Am 19. Juni wurde der Ex-Kommunarde Rainer Langhans, der neben Rudi Dutschke wohl bekannteste ’68er-Aktivist, 80 Jahre alt. Im August 2015 führte COMPACT ein dreistündiges Interview mit en. Darin äußerte er sich über seine Interpretation von ’68, ehemalige Mitstreiter, das Problem der Körperlichkeit, der im Westen schwer verstehbaren Spiritualität, Internet, Kinder-Sexualität, NSA und vieles mehr. Kurze Auszüge aus dem Interview erschienen in COMPACT 9/2015 . Hier ein weiterer Auszug zu dem Themen Krieg, Körper und Internet. Der Auszug beginnt mit der Feststellung, inwieweit die heutige Ökonomie bereits ein Verbrechen darstellt.

    Langhans: „Nur Handel“ treiben: das ist ja der heutige Krieg. Man sieht ja, wie das gemacht wird: Wir könnten alle Menschen dieser Erde wunderbar ernähren, aber wir tun es nicht. Wir sind fett, mit Fleisch abgefüllt, und die „da unten“ haben nichts zu essen: Das gibt’s doch nicht! Übrigens: Wir fressen Tiere in einem endlosen Gemetzel. Wir vernichten auch die Natur noch damit. Wir sind doch irgendwie verrückt. Wir kommen nicht aus dem Krieg, dem ewigen, heraus.

    COMPACT: Aber wer ist denn „wir“? Sie tun es zum Beispiel nicht.

    L: Es ist dieser Körper, in dem wir sind. Und soweit wir mit dem Körper fast ausschließlich identifiziert sind, sind wir Krieger, sind wir Leute, die sich unter Feinden bewegen. Selbst mit Geliebten kommen wir nicht klar. Wenn wir eine Zweierbeziehung starten und sagen: „Darin machen wir jetzt mal so richtig auf Liebe“, selbst das geht ja kaum. Immer mehr Ehen werden geschieden. Es geht nicht. Wir haben es nie hingekriegt. Leben wir in einer friedlicheren Gesellschaft, nur weil einige Leute in Zweierbeziehungen mit Sex etwas versucht haben? Nein! Sex macht den Krieg leider auch nicht weniger. Sex ist auch ein Krieg! Wir können nicht lieben – das geht nicht im Körper!

    C: (…) Aber wo tut sich die Matrix wieder auf? Und da haben Sie geschrieben, dass das Internet Erleuchtungspotential besäße, dass es das Erbe der ’68er sei. Aber das Netz mit seinen Shitstormereien, Beleidigungen, dem Dark-Web mit Kinderpornographie, usw. – das ist doch ein Spiegel der kriegerischen Matrix. Wieso sehen Sie das Web trotzdem als Ausweg?

    L: Erstens: Das Internet wurde von ’68ern in Kalifornien erfunden, dem Militär entwendet. Zweitens: das Internet ermöglicht erstmals in der Geschichte vielen Menschen den Zugang zu einem geistigeren Raum, in dem der Körper ein wenig verlassen wird. Denn der wird dabei ja kaum noch benutzt. Schaut euch mal die Körper von den Nerds an: nur noch Sitzsäcke. Und die sind keine Kriegerkörper.

    C: Ja, aber die Menschen gehen auch oft ins Web, um sich dort Gegenstände zu ordern oder einen Partner für die physische Welt zu finden.

    L: Ja klar, auch. Nein, im Internet herrscht die körperlose Kommunikation. Austausch von Daten, wie man das nennt. Was bringt das? Kommunikation. Und was ist die intensivste Kommunikation, die wir kennen? – Liebe. Ohne Worte. Jeder Liebende kommuniziert in einer Weise, die so intensiv ist. Da ist alles Geist und der Austausch so stark, dass man verschmilzt. Dass es gar nicht mehr eine Zweiheit gibt. Dass man eins ist. Das ist das Ziel oder jedenfalls die Hoffnung. Und das ist möglich durch eine Steigerung der Kommunikation. Auch der elektronischen. Schauen Sie: Das erste Mal in der menschlichen Geschichte gibt es eine Ahnung davon, dass wir eigentlich alle Freunde sind. Nicht Feinde. Es gibt immerhin 1,5 Milliarden erklärter Freunde auf facebook. Und ist das nichts? – Doch! Das ist ein verdammtes Zeichen.

