begegnet. Der Titel der Promotion Flex’ lautete: Die Entwicklung des tragischen Problems in den deutschen Demetriusdramen von Schiller bis in die Gegenwart. Bis zum Kriegsausbruch war Flex von verschiedenen Adelsfamilien, zeitweise auch von der Familie Bismarck, als Hauslehrer engagiert.

    Der aufgrund einer Sehnenverletzung an der rechten Hand vom Militärdienst befreite Dichter meldete sich 1914 als Kriegsfreiwilliger und versah schon bald beim 3. Niederschlesischen Infanterie-Regiment Nr. 50 seinen Dienst, wiewohl er einiges hatte daransetzen müssen, um trotz seiner kranken Hand angenommen zu werden.


    Theodor Körner, Ernst Jünger, Gorch Fock, Walter Flex, Kurt Eggers, Gabriele d’Annunzio, Lawrence von Arabien und weitere Dichtersoldaten werden in Libro e Moschetto ausführlich porträtiert. Zur Geltung kommen dabei sowohl ihre militärischen als auch ihre schriftstellerischen Leistungen. Ein Sammelband für Freunde von Militärgeschichte und Literatur. Zur Bestellung HIER oder auf das Bild oben klicken.

    Noch im selben Jahr fiel sein Bruder Otto in der Marneschlacht. Überhaupt sollte der Krieg der Familie einen hohen Blutzoll abfordern: Nur einer von vier Brüdern, Konrad Flex, überlebte den Weltkrieg und legte mit einer Biografie Walter Flex’ zwanzig Jahre nach dem Tod des Bruders Zeugnis für die Nachwelt ab, Zeugnis vom Leben und Sterben eines Dichtersoldaten.

    Flex‘ Kamerad Ernst Wurche, 1915. | Foto: CC0

    Doch Schritt für Schritt: Im Spätjahr 1914 zog Flex’ Regiment nach Lothringen. Auch während des Krieges schrieb der Schriftsteller Gedichte, die ihn erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorstellten, da sie in der auflagenstarken Täglichen Rundschau gedruckt und wenig später in Anthologien publiziert wurden. Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres diente er, mittlerweile zum Leutnant befördert, in erster Linie an der Ostfront, besonders in Nordostpolen und im Baltikum. Nachdem sein junger Kamerad, der ebenfalls kriegsfreiwillige Ernst Wurche, mit dem ihn eine feste Freundschaft verband, im August 1915 bei einem Patrouillengang nahe Simne gefallen war, schrieb Flex die oben bereits erwähnte Novelle Der Wanderer zwischen den beiden Welten, die im Oktober 1916 erschien und Flex viel schriftstellerischen Ruhm noch zu Lebzeiten einbrachte. Allein die Zeit, die er noch zu leben hatte, war begrenzt: sie sollte sich auf kaum mehr als ein Jahr belaufen.

    Um den unverwechselbaren Prosastil des Autors zu demonstrieren, mögen die ersten beiden Absätze dieses Buches genügen. Sie vermitteln auch eine Vorstellung davon, unter welch widrigen Umständen so manches Kriegsgedicht des Schriftstellers entstanden sein mag:

    Eine stürmische Vorfrühlingsnacht ging durch die kriegswunden Laubwälder Welsch-Lothringens, wo monatelanger Eisenhagel jeden Stamm gezeichnet und zerschroten hatte. Ich lag als Kriegsfreiwilliger wie hundert Nächte zuvor auf der granatenzerpflügten Waldblöße als Horchposten und sah mit windheißen Augen in das flackernde Helldunkel der Sturmnacht, durch die ruhlose Scheinwerfer über deutsche und französische Schützengräben wanderten. Der Braus des Nachtsturms schwoll anbrandend über mich hin. Fremde Stimmen füllten die zuckende Luft. Über Helmspitze und Gewehrlauf hin sang und pfiff es schneidend, schrill und klagend, und hoch über den feindlichen Heerhaufen, die sich lauernd im Dunkel gegenüberlagen, zogen mit messerscharfem Schrei wandernde Graugänse nach Norden.

    Die verflackernde Lichtfülle schweifender Leuchtkugeln hellte wieder und wieder in jähem Überfall die klumpigen Umrisse kauernder Gestalten auf, die in Mantel und Zeltbahn gehüllt gleich mir, eine Kette von Spähern, sich vor unseren Drahtverhauen in Erdmulden und Kalkgruben schmiegten. Die Postenkette unseres schlesischen Regiments zog sich vom Bois des Chevaliers hinüber zum Bois de Vérines, und das wandernde Heer der wilden Gänse strich gespensterhaft über uns alle dahin. Ohne im Dunkel die ineinanderlaufenden Zeilen zu sehen, schrieb ich auf einen Fetzen Papier ein paar Verse.

    Das Buch wurde zum erfolgreichsten eines deutschen Schriftstellers im Ersten Weltkrieg und war eines der sechs erfolgreichsten deutschen Bücher im 20. Jahrhundert. Ähnlich autobiographisch orientierte Kriegserzählungen, insbesondere Ernst Jüngers In Stahlgewittern, Ludwig Renns Krieg und Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, erschienen erst nach Flex’ bekannter Novelle. (…) Ende des Auszugs.

    Den vollständigen Aufsatz über Walter Flex und weitere Porträts finden Sie in dem Sammelband Libro e Moschetto –  Lebensbilder von Dichtersoldaten. Zur Bestellung HIER oder auf das Banner in diesem Beitrag klicken. Einen weiteren Auszug aus dem Buch (über Theodor Körner) finden Sie HIER.

    Der deutsch-amerikanische Publizist Johannes Scharf (*1988), stammt aus Richmond, Virginia, und wuchs am Bodensee auf. Er war als Infanterist der US Army unter anderem in der Oberpfalz stationiert. Sein Bachelor-Studium der Geschichte und Klassischen Archäologie an der Universität Heidelberg schloss er 2018 mit der Gesamtnote 1,2 ab. Derzeit absolviert er einen Master-Studiengang der Geschichte in Mannheim. Scharf ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt erschien seine Essaysammlung Kampf ums Dasein (2019). Außerdem ist er Mitherausgeber des Sammelbandes Libro e Moschetto – Lebensbilder von Dichtersoldaten (2020).

    Kommentare sind deaktiviert.