Sie war die Marilyn Monroe der BRD: Der Mord an der Jetset-Prostituierten Rosemarie Nitribitt ist das bekannteste Verbrechen in der noch jungen Bundesrepublik. Ihr gewaltsamer Tod im Jahr 1957 verweist ebenso auf den Tiefen Staat wie jener ihrer amerikanischen Leidensgenossin 1962. Aber erst jetzt, nach über 60 Jahren, gelang es Diether Dehm, diese Dimension herauszuarbeiten. Seinen Roman „Rebecca“ gibt es hier.
Egal, was man von Dehm als Politiker halten mag, packend schreiben kann er! Ob man ihn wegen seiner Arbeit als linker Bundestagsabgeordneter in Erinnerung behalten wird, muss die Zukunft zeigen. Aber als Romancier wird er noch in 100 oder 200 Jahren gelesen werden, vor allem wegen seines aktuellen Wälzers „Rebecca“. Wer unter den Trümmern des nächsten Krieges nach dessen Ursachen sucht, wird viele davon auf diesen 640 Seiten finden können, und zwar auf spannende Weise.
Dehms Erfolgsrezept
Die wichtigste Regel für einen guten Schreiber ist: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Der Leser will unterhalten werden, nicht belehrt – und das beherzigt Dehm. Ihm geht es sehr wohl um die Vermittlung politischer Inhalte – aber er weiß auch, dass er das nicht spüren lassen darf.
Im Kern handelt es sich bei „Rebecca“ um die Geschichte der jungen Bundesrepublik, grob gesagt der Adenauerzeit – aber lecker wird dieses harte Brot der Erkenntnis durch den süßen, oft bittersüßen Überzug aus Sex and Crime, bei Dehm ergänzt durch Fußball: Einer seiner Protagonisten ist von Sepp Herberger für den Kader der WM in der Schweiz 1954 nominiert worden. Herz, Schmerz, Ficken, Kicken – im Grunde folgt der Autor damit dem Thriller-Erfolgsrezept von Volker Kutscher und seiner als „Babylon Berlin“ verfilmten Reihe. Behandelt dieser die 1920er und 1930er Jahre, sind es bei jenem die End-1940er und 1950er.
Die neuen Fakten
Schon einige haben sich an dem Stoff versucht, am bekanntesten ist Erich Kuby. Der linksliberale Enthüllungsjournalist lieferte mit „Das Mädchen Rosemarie“ die Vorlage zu zwei gleichnamigen Blockbustern von 1958 und 1996, mit Nadja Tiller beziehungsweise Nina Hoss in der Hauptrolle.
Doch Kuby setzte, wie es für die von ihm unterstützte Neue Linke typisch werden sollte, seinen Schwerpunkt auf ein kulturmarxistisches Thema: die rigide Sexualmoral und Bigotterie der patriarchalen Männergesellschaft contra die Lebenslust und Frivolität einer jungen Frau.

Dehm, der nie ein Neuer Linker war, sondern immer einer von altem Schrot und Korn blieb, findet die bösen Mächte, die Rosemarie/„Rebecca“ zum Verhängnis wurden, nicht im Geschlechterverhältnis, sondern in der Ökonomie, bei den Konzernen und den Geheimdiensten, deren Verschlingung bis ins Dritte Reich zurückreicht.
Die Kunden der Nitribitt sind bei Dehm die Großkapitalisten, die ihre Profite über Hitler hinaus in die BRD gerettet haben, etwa aus den Dynastien Quant und vor allem Krupp, und ihre willfährigen Politikern, namentlich der Wirtschaftswunder-Macher Ludwig Erhard, die Minister Seebohm und Kiesinger sowie Deutsche-Bank-Direktor Hermann J. Abs.
Einige Namen tauchten schon bei Kuby auf, aber Dehm verbindet sie in einer neuen Konstellation: Es ist kein französischer Spion, der die Nitbritt bedrängt, sondern es sind die neuen westdeutschen Geheimdienste, die ihrerseits von den amerikanischen Besatzern geführt werden. Die Auschwitz-Verbindung der Hochfinanz darf nicht bekannt werden – und von diesem Geheimnis hatte „Rebecca“ /Rosemarie Kenntnis.
Neue Zeugen
Der Frankfurter Dehm kann mit Lokalkolorit des Mordfalls aus seiner Heimatstadt aufwarten – und mit Einsichten, die keiner vor ihm hatte: Seine Mutter kannte die Nitribitt persönlich und war Zeugin im Prozess. Die Verbindungen zu den Geheimdiensten deckte unter anderem Emil Carlebach auf, mit dem er jahrzehntelang befreundet war.
Dieser war nach dem Krieg kurzzeitig Chefredakteur der Frankfurter Rundschau (bis ihn die US-Militärverwaltung feuern ließ) und ist, geschichtlich verbürgt, eine der realen Protagonisten des Romans „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz, der die Selbstbefreiung des KZ Buchenwald schildert. Eine weitere Hauptfigur in „Rebecca“ ist Dehms Vater, als parteiloser Autoschlosser eine Galionsfigur der hessischen Massenstreiks Ende der 40er Jahre, die aus der offiziellen Geschichtsschreibung verbannt wurden.
Summa summarum: Wer wissen will, welche Mächte die BRD beherrschen, sollte nicht zu den alten Langweilern Günter Grass, Heinrich Böll oder Martin Walser greifen. Lesen Sie Diether Dehm, den fesselnden Chronisten einer Vergangenheit, die nicht vergehen will.
Diether Dehm, „Rebecca“, 640 Seiten, 28 Euro, können Sie hier bestellen.