    Und das durch diese verstärkte Kommunikation. Früher konnten wir ja nur von Feind zu Feind in den drei, vier Körpern, die man in seinem Leben um sich hatte, kommunizieren und hat sich da ordentlich gekloppt. Jetzt aber kannst du mit unendlich vielen Menschen irgendwie schon kommunizieren. Und mehr Kommunikation ist mehr Liebe, ist mehr Verstehen, ist mehr Frieden, Freundschaft – und keine Gewalt, kein Krieg mehr. Das ist alles durch das Internet ermöglicht. Zugegeben: Das sind alles Ansätze, aber wir sind derzeit ja noch alle Materialisten und brauchen deshalb noch so ein halb-materielles Medium, um das zu üben. Aber wir üben es, immerhin! Und damit gibt es erstmals um die Erde eine geistige Sphäre, nicht bloß die materielle Sphäre des Austausches, des Körperüberlebens, des Krieges, usw. Früher gab es immer bloß ein paar geistige Leute, immer bloß Akademiker, die von der normalen Überlebensarbeit freigesetzt waren. Die ganzen übrigen Menschen blieben im Krieg, im Überlebenskrieg. Vor allem die vielen Armen, die ausgebeutet wurden. Und erstmals gibt es jetzt etwas, wo viele viele Leute diese Option haben.

    Weil: Die kriegen gar nicht mehr so viel Arbeit, um sie mit Lebenskampf beschäftigen. Man überlegt ja heute: Wie kann man denen Geld geben, weil das über Arbeit nicht mehr geht. Und erstmals müssen die sich mit diesem Zeug beschäftigen. Was bleibt ihnen sonst auch übrig? So komisch stellt sich eine geistige Sphäre her. Aber sie stellt sich her, und das ist das Phantastische. Das hat es früher nie gegeben. Allen Geist, den es gab, der war ein paar Philosophen, ein paar Mönchen vorbehalten. Sonst für niemanden. Alles Wissen der Welt eigentumslos zur Verfügung zu stellen – vorher alles als Eigentum weggesperrt. Die Befreiung aller Daten aus den Eigentumsgefängnissen. Und wir wissen ja, wo wir da heute stehen: „Nein! Urheberrecht! Wehe, ihr macht das! Und ihr wollt da alle nicht zahlen!“ Die Jungen wollen da ja viel machen. Die anderen aber sagen: „Nein, das bleibt in den Eigentumsgefängnissen! Gehört mir! Darfst du nicht verwenden!“ Da haben wir eigentlich einen riesigen Kulturkampf. Frieden, Liebe durch uneingeschränkte Kommunikation, raus aus diesem kommunikationsunfähigen Eigentumsgefängnissen.

    In der Kommune damals übrigens auch: Kein Eigentum, keine Zweierbeziehungen, allgemeine Zärtlichkeit, Revolutionierung des Alltags – das waren die Bedingungen, die wir uns damals schon gegeben hatten. Leidenschaftliches Interesse an sich selbst. Das waren unsere – natürlich auch hilflosen – Beschreibungen der Kommune. Die war übrigens das einzige positive Projekt in dieser ganzen Anti- und Gegenbewegung zur alten Gesellschaft. Wir sind aber auch nicht weit gekommen.

    C: Aber nicht nur Information, sondern auch Desinformation und Manipulation werden über das Internet in vorher unbekanntem Ausmaß verbreitet. Und dann natürlich auch Überwachung. Stichwort: NSA.

    L: Das findet sich ja schon in Dystopien wie „1984“ oder „Schöne neue Welt“: Die erzählen ja schon von totalen Überwachungsstaaten.

    C: Und die werden immer realer…

    L: Die werden immer realer. Das ist ja auch der große Schrecken der Nerds. Die dachten erst mal: „Wow, die große Befreiung!“ Jetzt stellt sich plötzlich heraus: Da lauert die NSA. Das Web ist ein Militärprojekt zur Totalüberwachung. Mehr denn je als in der menschlichen Geschichte zuvor. Das ist genau wie bei der großen Erleuchtung von 68. Du siehst erst mal: „So könnte es sein! So sind wir eigentlich. Das ist die große Freiheit!“ Aber wenn du erst mal diese Freiheitserfahrung gemacht hast, und das haben auch diese Nerds wirklich, dann ist der nächste Schritt, dass du mit diesen neuen Augen auf die alten Dinge schaust. Und was siehst du dann? Nach dem ersten Überschwang scheinbarer Rollback: totale Kontrolle, totale Überwachung, Macht, Unterwerfung, usw. Das heißt: Die sehen nur, was immer schon war.

