Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu, seinen früheren Verteidigungsminister und einen Hamas-Führer erlassen. Das bringt den israelischen Regierungschef weiter in Bedrängnis. In unserer aktuellen Dezember-Ausgabe werfen wir einen Blick auf Gaza, Georgien und weitere internationale Krisenherde. Hier mehr erfahren.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat am 21. November einen beispiellosen Schritt gewagt, indem er Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, seinen ehemaligen Verteidigungsminister Joav Gallant und Hamas-Anführer Mohammed Deif erlassen hat.
Der Beschluss, der auf einem Antrag von Chefankläger Karim Khan basiert, markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der internationalen Anerkennung und Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Naohost-Konflikt.
Grundlage der Haftbefehle
Die Haftbefehle wurden wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgestellt, die nach Ansicht des IStGH im Gazastreifen nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begangen wurden.
Die Anklagepunkte gegen Netanjahu und Gallant beinhalten unter anderem:
◾️Aushungern als Kriegsmethode: Der Strafgerichtshof argumentiert, dass der israelische Premier und sein ehemaliger Verteidigungsminister angewiesen hätten, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen bewusst von lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung, Wasser, Medizin, Treibstoff und Strom fernzuhalten.
◾️Angriffe auf Zivilisten: Darüber hinaus werden beide auch beschuldigt, für vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung verantwortlich zu sein.
◾️Mord und Verfolgung: Weitere Vorwürfe richten sich auf das Verursachen großen Leids und die Verfolgung von Gruppen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit.
Hamas-Anführer Deif steht unter ähnlichen Anklagepunkten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Überfall seiner Organisation auf das Supernova-Musikfestival in der Negev-Wüste am 7. Oktober, der mehr als 1.200 Menschenleben forderte. Zudem wurden über 250 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Reaktionen auf das Urteil
Während das Büro von Israels Ministerpräsidenten Netanjahu den Haftbefehl als „antisemitisch“ bezeichnete, erklärte Außenminister Gideon Sa’ar, der Internationale Strafgerichtshof habe seine Legitimität verloren. Staatspräsident Jitzchak Herzog sprach sogar von einem dunklen Tag für die Menschheit.
Die Hamas wiederum begrüßte die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant als Schritt zur Gerechtigkeit, während die Palästinensische Autonomiebehörde alle Mitgliedsstaaten des Gerichtshofs aufforderte, die Entscheidung umzusetzen und die Beschuldigten vor Gericht zu bringen.

Noch-US-Präsident Joe Biden stellte sich gegen Ankläger Khan und ließ verlautbaren, dass Israels Kriegführung im Gazastreifen vom Recht gedeckt sei, sich gegen die Hamas zu verteidigen. Andere Länder wie Frankreich oder die Niederlande stärkten dem Strafgerichtshof hingegen den Rücken und signalisierten, sie würden die Haftbefehle umsetzen, haben andere, insbesondere die USA, diesen Schritt kritisiert. EU-Chefdiplomat Josep Borrell erklärte, dass die Haftbefehle für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindend seien.
Scharfe Kritik am Schritt des IStGH übte hingegen Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der als engster Verbündeter Netanjahus in Europa gilt. Im ungarischen Rundfunk sagte er gestern: „Im Laufe des heutigen Tages werde ich den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu zu einem Besuch nach Ungarn einladen“, wobei er ihm „garantieren“ könne, dass der Haftbefehl „in Ungarn keine Auswirkung haben wird und dass wir uns nicht daran halten werden“. Die Maßnahme des IStGH sei „falsch“, der israelische Premier könne in Budapest „in angemessener Sicherheit“ Verhandlungen führen.
Mögliche Folgen für Netanjahu
Sollte Netanjahu der Einladung nachkommen und Orban sein Versprechen halten, würde sich der ungarische Regierungschef theoretisch strafbar machen, da Budapest das Römische Statut – den Gründungsvertrag des Gerichtshofs – verletzen würde. Ungarn ist Mitgliedsstaat des IStGH. Allerdings ist es in der Vergangenheit schon in anderen Fällen vorgekommen, dass Strafbefehle ohne Konsequenzen ignoriert wurden.
Für Netanjahu bedeutet der Beschluss des Strafgerichtshofs, dass er seine Reisen stark einschränken müsste, da er in den 124 Vertragsstaaten des IStGH festgenommen werden könnte. Der Haftbefehl könnte zudem Druck auf Netanjahu ausüben, sowohl in Israel als auch international, was seine Position als Regierungschef weiter untergraben könnte. Oppositionelle könnten den Vorfall nutzen, um ihn zu stürzen.
Darüber hinaus könnten Israels Beziehungen zu Ländern, die den IStGH unterstützen, stark belastet werden, besonders wenn diese Staaten tatsächlich versuchen würden, Netanjahu festzunehmen. Unabhängig von der praktischen Umsetzung der Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant haben sie auf jeden Fall eine starke symbolische Wirkung, die dem internationalen Ansehen Israels weiter schaden.
Israel hat das Römische Statut nicht ratifiziert, was nach Ansicht von Orban und anderen die Zuständigkeit des Gerichts in Frage stellt. Jedoch können die Palästinensergebiete, die das Statut anerkannt haben, als Grundlage für die Gerichtsbarkeit dienen.
Der IStGH hat keine eigene Exekutive, um Haftbefehle durchzusetzen. Er daher ist auf die Kooperation der Mitgliedsstaaten angewiesen, was die tatsächliche Inhaftierung von Netanjahu oder Gallant unwahrscheinlich macht, sofern sie nicht in einem Vertragsstaat reisen. Ob die Niederlande, Frankreich oder andere Staaten, die eine Vollstreckung im Falle einer Einreise der beiden Israelis zugesagt haben, ihren Worten auch Taten folgen lassen würden, ist ebenfalls fraglich.
Finanzielle Interessen
In unserer aktuellen Dezember-Ausgabe werfen wir erneut ein Schlaglicht auf den Krieg in Gaza und zeigen, dass dabei auch finanzielle Interessen eine Rolle spielen. So gibt es „ein etwa das 25 bis 30 Milliarden Kubikmeter umfassendes Gasvorkommen, das 30 Kilometer vor der Küste in über 600 Metern Tiefe unter dem Meeresgrund schlummert“. Weiter heißt es in dem Beitrag in COMPACT 12/2024:
„Bereits im Jahr 2000 wurde das gigantische Gasfeld entdeckt, doch trotz ersten Testbohrungen konnte aus Gaza Marine – so die Bezeichnung des Explorationsgebietes – bisher nichts gefördert werden. Erschließungsversuche scheiterten an der fehlenden Einigung zwischen Israel und den Palästinensern, insbesondere mit der seit 2007 in Gaza alleine regierenden Hamas.“
Außerdem regte Jared Kushner, Schwiegersohn des US-Präsidenten Donald Trump im März 2024 im britischen Guardian an, wertvolle Grundstücke an der Küste von gewinnbringend zu vermarkten. „Nur: Die alten Bewohner dieser Grundstücke stehen dabei den profitablen Vermarktungsplänen noch im Weg, weshalb Kushner empfiehlt, im Rahmen der ‚allgemeinen Säuberung von Gaza‘ die entsprechenden Gebiete freizuräumen. (…) Wenn er für Israel verantwortlich wäre, würde er die Zivilisten etwa aus Rafah herausholen und ‚mit Diplomatie‘ nach Ägypten bringen“, heißt es dazu in unserer Dezember-Ausgabe.
Ob aus ethnischen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen: Die Debatte, wie die Zeit nach dem Krieg in Gaza aussehen soll, hat in Israel längst an Fahrt aufgenommen.
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