Das letzte Mal sah ich ihn im Juli 2019. Wie immer empfing er mich in seiner vollgestopften Fünfzimmerwohnung in einem Honecker-Plattenbau gegenüber vom Adlon, durchs Fenster sah man hinaus aufs Holocaustmahnmal. Überall Bücher, Fotos, Zeitungen, Ausrisse, Manuskripte – man hatte kaum Platz zum Sitzen.

    Der alte Herr fläzte quietschfidel auf dem Sofa und begrüßte mich mit großem Hallo. Wie üblich schenkte er gleich einen schönen Wodka ein, das war die Standardbegrüßung, vermutlich nicht nur bei mir. Kredenzt und nachgeschenkt wurde von zwei Mitarbeiterinnen, er nannte sie immer „meine Studentinnen“. Sie telefonierten und mailten für ihn und tippten seine Manuskripte ab, und ich wurde nie den Verdacht  los, dass sie auch seiner optischen Inspiration dienten. Aber sicherlich nicht mehr, er war glücklich verheiratet und ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle.

    An diesem Abend ging es um einen neuen Artikel, den er für COMPACT verfasst hatte und von einem  seiner Leib- und Magenthemen handelte: die Leistungen Bismarcks für das deutsche Volk, nämlich die Einführung einer Sozialgesetzgebung und die Entspannungspolitik gegenüber Russland. Beides hätten die „Machthaber“ der BRD verraten, schimpfte der Autor von „Wessis in Weimar“. Der Text war viel zu lang, aber mit Schwung geschrieben – wir brachten ihn ab der Septemberausgabe 2019 als Zweiteiler.

    Höpcke, Hochhuth, Elsässer bei COMPACT-Live, 2011. Foto: SvM.

    Zum ersten Mal hatten wir uns 2011 am selben Ort getroffen, zu einem großen Interview für COMPACT. Im Laufe der Jahre veröffentlichte er fünf oder sechs Beiträge bei uns, trat außerdem zwei Mal bei COMPACT auf: 2011 bei einer unserer Berliner Veranstaltungen („COMPACT Live“) zusammen mit Klaus Höpcke, dem ehemaligen Kulturminister-Vize der DDR (siehe Foto oben); und 2015 bei unserer jährlichen Souveränitätskonferenz (siehe Aufmacherfoto), die in diesem annus horribilis – im September waren die Grenzen geöffnet worden – unter dem Motto „Freiheit für Deutschland“ stand. Die 1.100 Leute im Saal taten dem großen Mann gut, er fühlte sich wohl, und er störte sich nicht die Bohne daran, dass auch  böse Buben wie Götz Kubitschek und André Poggenburg unter den Rednern waren. Hochhuth war eine intellektuelle Ausnahmeerscheinung und gehörte zu einer edlen Spezies, die heute in diesem Land nur noch selten zu finden ist: Er hatte keinerlei Berührungsängste, aber ließ sich auch nicht vereinnahmen. Das verband uns. Die Mainstreampresse hatte ihn vor unserer Konferenz vor der Teilnahme gewarnt und das übliche Theater abgezogen – Hochhuth blieb unberührt. In seiner Rede jedoch vertrat er eine Position, die von kaum einem im Saal geteilt wurde: Er lobte Merkel für ihre Flüchtlingspolitik. „Freiheit für Deutschland“ bezog er nur auf die Besetzung durch USA und NATO, die wollte er abschaffen.

    Hochhuth mit COMPACT, 2011. Foto: SvM

    In unseren Gesprächen, auch dem letzten, sparten wir meistens die Reizthemen Merkel und Asyl  aus und vergnügten uns auf dem geschichtlichen und philosophischen Terrain. Der Mann verkörperte eine einmalige ideologische Mischung: Pro Bismarck und pro deutsches Kaiserreich, gleichzeitig ein glühender Nazi-Gegner und Verehrer von Winston Churchill. Wobei ihn letzteres wiederum nicht daran hinderte, den Bombenterror der Briten gegen Dresden zu verabscheuen und den Historiker David Irving für dessen Aufarbeitung des Mega-Verbrechens zu loben, auch nachdem dieser als Holocaust-Leugner schon in Ungnade gefallen war. Sein Esprit und seine Kenntnis begeisterten mich, der Wodka tat das Übrige.

    Zuletzt telefonierten wir vor etwa acht Wochen, er hatte noch ein Manuskript für COMPACT in Petto: Er plädiert darin für die Umwandlung des ICC in ein „Museum des 20. Jahrhunderts“. Außerdem sprach er von einem neuen Buch, es sollte vom Völkermord der Yankees an den Indianern handeln, „dem scheußlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“. Hoffentlich bewahrt seine Frau das Fragment gut auf und übergibt es an einen geneigten Verleger. COMPACT steht gerne zur Verfügung.

    Er war ein feiner, gütiger, weiser Mensch. Verdammt, ich hätte im Februar nicht telefonieren, sondern noch einmal vorbeifahren sollen. Verzeihen Sie mir, Herr Hochhuth!

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