    Natürlich durch die Interneterfahrung der Freiheit nochmal verstärkt. Und was war? Krieg , Überwachung, Lieblosigkeit. Ich habe viel mit Nerds gesprochen und ihnen gesagt: „Ich verstehe euch. Ihr seid im Grunde ein Folgeprojekt der Sechziger, mehr als es die Grünen je waren.“ Das haben sie aber nicht verstanden. Und dann habe ich ihnen gesagt: „Die NSA soll doch alles von uns wissen. Wunderbar! In dem Augenblick, wo ihr sagt ,Private Daten schützen, öffentliche Daten nutzen‘, besteht ihr weiter auf Privateigentum. Und damit auf einer eingeschränkten und letztlich kriegerischen Kommunikation. Und davon rate ich euch sehr ab. Seid weiter für die große Freiheit, und die heißt: Alle Daten aus allen Gefängnissen raus. Also auch eure privaten Daten sollen völlig öffentlich sein. Je mehr, desto besser. Und dass die NSA sie kriegt: Ja, selbstverständlich! Das war doch immer so. Wenn du jemandem irgendwas gesagt hast, dann saß immer irgendwer dabei und hat mitgehört. Ihr gebt doch schon vorher die Daten ins Netz, weil das so gut für euch ist. Weil ihr dadurch lieben könnt.

    C: Ja, aber nur bestimmte Leute. Und wir brauchen doch auch Privatsphäre. Die schützt uns doch auch.

    L: Wir haben doch tausende von Jahren mit Privatsphäre und Privatbesitz gelebt und nur Kriege geführt. Und das hängt unmittelbar zusammen. Weil dein privatester Besitz: das sind deine Gedanken. Deine „inneren Daten“. Nicht die Meta-Daten, also das, was der Körper tut. Und diese „inneren Daten“, die geben sie auf facebook frei, dh. sie teilen jedem das Privateste mit. Und dadurch gibt es einen höheren Geist der Friedens, der Freundschaft, des Miteinanders. Und die NSA speichert ja nur das ab, was wir vorher schon freigesetzt haben. Warum darf niemand „mein Privatestes“ erfahren? Weil dieses Innere immer aus Mördergruben bestand. Wenn du aber diese Mördergruben aufmachst, dann kannst du sie mit Licht erhellen. Und die anderen werden dir dabei helfen. Auch die NSA will ja nur wissen, welche Mördergruben da vielleicht sind, und möchten zugreifen, bevor die zum Ausbruch kommen. Deshalb wollen die uns überwachen. Um die bösen Terroristen, die Krieg gegen irgend jemanden führen, rechtzeitig zu erfassen. Die schauen nach den Anlagen und greifen den vorher ab.

    C: Sie sehen die NSA positiv?

    L: Nein, aber ich sehe dahinter den positiven Sinn, der natürlich die alten Verhältnisse erhalten soll. Denn letztlich geht es nur um Folgendes: Menschen sollen überwacht werden, damit sie nichts diese Verhältnisse Gefährdendes tun. In diesem Falle: gegen den Staat. Wenn man nicht alles in ihm toll findet, sind die schon der Meinung: „Der muss ausgeschaltet werden“ Wenn ich zum Beispiel sage: „Das Wirtschaftssystem gefällt mir nicht“, dann sagen die natürlich: „Okay, den Mann schalten wir vorsorglich aus.“ Da wird dann eine Drohne hingeschickt. Und da gibt es nur einen Weg, das zu verändern. Indem wir sagen: Wir müssen wissen, was die tun. Nicht etwa nur: Die sollen alles von uns wissen. Nein, auch wir möchten alles wissen, was die tun. Das wäre für mich der Punkt.

