Der NS-Führer sei „ein Kommunist“, weil er alle Unternehmen verstaatlicht hätte, so Alice Weidel im gestrigen Gespräch mit Elon Musk. „Und wir sind genau das Gegenteil.“ Ihr Talk-Gastgeber stimmte ihr zu, doch nun hat mit dem Historiker Rainer Zitelmann ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet Einspruch erhoben, gab beiden jedoch in einem Punkt Recht. Zitelmanns vom Mainstream skandalisierte Biografie „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ gibt es inzwischen in einer erweiterten Neuauflage. Hier mehr erfahren.

    An dem gestrigen Talk zwischen Alice Weidel und Elon Musk auf X (das vollständige Gespräch mit deutscher Simultanübersetzung finden Sie hier) wird vom Mainstream vor allem eine Passage bemängelt, die man wahlweise als „wirr“ oder „Geschichtsklitterung“ bezeichnet.

    Weidel versuchte, den permanenten Nazi-Vorwürfen gegen ihre Partei zu begegnen, indem sie die ideologischen Unterschiede zwischen NSDAP und AfD aufzeigen wollte. „Damals, während des Dritten Reiches, gab es die Nationalsozialisten, und wie das Wort schon sagt, waren sie Sozialisten.“

    Musk sekundierte: „Ja, sie verstaatlichten Industrien wie verrückt.“ Daraufhin erklärte die AfD-Kanzlerkandidatin: „Ja, absolut. Er war ein Kommunist und betrachtete sich selbst als Sozialist. Was sie also taten: Sie verstaatlichten die privaten Unternehmen. Und dann verlangten sie Steuern, hohe Steuern. Und dann wurde die ganze Industrie verstaatlicht.“

    Hitler, so Weidel weiter, sei nicht rechts oder konservativ gewesen. „Er war ein Kommunist. Ein Sozialist. Und wir sind genau das Gegenteil.“

    Keine Verstaatlichung der Unternehmen

    Gegen diese Deutung erhob ein absoluter Experte auf diesem Gebiet nach der X-Debatte Einspruch. Der Historiker Rainer Zitelmann hat mit „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ eine der profundesten und gleichsam (unter Mainstream-Geschichtsforschern) umstrittensten Biografien über den NS-Führer vorgelegt und dabei einen Schwerpunkt auf die antikapitalistische Rhetorik Hitlers gelegt.

    Zitelmann kommentierte den Talk-Post auf dem X-Profil von Alice Weidel folgendermaßen:

    „Hat Hitler die privaten Unternehmen verstaatlicht? Nein, die meisten Unternehmen blieben formal in den Händen privater Eigentümer. Die Behauptung von Musk und Weidel, Hitler habe die Unternehmen verstaatlicht, stimmt nicht.

    Richtig ist jedoch: In wirtschaftlichen Fragen waren Hitlers Ansichten von einem ausgeprägten Antikapitalismus geprägt. Hitler war zwar gegen eine ‚Vollsozialisierung‘, weil er als Sozialdarwinist das Ausleseprinzip auch im Wettbewerb der Wirtschaft schätzte. Doch wandte er sich scharf gegen den Wirtschaftsliberalismus und wurde im Laufe der Jahre zu einem vehementen Anhänger planwirtschaftlicher Vorstellungen.“

    Als Beispiel, wie sich Hitler das Verhältnis von Staat und Wirtschaft vorgestellt habe, zitierte Zitelmann aus dessen Denkschrift zum Vierjahresplan von 1936: „Das Wirtschaftsministerium hat nur die nationalwirtschaftlichen Aufgaben zu stellen und die Privatwirtschaft hat sie zu erfüllen. Wenn aber die Privatwirtschaft glaubt, dazu nicht fähig zu sein, dann wird der nationalsozialistische Staat aus sich heraus diese Aufgabe zu lösen wissen.“

    Bewunderung für das Sowjetsystem

    Außerdem dokumentierte der Historiker und Verfasser von „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ eine Stelle aus Hitlers Tischgesprächen von 1941:

    „Freilich lässt sich ein sinnvoller Einsatz der Kräfte eines Volkes nur mit einer Planwirtschaft von oben erreichen. (…) Was die Planmäßigkeit der Wirtschaft angeht, stehen wir noch ganz in den Anfängen.“

    Zitelmann weiter:

    „Zunehmend wurde Hitler zu einem Bewunderer des sowjetischen Wirtschaftssystems, das nach seiner Meinung dem kapitalistischen System weit überlegen war. Aus den Aufzeichnungen von Wilhelm Scheidt, dem Adjuanten von Hitlers Beauftragtem für die Militärgeschichtsschreibung Scherff, wissen wir, dass Hitler immer stärker ‚die innere Verwandtschaft seines Systems mit dem so heiß bekämpften Bolschewismus‘ erkannt und ausgesprochen habe. Auch vor Stalin müsse man unbedingten Respekt haben, erklärte Hitler im inneren Kreis, ‚seine Wirtschaftsplanung‘ sei so umfassend, ‚dass sie wohl nur von unseren Vierjahresplänen übertroffen‘ werde.“

    Hitler sei, wie er in einem Gespräch mit Mussolini 1944 bekannte, schließlich zu der Überzeugung gelangt: „Auch der Kapitalismus hätte seine Rolle ausgespielt, die Völker würden ihn nicht mehr ertragen. Als Sieger würden die Ideen des Faschismus und des Nationalsozialismus übrig bleiben – vielleicht des Bolschewismus im Osten.“

    Star-Ökonom der Libertären

    Zitelmann wies schließlich auf den Lieblingsökonomen der Libertären hin (auf die sich sowohl Weidel als auch Musk in ihrem Talk mehrfach berufen hatten):

