500 Jahre Bauernkrieg in der Kultur: Die Bauern setzten sich gegen die Obrigkeit und ihre Blutsauger zur Wehr. Schriftsteller, Liedermacher und Regisseure machen sie unsterblich. Thomas Müntzer & Co. richteten sich auch gegen den Klerus. In unserer Juni-Ausgabe mit dem Titelthema «Der letzte Papst» beleuchten wir die Schattenseiten der Kirche. Hier mehr erfahren.
Bauernaufstände gegen herrschende Blutsauger lassen sich bis in die Antike nachweisen. Und nicht bloß in Europa. Man erinnere an die Revolte der Gelben Turbane im China des 2. Jahrhunderts nach Christi: Von Großgrundbesitzern stranguliert, wagten entwurzelte Bauern unter Anführung eines taoistischen Sektenführers den Widerstand. In Europa schwangen Landwirte ab dem 9. Jahrhundert (Stellinga-Aufstand in Altsachsen, 841–843) regelmäßig die Mistgabel.
Manche Rebellen stürmten auch die literarische Hitparade. Darunter war einer der Militärberater im Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts, Götz von Berlichingen (1480–1562), dem Goethe ein Drama widmete und den «schwäbischen Gruß» rausschreien ließ:
«Er aber, sag‘s ihm, er kann mich im Arsche lecken!»
Auch der Reichsritter Florian Geyer (1490–1525) kämpfte an der Seite des Landvolks. Seine Geschichte hat Gerhart Hauptmann in dem gleichnamigen Drama (1896) erzählt. Ihm galt auch ein bekanntes Fahrtenlied der bündischen Jugend (um 1920):
«Wir sind des Geyers schwarzer Haufen, heia hoho, und wollen mit Tyrannen raufen, heia hoho! Spieß voran, drauf und dran, setzt aufs Klosterdach den roten Hahn!»
Den Feudalherren wird mit Verweis auf die Bibel kräftig eingeschenkt: «Als Adam grub und Eva spann, kyrieleys, wo war denn da der Edelmann?» Schlagersänger Heino übernahm das Lied während der 1970er in sein Repertoire.

Andreas Hofer und Thomas Müntzer
Für Andreas Hofer, der die Tiroler gegen Napoleons Besatzungstruppen führte, listet Wikipedia allein ein Dutzend Spielfilme und unzählige Romane auf. Als wirkmächtigster Anführer einer Bauernrevolte gilt jedoch Thomas Müntzer: Der 1489 in Stolberg geborene Prediger startete als überzeugter Lutheraner. Beide lehnten die religiöse Autorität des Papstes strikt ab.
Aber laut dem Stolberger Prediger hasst der biblische Gott auch die Ausbeutung. Reiche sind ihm ein Gräuel. Er führte die Hebräer aus der ägyptischen Sklaverei, und selbst als Christus stand er aufseiten der Armen und rief zum Kampf auf: «Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.» (Matthäus, 10,34). Kurzum, dieser Gott, so wie Müntzer ihn verstand, inspiriert zum Aufstand.
Luther distanzierte sich von seinem wilden Anhänger. Schließlich hatte er zahlreiche Adelige als Protektoren und Sponsoren im Rücken. Die durfte man nicht verschrecken…
Schon bald befeuerte Müntzer die unter der Steuerlast ächzenden Bauern zur Revolte. Er predigte die Errichtung eines Gottesreiches auf Erden durch Freiheit und Umverteilung der Reichtümer.
Leider erwiesen sich die Herrschenden als stärker: Nach Niederschlagung des Bauernaufstandes in der Entscheidungsschlacht von Frankenhausen (1525) wurde Müntzer gefangen, eingekerkert, gefoltert und exekutiert. Körper und Kopf des 35-Jährigen spießte man separat auf – als Schocktherapie für potenzielle Nachfolger.
Erst 400 Jahre später grub Ernst Bloch den Müntzer wieder aus: 1921, nach einem verlorenen Krieg und angesichts einer ruinierten Wirtschaft und Demoralisierung infolge niedergeschlagener Revolutionen (Spartakus in Berlin, Räterepublik in München), erklärte der Philosoph ihn in seiner Monografie zum marxistischen Helden der Stunde, dessen Vision weiterhin der Umsetzung harre: Jetzt bloß nicht aufgeben: «Die Toten kommen wieder, ihr Tun will mit uns nochmals werden.»