    Und nicht etwa zu sagen: „Die sollen das nicht wissen. Wir wollen unsere privaten Geheimnisse für uns behalten. Das definiert uns als abendländische Bürger. Stattdessen stelle ich meine ganzen privaten Geheimnisse zur Verfügung. Ja, es wird keine privaten Geheimnisse, keine Privatsphäre mehr geben, denn es ist schön, was in mir ist. Und wenn eine Mördergrube dabei ist, werden wir gemeinsam versuchen, die trocken zu legen.“ Und dann werden wir miteinander freundschaftlich, ja liebevoll sein können. Wenn wir weiter dieses Private vor uns verbergen, werden wir immer vermuten: Der kann uns eines Tages umbringen. Dann werden wir immer den Krieg am Laufen halten.

    C: Dass jemand wie Sie, der keine Schwierigkeiten hat, alles von sich preiszugeben, das auch tut, ist okay. Aber es gibt durchaus unbescholtene Bürger, die keinerlei Gefahr darstellen, aber trotzdem nicht wollen, dass ihre Daten weltweit zugänglich sind.

    L: Stimmt nicht. Der Erfolg von facebook beruht genau darauf, dass immer mehr Menschen das wollen. (Fortsetzung des Interviews unter dem Werbeblock)

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    C: Und es gibt viele, die nicht bei facebook sind.

    L: Nicht viele mehr. Okay, im Augenblick ist die Mehrheit immer noch nicht dabei, aber es nimmt zu. Es sind die jüngeren. Die älteren kriegen es vielleicht nicht so schnell hin, das mag sein. Aber die jüngeren sind praktisch alle auf facebook, auch wenn sie sagen: „Ach facebook, ich stell da nichts drauf. Oder ich veröffentliche da nur meine Partybilder…“ Nein, sie kommunizieren sehr wohl mit privatesten Daten. Warum? Weil sie irgendwie wissen, und das ist auch unser Erbe, dass nur rückhaltlose Offenheit, heute Transparenz genannt, diese rückhaltlose Liebesmöglichkeit, uns besser zusammen leben lässt als in der Vergangenheit, wo Privatbesitz immer nur Kriege provozierte.

    Deswegen sage ich: Das Internet ist die heutige Kommune. Mich stört nicht, dass den Jungen das noch nicht so bewusst ist, denn du brauchst kein Bewusstsein, um bestimmte Dinge richtig zu machen. Das wissen wir aus der Geschichte. Sie machen was Gutes und wenn sie später verstehen, was das ist, macht das nichts. Und wenn die mich fragen: „Was sollen wir machen?“, dann sage ich immer: „Mehr Internet, bis ihr das Internet nicht mehr braucht. Da geht’s lang. Das ist gut. Ihr seid wirklich sehr sehr gut. Indem ihr ,hier‘ fast nichts mehr macht, denn ihr seid praktisch nur noch ,drüben‘. Und da lasst euch bloß nicht von diesen Ängsten um die NSA irre machen. Wenn die Piraten sagen: „Passt auf!“, „Verschlüsselt eure Daten!“ – Bloß nicht! Nein. Macht diese Kommunikation immer weiter. Das ist genau richtig. Das hat jetzt schon soviel Gutes gebracht, das wird noch mehr Gutes bringen. Aber vorher werdet ihr noch ein paar Schrecken erleben.“

    C: Aber wenn man den arabischen Frühling nimmt oder andere revolutionäre Ereignisse, die über facebook oder allgemein über das Internet eingeleitet wurde: Ist man da nicht ein bisschen blauäugig, kopflos rangegangen? Denn das alles hat ja überhaupt nichts gebracht. Es hat nur zu Krieg geführt und neue Diktatoren hochgebracht.

    L: Das ist genau das Gleiche wie bei uns, wie bei unseren Eltern: du erlebst erst mal eine kurze Hoch-Zeit, einen Hype, wo du siehst: „Wow, das ist es! Mann, es ist möglich! Es ist alles da!“ Danach kommt der ganz große Rückschlag: Dann ist alles scheiße. Du siehst, was immer war, mit neuen Augen. Nämlich wie schrecklich es ist. Dann scheint alles vergeblich und wir haben verloren. Nein! Überhaupt nicht. Und die wissen das übrigens besser als wir damals, als die meisten glaubten, wir hätten wirklich verloren auf alle Zeit. Aber die Heutigen wissen: Tahrir-Platz, Gezi-Park, Occupy Frankfurt usw., das sind kurzzeitige Kommunen, und wenn die nach ein paar Wochen wieder weggeräumt werden, dann kommt danach erst mal wieder das Böse. Aber das macht gar nichts.

