Die Freiheit wird abgeschafft – und alle stimmen zu und sind glücklich. Die schöne neue Welt, die in der Corona-Krise in rasender Geschwindigkeit Konturen gewinnt, wurde zuerst in Aldous Huxleys gleichnamigem Roman beschrieben.  

    Es folgt ein Auszug aus dem gleichnamigen Artikel, den Sie ungekürzt in der aktuellen COMPACT 05/2020 oder auf Digital+ lesen können.

    _ von Federico Bischoff

    Zwei Dystopien haben unsere Furcht vor der Zukunft geprägt: 1984 von George Orwell schildert einen allmächtigen Überwachungsstaat, kommandiert von einer Einheitspartei und ihrem über alles geliebten Großen Bruder. Im Alternativentwurf von Huxley dagegen gibt es keine sichtbare Unterdrückung, keine Gewalt: Die Menschen unterwerfen sich aus freien Stücken.

    Dazu hat eugenische Normierung beigetragen, aber auch – und das macht den Zukunftsentwurf in diesen Tagen so schmerzhaft aktuell – die Gesundheitspolitik unter dem Motto «Je sterilisierter, desto zivilisierter»: In der klinisch reinen Zukunft werden Embryonen nicht mehr geboren, sondern im Labor herangezüchtet und pränatal geimpft. Krankheiten und Gebrechen gibt es nicht mehr, man ist bis ins hohe Alter vital und behält seine jugendliche Spannkraft. Allerdings ist die Lebenszeit auf 60 bis 70 Jahre begrenzt – dann wird bei jedem künstlich der Sterbeprozess eingeleitet.

    Henry Ford und Bill Gates

    Schöne neue Welt erschien im Jahr 1932 und stand ganz im Banne jenes Mannes, der die modernsten wissenschaftlichen Methoden in seiner Industrie durchgesetzt hatte: der Autobauer Henry Ford. Er ist der neue Gott, deshalb ist die Handlung «632 nach Ford» angesiedelt. Vielleicht wird eine künftige Gesellschaft sich andere Pioniere zum Götzen wählen, vielleicht wird die Zeitrechnung auf «nach Gates» umgestellt, den Protagonisten des Gesundheitsstaates.

    Die Serienadaption von Huxleys Klassiker spielt in einer Zukunft, in der Monogamie, Privatsphäre und Geschichte verboten sind – eine perfekte Welt als goldener Käfig. Foto: Szenenfoto

    Dieser Staat kann natürlich, wie bei Huxley, nur ein globales Regime sein – sonst wäre seine Stabilität durch alternative Gesellschaftsmodelle bedroht. Wer sich nicht anpasst, wird in Reservate abgeschoben, wo die Unzivilisierten hausen. An der Spitze der Weltregierung steht der Weltaufsichtsrat (WAR) Mustafa Mannesmann. Bei Huxley war das nicht als Hommage an oder Warnung vor dem Islam gemeint, sondern symbolisierte die Verschmelzung aller Kulturen und Traditionen: Der Vorname steht für archaische Exotik, der Nachname für einen der damals modernsten Industriekonzerne.

    Der WAR beschreibt den angeblichen Segen des hygienisch-genetischen Wohlfahrtsstaates: «Die Welt ist jetzt im Gleichgewicht. Die Menschen sind glücklich, sie bekommen, was sie begehren, und begehren nichts, was sie nicht bekommen können. Es geht ihnen gut, sie sind geborgen, immer gesund, haben keine Angst vor dem Tod. Leidenschaft und Alter sind diesen Glücklichen unbekannt, sie sind nicht mehr von Müttern und Vätern geplagt, haben weder Frau noch Kind noch Geliebte, für die sie heftige Gefühle hegen könnten, und ihre ganze Normung ist so, dass sie sich kaum anders benehmen können, als sie sollen.»

    «Die Menschen sind geborgen, immer gesund, haben keine Angst vor dem Tod.» Weltaufsichtsrat

    Der Antagonist dieses Mannesmann im Roman ist ein Wilder, der in einem Reservat aufgewachsen ist und das Fürsorgeregime der neuen Zivilisation ablehnt: «Ich brauche keine Bequemlichkeit. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde!» Diese Worte stehen für die Weltanschauung der alten Welt, die zum Teil noch in unserer heutigen zu finden ist. Dass sie abgeschafft wurde, war übrigens, wie im Roman eher beiläufig erwähnt wird, das Ergebnis von Terror mit biologischen Waffen, des sogenannten Neunjährigen Krieges. «Der ließ sie einen anderen Ton anschlagen», resümiert Mannesmann. «Was nützen Wahrheit oder Schönheit oder Wissen, wenn es ringsumher Milzbrandbomben hagelt?

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    Damals, nach dem Neunjährigen Krieg, wurde die Wissenschaft zum ersten Mal unter Kontrolle gestellt. Die Menschen waren zu jener Zeit sogar bereit, ihre Triebe kontrollieren zu lassen. Alles für ein ruhiges Leben! Seit damals haben wir die Kontrolle auf immer weitere Gebiete ausgedehnt. Natürlich nicht gerade zum Vorteil der Wahrheit, wohl aber zum Vorteil des Glücks. Umsonst kriegt man nichts. Glück muss bezahlt werden.» Wer sich dem neuen Regime widersetzte, wurde vernichtet. «Das Getöse von vierzehntausend in offener Linie vorrückenden Kampfflugzeugen. Das Bersten der Milzbrandbomben auf dem Kurärztedamm und im Achten Arrondissement (…). Achthundert Freiluftbündler wurden auf den Abhängen des Harzes mit Maschinengewehren niedergemäht. (…) Dann kam es zu dem berühmten Gemetzel im Britischen Museum. Zweitausend Kulturenthusiasten mit Dichloräthylsulfid vergast.».

    Othellos Vermächtnis

    Intellektueller Höhepunkt des Romans ist der Dialog zwischen dem WAR und dem Wilden. Der WAR führt aus: «Mit größter Sorgfalt verhindern wir, dass ein Mensch den anderen zu sehr liebt. Und so etwas wie Gewissenskonflikte gibt es auch nicht: Man wird so genormt, dass man nichts anderes tun kann, als was man tun soll. (…)  Ende des Auszugs

     Lesen Sie diesen Artikel ungekürzt im COMPACT-Magazin 05/2020. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form hier bestellen.

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