Blochs Inthronisierung hatte zur Folge, dass die DDR den Revolutionsprediger ebenfalls hochhielt, ihm die DEFA gleich zwei Biopics widmete: Thomas Müntzer – Ein Film deutscher Geschichte (1956) und das TV-Drama Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes (1989). Beide Filme betonen den Vorstoß des Thüringers, die Messe in deutscher Sprache zu halten und so den Ungebildeten verständlich zu machen.
Sie zeigen, wie Müntzers Predigten alte Bibeltexte mit neuem Leben erfüllten, die Bauern in ihrem Elend ansprachen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in Feuer und Furor verwandelten. Ironischerweise startete Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes, als Beitrag zum Müntzer-Jahr erstellt, am 10. Dezember 1989 im DDR-Fernsehen – genau einen Monat nach dem Mauerfall. So erschien er weniger als sozialistische Propaganda, denn als Bestätigung der revoltierenden Mitteldeutschen.

Was gerne vergessen wird: Die stärksten Bilder von Bauernaufständen entstammen dem klassischen Horrorfilm. Kollektiv setzen die Landwirte der Terrorherrschaft von Blutsaugern und verrückten Wissenschaftlern ein Ende – und deren Schlösser in Brand. So in den beiden – in Deutschland spielenden – Hollywoodstreifen Frankenstein (1931) und Frankensteins Haus (1944). Kein Vampir-Experte oder professioneller Monsterkiller beendet die Tyrannei, sondern das Volk greift zur Selbsthilfe.
Hans W. Geißendörfer stellte diesen demokratischen Befreiungskampf sogar ins Zentrum seiner Bram-Stoker-Adaption Jonathan (1969): Dracula (Paul Albert Krumm) ist eindeutig ein politischer Diktator, hält Reden im militärischen Duktus. Doch im Finale zerfleischen die aufständischen Bauern ihn und seine Anhänger mit solcher Grausamkeit, dass die Frage aufkommt, wer blutrünstiger ist: eine Problematisierung revolutionärer Gewalt vor dem Hintergrund der 68er-Revolte, die ihrerseits im RAF-Terror mündete.
Depression bei Houellebecq
Der globalisierte Handel des 21. Jahrhunderts nahm den Bauernaufständen gewissermaßen das Angriffsziel: Wessen Schloss, wessen Palast, wessen Regierungssitz, wessen Protzbude noch stürmen? Die Ausbeutung resultiert demnach aus dezentraler Netzmacht, kommt von der «unsichtbaren Hand» anonymer Marktkräfte, die nur verzweifelte Gesten und Selbstzerstörung übrig lässt. Das ist das Leitthema in Michel Houellebecqs Roman Serotonin, erschienen 2019 pünktlich zum Aufstand der Gelbwesten.
Eine der Hauptfiguren ist der französische Landwirt Aymeric: Seine Beachtung des Tierwohls verschafft ihm enorme Zusatzkosten, seine Produkte sind nicht mehr konkurrenzfähig. Als Lastwagen mit billiger Importmilch in Frankreich eintreffen, eskaliert die Situation. Landwirte blockieren die Straßen und stoppen den Transport. Ein Syndikat bildet sich, man diskutiert über einen Aufstand. Der Agraringenieur Labrouste rät jedoch zur Kapitulation: Er wisse von kommenden Massenentlassungen, außerdem stehe der Welthandel vor der Tür.
Wie da noch revoltieren? Aus Erfahrung wisse er, dass Politik und Medien immer aufseiten des Freihandels stünden: «Ich war jahrelang mit Leuten konfrontiert gewesen, die bereit waren, für die Handelsfreiheit zu sterben.» Aber die Landwirte schlagen Labroustes Rat in den Wind. Es kommt zu Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Als zwei riesige Mähdrescher und ein Maishäcksler auffahren, beschießt die Polizei sie mit einem Raketenwerfer. Die Tanks explodieren, eine Flammensäule steigt gen Himmel.