    Wir bleiben dran, diese Erfahrung ist unverlierbar und wir werden das weitermachen. Aber diese Rückschläge, die werden immer und immer wieder kommen. Das gilt auch für den inneren Weg. Da kommst du erst mal etwas voran und dann erhältst du einen Rückschlag, dass du glaubst: es geht nie wieder weiter. So schrecklich ist das – und doch geht es weiter. Und deswegen ist der innere Weg ein ständiges Vorwärts-scheitern. Kein Vorwärts-gelingen. Das ist der Weg – und das ist schwierig. Warum, weiß ich auch nicht. Aber wenn du das Unmögliche tust, kannst du immer nur scheitern, aber du kommst mit jedem Scheitern ein Stück voran. Und das kann einem jemand nur zeigen und dazu ermutigen, der es weiß. Die normalen Leute sagen: Wer scheitert, sollte was anderes probieren.

    C: Haben die Freundschaften, die auf facebook geschlossen wurden, nicht eine andere Qualität als tatsächliche, persönliche Freundschaften?

    L: Nein, weil wirkliche Freundschaft immer außerhalb des Körpers ist. Der Körper kann niemals Frieden geben, der Körper kann nicht lieben. Der ist außerstande zu lieben. Das ist nicht sein Programm. Und du kannst nur Frieden und Liebe erleben, wenn du ein Stück weit außerhalb des Körpers bist. Das wird dir jeder Liebende bestätigen. Deshalb lieben die Leute auch unglaublich viel im Netz, aber überlegen sich sehr genau, ob sie den Körper mit seiner Kriegerei noch hinzunehmen.

    C: Einige stehen der Facebook-Freundschaft immer noch kritisch gegenüber, glauben also nicht, dass die virtuelle und die reale Freundschaft gleichen Ranges sind und man nur in der Realität echte Beziehungen aufbauen kann.

    L: Das ist für die jungen heute schon anders. Die Real-World ist für die jungen Leute das Internet, für die alten aber natürlich noch die materielle Welt. Diese Meinung ist also im Grunde alt-ideologisch. Da muss man sich einfach mal überlegen, wie sehr man schon in der virtuellen Welt lebt, wie real das für einen ist und wie real diese sogenannte materielle Welt noch ist – je jünger man ist, desto weniger, würde ich sagen. Die Jungen sind doch hier, in der materiellen Welt, fast kaum mehr aktiv. Das wird ihnen auch immer gesagt: „Ihr tut ja hier gar nichts, ihr seid schlaff, ihr seid nicht politisch“ – aber „drüben“, da sind sie so aktiv, das die Alten dauernd sagen: „Hört ihr wohl auf! Ihr dürft nicht das Wissen frei verwenden, das gehört uns. Wehe ihr macht da was, dann kommt ihr ins Gefängnis.“ Wenn Leute wie Edward Snowden da einige Daten befreien, dann werden die sofort fast vernichtet, wenn’s nur irgendwie ginge. Also auf Deutsch: Die Jungen sind bereits in der virtuellen Welt, machen „hier“ gar nichts.

    „Drüben“ werden sie dann natürlich mit der ganzen polizeilichen Gewalt attackiert , über die die Alten verfügen, nach dem Motto: „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, unsere alten Besitzverhältnisse müssen auch im Internet herrschen“. So werden die Jungen ständig bedroht und jetzt gibt es diesen großen Kulturkampf, wo sie sagen: „Wir wollen das alles befreien“ und die Alten sagen: „Gibt’s gar nicht, unsere Geschäftsmodelle gehen dann alle kaputt, das muss genauso dort laufen wie hier draußen, so war das schon immer und muss auch so bleiben“. Der ist fantastisch, dieser Kampf. Ich bin optimistisch, aber man kann natürlich auch pessimistisch sein, man kann sagen, die alten Mächte werden das übernehmen, die werden das Internet wieder total auf ihre Bedürfnisse zuschneiden und die alten Verhältnisse letztlich beibehalten. Ich weiß es nicht, glaube aber schon, dass wir hier gerade einen großen epochalen menschheitsgeschichtlichen Schritt unternehmen, weil die Jungen sich nicht davon abbringen lassen werden, auch nicht von sogenannten Rückschlägen, wie das bei uns auch der Fall war.

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