Im August 2010 landete Thilo Sarrazin mit „Deutschland schafft sich ab“ einen Mega-Bestseller und trat eine hitzige Debatte los, in der er unter anderem als Rassist, „Brandstifter“, „Sudel-Thilo“ und sogar als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ verunglimpft wurde. Inzwischen ist alles noch viel schlimmer geworden, wie er in der Neuausgabe 2025 mit aktuellen Daten, Fakten und Kommentierungen aufzeigt. Hier mehr erfahren.
„Diffamierend“ und „nicht hilfreich“ – so urteilte Angela Merkel über Thilo Sarrazins Werk „Deutschland schafft sich ab“, das nach seiner Veröffentlichung im August 2010 für eine der kontroversesten Debatte der Nachkriegszeit sorgte und schon nach wenigen Monaten zum bis dato erfolgreichsten Sachbuch in der Geschichte der Bundesrepublik aufstieg.
Dabei hatte die damalige Kanzlerin nicht eine Seite davon gelesen, wie sie später zugab. Ihr hätten Vorabdrucke in der Bild gereicht, um „These, Kern und Intention seiner Argumentation“ zu erfassen, so Merkel Mitte September 2010 im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Die Haltung der obersten Rezensentin Deutschlands war symptomatisch für einen erheblichen Teil der politmedialen Blase. Viele kannten den Bestseller nur vom Hörensagen oder bildeten sich ihre Meinung auf der Basis der zigfachen Verrisse, die durch den Blätterwald schwirrten.
Was Sarrazin geschrieben hat
Sarrazin, damals noch SPD-Mitglied und im Vorstand der Bundesbank, hatte mit „Deutschland schafft sich ab“ in ein Wespennest gestochen. Seine Kernthesen: Die übermäßige staatliche Alimentierung wenig produktiver Lebensstile führe dazu, dass kaum noch Anreiz für sozialen Aufstieg bestehe. Kinderreichtum gebe es fast nur noch in bildungsfernen Milieus, während sich die Intelligenteren weitgehend im Gebärstreik befänden.
Da der IQ jedoch zu einem Großteil genetisch bedingt sei, werde es mittelfristig einen eklatanten Mangel an Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und anderen für die wirtschaftliche Entwicklung notwendigen Denkern und Praktikern geben. Verschärfend wirke die Zuwanderung von Muslimen ins Sozialsystem, da deren kulturelle Prägung ein Integrationshemmnis sei.
Die politische Klasse empört sich
Die Reaktionen auf das Buch fielen scharf aus – und zielten nicht selten unter die Gürtellinie. Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, damals Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sprach von „islamfeindlichen und menschenverachtenden Tiraden“, FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meinte, es sei unerträglich, „was Herr Sarrazin uns mit seinen wirren soziobiologischen Annahmen über Migranten und Intelligenz zum wiederholten Male zumutet“.

Auch Claudia Roth erhob den moralischen Zeigefinger: Sarrazins Äußerungen, so die damals schon nervtötende Grünen-Vorsitzende, „zeugen von einem rassistischen, menschenverachtenden Geist und sind eine Schande für die Bundesbank ebenso für die gesamte Republik“. Sigmar Gabriel, damals SPD-Chef, verstieg sich zu der Behauptung, der Autor von vertrete auf einmal „krude Thesen“, „die gegen sozialdemokratische Grundwerte und unser Menschenbild verstoßen“.
Die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill, die damals die Arbeitsgruppe Migration leitete, warf dem Autor von „Deutschland schafft sich ab“ eine „menschenverachtende Grundhaltung“ und die Diffamierung von Muslimen vor. Der Spandauer SPD-Kreisvorsitzende Rahed Saleh, der später zum Berliner SPD-Chef aufstieg, meinte gar, der Autor gehöre nicht in die SPD, sondern „in die NPD“.
