Im Oktober 1930 kam es in einem Studio des Berliner Rundfunks zu einer denkwürdigen Begegnung: Mit Erwin Piscator und Joseph Goebbels trafen zwei Männer aufeinander, die so gar nichts miteinander gemein hatten – doch nur auf den ersten Blick. Ein Auszug aus der November-Ausgabe von COMPACT

    _ von Werner Bräuninger

    Es war die aufgeregte, neurasthenisch aufgeladene Atmosphäre jener Jahre, in der Thomas Mann im Berliner Beethoven-Saal seine «Deutsche Ansprache» hielt, bei der er die aufstrebende NS-Bewegung zieh, die Politik zum «Massenopiat» zu degradieren.

    Im Auftrag von Joseph Goebbels, damals Gauleiter der NSDAP in Berlin, befanden sich auch 20 SA-Männer im Saal. Sie hatten sich zuvor Smokings ausgeliehen, um nicht aufzufallen. Kurz nachdem Mann das Wort ergriff, erfolgten von ihrer Seite immer wieder störende Zwischenrufe, bis das Eingreifen der Polizei dem Treiben ein Ende setzte.

    «Persönlich angenehmer und sauberer Bursche.» Goebbels

    Auch die Brüder Jünger und ein gewisser Arnolt Bronnen verfolgten dieses Schauspiel. Wenig später sabotierte derselbe Bronnen im Einvernehmen mit Goebbels die Uraufführung der Kinofassung von Remarques pazifistischem Roman Im Westen nichts Neues, indem man Stinkbomben warf und weiße Mäuse freiließ. Besonders soll sich hierbei die Schauspielerin Olga Förster-Prowe hervorgetan haben, die sowohl mit Bronnen als auch Goebbels eine Liaison hatte.

    Die Kontrahenten

    Solcherart war das Zeitkolorit, das Bronnen als Hörspieldramaturg der «Berliner Funkstunde» vorfand, als er nach dem enormen Wahlsieg der NSDAP im September 1930 an die Verwirklichung seiner Idee ging, Links- und Rechtsintellektuelle zu kulturpolitischen Fragen im Rundfunk debattieren zu lassen und seinem Intendanten Hans Flesch vorschlug, ein Streitgespräch zwischen dem Theaterintendanten Erwin Piscator und NS-Gauleiter Goebbels über die Frage «Nationale oder internationale Kunst?» vor der Hörerschaft austragen zu lassen.

    Der Film als Waffe: Joseph Goebbels als Reichspropagandaminister mit Leni Riefenstahl. Die Star-Regisseurin des Dritten Reiches drehte unter anderem den Film «Triumph des Willens» (1934). Foto: picture-alliance / dpa

    Piscator, geboren 1893, entstammte einer calvinistischen Kaufmannsfamilie aus Mittelhessen. Im Ersten Weltkrieg hatte er an den Stellungskämpfen in Flandern teilgenommen und war dort schwer verwundet worden. Nach dem Kriege überzeugter Kommunist, schloss er sich dem Kreis um George Grosz und John Heartfield an. Das erste Proletarische Theater in Berlin geht auf ihn zurück.

    Piscators Ziel war es, die Arbeiterschaft für die Kunst zu gewinnen, wobei er aber parteipolitische «Auftragskunst» ablehnte, was schließlich zum Zerwürfnis mit der KPD führte. Um die Zuschauer zu aktiver Teilnahme am Bühnengeschehen zu animieren, konzipierte er 1927 gemeinsam mit Walter Gropius das ambitionierte Projekt des sogenannten Totaltheaters, indem er etwa die räumliche Trennung zwischen Schauspielern und Zuschauern aufhob.

    «Er missfiel mir weniger als er mir gefiel.» Piscator

    Dieser Piscator-Bühne mit über tausend Plätzen drückte er als einflussreicher Avantgardist, der das Theater auch mittels raffinierter Bühnentechnik zum politischen Tribunal umfunktionierte, seinen Stempel auf. Er verwendete hierfür komplexe, hochmoderne Arrangements filmischer Elemente, Bildprojektionen und Fahrstühle, deren Wirkung sich selbst Bertolt Brecht nicht entziehen konnte.

    Wahlplakat der NSDAP von 1930. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Goebbels, 1897 geboren, aus rheinisch-katholischem Milieu stammender Dr. phil., war als Romancier erfolglos geblieben, hatte sich als junger, gott- und sinnsuchender Mensch der Politik zugewandt und schließlich den Weg zur Hitler-Bewegung gefunden.

    Als ausgewiesener Vertreter des linken Flügels der Partei wurde er in erstaunlich kurzer Zeit an Rhein und Ruhr zu einer festen politischen Größe, und bald schon zeigte sich, dass man es bei ihm mit einem außergewöhnlich talentierten Redner und Propagandisten zu tun hatte. 1926 wurde er auf Geheiß Hitlers in die Reichshauptstadt entsandt, um die dort völlig desolate NSDAP auf Vordermann zu bringen.

    Schlagartig hielt die Partei in den Hochburgen der KPD nun Versammlung auf Versammlung ab, und Goebbels führte die SA in ungezählte Saalschlachten. Binnen weniger Monate wurde die Berliner Partei unter ihrem neuen Gauleiter und Reichstagsabgeordneten, der zudem ein befähigter Journalist war, zu einer maßgeblichen Konstante der Politik.

    Goebbels zeigte ebenso ein ausgeprägtes Interesse für Dramaturgie und hatte daher frühzeitig eine «NS-Versuchsbühne» in Berlin angeregt, auf der sowohl Laien als auch Berufsschauspieler polemische Auseinandersetzungen mit den brennenden Themen der Zeit sowie den Gegnern der nationalsozialistischen Idee führten. Auch Goebbels‘ eigene, einst von den Theatern gar nicht erst angenommenen Stücke, wie eine Bühnenfassung seines Romans Michael, wurden dort aufgeführt.

    Dieses Theater habe kein Publikum, hieß es in seinem Kampfblatt Der Angriff, sondern eine Gemeinde. Es wolle nicht amüsieren, sondern aufrütteln und erheben. In vielfacher Hinsicht nahm man hier – bewusst oder unbewusst – auch Anleihen beim radikalen Agitprop Piscators.

    Die Debatte

    Am 21. Oktober 1930 fand nun besagte Diskussion zwischen Piscator und Goebbels unter Bronnens Leitung statt. Die beiden waren sich bei ihrer ersten persönlichen Begegnung nicht einmal unsympathisch. In seinem Tagebuch nannte der NS-Politiker seinen Kontrahenten einen «persönlich angenehmen und sauberen Burschen». Piscator erkannte in dem jungen Berliner Gauleiter indes (…) Ende des Textauszugs.

    Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der November-Ausgabe von COMPACT mit dem Titelthema «#Ungeimpft – Wie die Spritze die Gesellschaft spaltet». Das vollständige Inhaltsverzeichnis und die Möglichkeit zur Bestellung finden Sie hier.

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