    „Der Ökonom Ludwig von Mises hat die Unterschiede zwischen Kapitalismus, Kommunismus und Nationalsozialismus sehr klar herausgearbeitet. Während der Kapitalismus auf Privateigentum beruht, wurde in kommunistischen Ländern das Privateigentum beseitigt. Im Nationalsozialismus blieb es formal bestehen, wurde jedoch inhaltlich immer mehr ausgehöhlt, wie Mises schrieb.“

    Konkret heißt es dazu bei von Mises:

    „Das deutsche Modell des Sozialismus (Zwangswirtschaft) zeichnet sich dadurch aus, dass es, wenn auch nur nominell, einige Einrichtungen des Kapitalismus beibehält. Die Arbeit ist natürlich keine ‚marktgängige Ware‘ mehr; der Arbeitsmarkt ist feierlich abgeschafft worden; die Regierung legt die Lohnsätze fest und weist jedem Arbeiter den Ort zu, an dem er arbeiten muss.“

    Und weiter: „Das Privateigentum ist nominell unangetastet geblieben. Tatsächlich aber sind die ehemaligen Unternehmer auf den Status von Betriebsführern reduziert worden. Die Regierung schreibt ihnen vor, was und wie sie zu produzieren haben, zu welchen Preisen und von wem sie einkaufen und zu welchen Preisen und an wen sie verkaufen sollen. Die Unternehmen können gegen unbequeme Anordnungen protestieren, aber die endgültige Entscheidung liegt bei den Behörden.“

    Der Revoluzzer aus Braunau

    Zitelmann – früher selbst Maoist – weiß, wovon er schreibt. Als Historiker beschäftigte er sich schon früh mit der bekannten Hitler-Biografie Joachim Fests, die ihn davon überzeugte, dass die ihm vertrauten marxistischen Erklärungsansätze zur Entstehung des Dritten Reiches nicht überzeugend waren.

    Er wollte der Sache selbst auf den Grund gehen und beschloss, auf diesem Feld zu promovieren. 1987 erschien das Ergebnis: „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“. Diese Doktorarbeit brachte Zitelmann nicht nur die Bestnote „Summa cum laude“ ein, sondern erweiterte auch die NS-Forschung um wichtige Aspekte.

    In seinem Werk bringt er zahlreiche Argumente dafür vor, dass Hitler in vielerlei Hinsicht nicht dem Typus eines Reaktionärs entsprach, sondern das Bürgertum rundweg ablehnte und Althergebrachtes überwinden wollte. Hitler dürfe demnach „keineswegs im politisch rechten Spektrum eingeordnet werden“, war Zitelmanns Schlussfolgerung. Hier stimmt er mit Musk und Weidel überein.

    Ein skandalisiertes Buch

    So positiv die Rezeption unter manchen Historikern auf „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ ausfiel, so negativ war das Echo in Teilen der Presse, die völlig eine Verharmlosung des Nationalsozialismus witterten.

    Der Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Uwe Backes kam indes zu einem ganz anderen Urteil. Im Tagesspiegel schrieb er:

    „Das wichtigste Ergebnis der Arbeitet lautet: Hitler verstand sich selbst ohne Wenn und Aber als Revolutionär. Dahrendorfs und Schoenbaums These, wonach der Nationalsozialismus im sozialen Bereich revolutionierend und modernisierend gewirkt habe, ohne dies eigentlich beabsichtigt zu haben, muss revidiert werden. Vielmehr gelingt Zitelmann anhand zahlreicher Hitler-Äußerungen der Nachweis, dass ‚der Führer’ auf politischer, sozialer wie auch ökonomischer Ebene eine grundlegende Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse anstrebte.”

    Zitelmanns essentiell wichtige Schrift war jahrelang vergriffen. Doch nun ist eine erweiterte Neuauflage dieses Standardwerks erschienen. Die aktuelle Ausgabe von „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ umfasst drei weiteren Aufsätzen Zitelmanns zum Thema. In einem ausführlichen Beitrag über „Hitler in der jüngeren Geschichtsschreibung (1996–2016)“ verdeutlicht er zudem die Aktualität der in seinem Klassiker aufgeworfenen Fragen.

    Intellektueller mit Muckis. Der Historiker, Unternehmer und begeisterte Kraftsportler Rainer Zitelmann. Foto: IMAGO / GlobalImagens

    Gegenüber dem Finanzportal Wallstreet Online gab der Autor, der heute als erfolgreicher Unternehmer tätig ist, dazu zu Protokoll: „Als Historiker war die Hitlerforschung mein Spezialgebiet. Ich hatte mich jedoch 25 Jahre nicht mehr damit befasst. Jetzt wollte ich sehen, was die Forschung Neues erbracht hat und ob meine Forschungsergebnisse über Hitler noch Bestand haben. Diese Frage kann ich uneingeschränkt positiv beantworten. ‚Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs‘ ist ja keine herkömmliche Biografie, sondern sozusagen die innere Biografie über Hitler, die seine Weltanschauung rekonstruiert – vor allem auf den Gebieten der Sozial- und Wirtschaftspolitik.“

    Rainer Zitelmann kommt in „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ zu Erkenntnissen, die den heutigen Zeitgeist-Historikern nicht schmecken. Deswegen wird seine sensationelle Hitler-Biografie heute totgeschwiegen. Wir machen da nicht mit – und empfehlen Ihnen daher erst recht die erweiterte Neuauflage dieses einzigartiges Werkes (724 Seiten, gebunden). Hier bestellen

    Kommentare sind deaktiviert.