„Haarsträubend dämlich“
Auch der Blätterwald rauschte wie selten zuvor. Arno Widmann, Feuilletonchef der Frankfurter Rundschau, behauptete, Sarrazin vertrete in „Deutschland schafft sich ab“ Weltbilder, „die im Nationalsozialismus zusammengeschmolzen wurden“, während Taz-Journalist Daniel Bax ätzte:
„Während gegenüber islamistischen Maulhelden gerne klare Kante gezeigt wird, hat die deutsche Öffentlichkeit gegenüber dem Salonrassismus eines Thilo Sarrazin lange Zeit einen bemerkenswerten Gleichmut an den Tag gelegt. Schließlich durfte (sic!) der Bundesbankvorstand seine kruden Thesen, die er schon voriges Jahr in einem Interview dargelegt hatte, noch zum Buch ausbauen, bevor man die Geduld mit ihm verlor.“
Noch schärfer schoss der türkischstämmige Schriftsteller Feridun Zaimoglu, dem die Welt solch literarische Meisterwerke wie „Kanak Sprak“ oder „Abschaum“ zu verdanken hat. Zaimoglu in einem Beitrag für den Tagesspiegel über Sarrazin:
„Leute wie er sind Brandstifter. Er hält einer verunsicherten Mittelschicht den Moslem als Vogelscheuche hin und suggeriert, dass der Moslem vielleicht auch für die Bankenkrise verantwortlich ist, dafür, dass die Sozialsysteme den Bach runtergehen. Was wir jetzt haben, ist europäische Normalität. Ein Land, das klar ein Einwanderungsland ist, in dessen Großstädten oft 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung nichtdeutscher Herkunft sind. Und Lumpen wie Sarrazin, bürgerliche Saubermänner, die für die falsche Übersetzung sorgen.“
Doch damit nicht genug der Beschimpfungen, denn für den Linksaußen-Publizisten Robert Misik, der in den 1980er Jahren der Gruppe Revolutionäre Marxisten, waren Sarrazins Standpunkte „derart haarsträubend dämlich, dass sich eine sachliche Auseinandersetzung eigentlich verbietet“.
Gnädigerweise ließ sich der Wiener für die Taz dennoch auf diesen, wie er schrieb, „rassistischen Diskurs“ mit „Sudel-Thilo“ ein. Das klingt dann folgendermaßen: „Sarrazins Thesen sind verwirrt, hochnäsig, verletzend, gespickt mit verächtlichen Formulierungen gegenüber den ‚Losern‘. Dabei ist er auf eine Weise eingebildet, die schallendes Gelächter provozieren müsste.“
Im Stil des Stürmers
Nur unwesentlich sachlicher kam Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges daher, für den der Fall Sarrazin „der größte mediale Kollateralschaden“ gewesen sei, an den er sich erinnern könne. Dies beginne bereits bei dem Umstand, dass es Vorabdrucke in Bild und Spiegel gegeben habe. Jörges weiter:
„Beide ignorierten dabei auch Sarrazins zentrale These von der Erbdummheit der überwiegend türkischen Migranten. Das ist unverzeihlich. Diese These vertreten nicht einmal die NPD oder der Rechtspopulist Geert Wilders. (…) Die Medien haben ein Ungeheuer freigesetzt, dessen Tötung sie nun der Politik überlassen. Und dafür wird die Politik auch noch geprügelt.“
In dem Reigen der publizistischen Sarrazin-Gegner durfte natürlich einer nicht fehlen, nämlich der inzwischen verstorbene FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, der in der Diskussion um „Deutschland schafft sich ab“ die zweifelhafte Rolle eines Großinquisitors einnahm. Unter anderem behauptete Schirrmacher, dass Sarrazin eine „vulgärdarwinistische Gesellschaftstheorie“ vertrete, „die mit einer Unbefangenheit dargelegt wird, als hätte es alle Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht gegeben.“

Wenn Sarrazin bei Migranten den hohen Anteil an Transferleistungsempfängern anspreche und dabei nach der „Nützlichkeit“ frage, verweise dies auf „einen zentralen Pfeiler der darwinschen Züchtungstheorie, denn Selektion, so Darwin, folgt den Gesetzen der Nützlichkeit“. Von „Nützlichkeit“ dürfe in der „menschlichen Zivilisation“ jedoch nicht die Rede sein.
Den absoluten Tiefpunkt markierte indes eine Kolumne von Deniz Yücel in der Taz, in der er ätzte, man könne „Thilo S.“ nur wünschen, „der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten“. Damit spielte er offensichtlich auf die einseitige Gesichtslähmung Sarrazins an, die allerdings Folge einer Tumoroperation ist.