In BRD und DDR
Typisch: Bauern spielen im Kulturbetrieb des wiedervereinigten Deutschlands keine Rolle. In der DDR war das Verhältnis des Staates zur Landbevölkerung nach den Kollektivierungen der 1950er Jahre zwar angespannt, der anerkannte Schriftsteller Erwin Strittmatter (1912–1994) widmete sich ihr aber in vielen auflagenstarken Romanen, die ohne SED-Propaganda auskamen.
In der BRD dominierte seichte Unterhaltung mit Oberförster-Romantik und Dirndl-Erotik. Eine wichtige Ausnahme: Die Landwirte und Winzer am Kaiserstuhl trugen ab 1975 mit einer Besetzung am Bauplatz des Atomkraftwerks Wyhl erheblich zu dessen Verhinderung bei. Die (damals) kommunistische Regisseurin Nina Gladitz hat ihnen mit Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv ein beeindruckendes Denkmal gesetzt, Riefenstahl-inspiriert in Schwarz-Weiß gedreht.
Da gerät der Bio-Landwirt Aymeric in Ekstase: «Die Aufgedunsenheit seines Gesichts schien auf merkwürdige Weise ausgelöscht zu sein, und vor allem wirkte er ruhig, nahezu amüsiert.» Ja, er war «glücklich, das heißt beinahe glücklich, er schien zumindest am richtigen Ort zu sein, sein Blick und seine entspannte Pose strahlten vor allem eine unglaubliche Unverfrorenheit aus, es war eines jener ewigen Bilder der Revolte, und das war der Grund dafür, dass so viele Nachrichtenblätter auf der ganzen Welt dieses Bild aufgriffen».
Resignation weicht einem Vernichtungsrausch. Houellebecq beschreibt Aymerics Griff zum Gewehr in Zeitlupe, an die «befreiende» Slow-Motion-Gewalt in Sam Peckinpahs Filmen erinnernd. Aber zur Überraschung des Lesers schießt der Öko-Bauer nicht auf die Sicherheitskräfte, sondern sich selbst in den Schädel… Der Aufstand bringt aus der Sicht des Zynikers Houellebecq bloß die Freiheit zum Selbstmord.
Die Enkel fechten’s besser aus
Aber nicht alle Aufständischen ließen sich, wie Aymeric bei Houellebecq, mit Verweis auf die angeblich anonymen Marktkräfte in depressive oder suizidale Stimmung bringen. In der Regel folgten sie der Devise von Bertolt Brecht, dass das Verbrechen «Name, Anschrift und Telefonnummer» habe.
Zwei aktuelle Beispiele: 2019 stürzten die Campesinos in Bolivien wegen der durch Lithium-Abbau für E-Autos verursachten Bodenzerstörung die Regierung. Die monatelangen Trecker-Proteste in den Niederlanden ab 2022 trugen zur Niederlage der Mehrheitspartei VVD bei den Wahlen Ende 2023 bei, die Bauernpartei BBB will jetzt zusammen mit der rechten PVV von Geert Wilders die Macht übernehmen.
Heute erheben sich die deutschen Landwirte gegen die Machthaber in Berlin. Das neue Protestsymbol ist nicht mehr die Heugabel, sondern der Traktor. Obwohl keine Waffe, sorgt er dennoch für Panik: Als 30 Trecker vor dem Haus der niedersächsischen Agrarministerin Miriam Staudte (Die Grünen) auffuhren oder tausend Bauern den ehemaligen Vizekanzler Robert Habeck nicht von der Fähre ließen – da gab es keinerlei Gewalt, floss kein Blut, wurde keinerlei Verletzung zugefügt. Gewaltlos, aber mächtig. Genug Stoff für mutige Filmemacher!
Die Schattenseiten der Kirche: In unserer druckfrischen Juni-Ausgabe mit dem Titelthema «Der letzte Papst − Die Kirche zwischen Himmel und Hölle» werfen wir einen Blick hinter die hohen Mauern des Vatikans und decken höchst unchristliche Seilschaften auf. Hier bestellen.