In seinem Beitrag zitierte Yücel eine Passage aus dem Text seiner Kollegin Mely Kiyak, die den Autor in der Berliner Zeitung im Stil der NS-Hetzpostille Stürmer als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ verunglimpft hatte. Später wurde die Taz von dem Geschmähten verklagt und musste 20.000 Euro Entschädigung zahlen.
Sarrazin, der Sündenbock
Immerhin: Es gab sie, die publizistischen Stimmen, die dem Angegriffenen beisprangen. Dazu gehört etwa Henryk M. Broder, der in einem Beitrag für die Welt bei den Sarrazin-Kritikern eine Methodik zu erkennen meinte, die an totalitäre Regimes erinnere. Broder schrieb: „Der Gedanke, dass eine Demokratie vor allem von ‚falschen‘ Meinungen lebt, die eine Diskussion befördern, ist im Abgrund der kollektiven Empörung verschwunden.“

Während sich die Deutschen im „Sündenstolz“ ob ihrer Vergangenheit „gemütlich eingerichtet“ hätten, „reagieren sie wie Allergiker auf Katzenhaare, wenn es um Fehlleistungen in der Gegenwart geht“. Sarrazin, so Broder, sei dabei ein klassischer Sündenbock: „Er wird mit den Sünden der Gesellschaft beladen und in die Wüste hinausgejagt. Wir erleben ein archaisches Ritual im Hightechformat. Die Selbstgerechten aller Klassen und Fraktionen treten zur virtuellen Steinigung an.“
Multikulti entzaubert
Ein ähnlich starkes Plädoyer für Meinungsfreiheit gab auch der Chefredakteur der Schweizer Weltwoche, Roger Köppel, ab. Er beklagte in der FAZ:
„Gegen Sarrazin wurden nicht Argumente, sondern politische Sanktionen aufgeboten. Es ging nicht darum, den umstrittenen Bundesbanker zu widerlegen. Es ging darum, ihn im Rahmen eines Schnellverfahrens politisch und gesellschaftlich zu erledigen. Man zielte von Beginn weg auf die Person, um sich nicht mit ihren Positionen auseinandersetzen zu müssen.“
Eben jenen Positionen sogar zustimmend äußerte sich Cicero-Rezensent Frank A. Meyer, der schrieb:
„Allzu lange mussten sie {die Deutschen} zur Kenntnis nehmen, wie der Multikultikult aus den Migranten eine Art bessere Deutsche machte – unspießige Deutsche, weil ‚so erfrischend anders, interessante Deutsche, weil aus fremden Welten, sympathische Deutsche, weil arm, weil ungebildet, weil ganz unten angesiedelt in der gesellschaftlichen Hierarchie (…).“
Sarrazin habe jedoch den Blick für die Realität geschärft und die multikulturelle Traumwelt entzaubert. Denn: „Nicht beklagt (…) wird die Chancenlosigkeit deutschsprachiger Schülerinnen und Schüler, die als Minderheit, oft genug als verschwindende Minderheit in vielen Schulklassen um entscheidende frühe Entwicklungserfolge gebracht sind. Meist kämpfen die Eltern dieser Kinder vergebens um ein Plätzchen in sprachkulturell einigermaßen ausgewogenen Schulklassen. Wer es sich leisten kann, rettet sein Kind in die Privatschule. Den meisten aber fehlt dazu das Geld.“
Eine ungehörte Warnung
Politische Folgen zeitigte die Debatte nicht. Im Gegenteil: Fünf Jahre nach Veröffentlichung seines Buches öffnete Angela Merkel alle Schleusen und ließ – gegen Recht und Gesetz – Millionen weiterer Migranten über die offenen Grenzen nach Deutschland einströmen. „Die tatsächliche Zuwanderung ist langfristig viel höher, als von mir 2010 mit jährlich 50.000 unterstellt, seit 2014 liegt sie jährlich beim Acht- bis Zehnfachen meiner damaligen Annahmen“, schreibt er in der Neuausgabe „Deutschland schafft sich ab – Die Bilanz nach 15 Jahren“.
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