Unser Autor ist passionierter Weltenbummler. Bei seinem Trip nach Brasilien besuchte er nicht nur die großen Metropolen Rio und São Paulo, sondern auch eine Siedlung deutscher Auswanderer in Curitiba. In seinem Buch Richtig Auswandern und besser leben gibt Experte Norbert Bartl wertvolle Tipps für einen Neuanfang im Ausland. Hier mehr erfahren.
_ von Johannes Scharf
Das Hotel Curitiba São Paulo war eigentlich gar nicht so schlecht und es hieß wie mein nächstes Reiseziel, aber das Viertel, in dem es sich befand, war die reinste Gosse. Es roch überall nach menschlichen Exkrementen und den leeren Blicken der Junkies war kaum auszuweichen.
Oscar Wilde lässt Lord Darlington in der Komödie Lady Windermere’s Fan erklären, wir lägen alle in der Gosse, doch einige von uns betrachteten die Sterne. Ich für meinen Teil zog es jedenfalls vor, den Sternenhimmel Sternenhimmel sein zu lassen und im Doppelbett des Hotels den Deckenventilator anzuglotzen, statt unten im Rinnstein zu liegen.
Das Zimmer kostete umgerechnet zehn Euro pro Nacht, Frühstück inklusive (Butterbrot). Abends gab es einen Teller kleingeschnippelte Wurst mit Zwiebeln und Weißbrot. Die Alternative wäre ein Kilogramm Hähnchengeschnetzeltes mit Ketchup gewesen.
Mein Fenster befand sich an der Straßenseite und die ganze Nacht hindurch gab es Zänkereien zwischen Obdachlosen, die sich lautstark auf Portugiesisch beschimpften. Außerdem marschierte gefühlt alle paar Minuten jemand mit einem umgehängten Ghettoblaster die Straße hoch oder runter. Man hatte ständig brasilianischen Funk im Ohr. An ununterbrochenen Schlaf war also nicht zu denken.
Land der Araukarien
Am nächsten Morgen wollte ich in die Pinakothek, die sich in unmittelbarer Nähe meines Hotels und direkt gegenüber dem Bahnhof Luz befindet, vor dem stets ein Pulk von Prostituierten anzutreffen ist. Einen Ladyboy, der dort wohl sein hässliches Gesicht ausstellt und seinen Hintern vermietet, sah ich im Hotel Curitiba.
Leider war die Pinacoteca do Estado de São Paulo geschlossen, als ich dort anlangte, also machte ich stattdessen einen Spaziergang im Ghetto, wobei ich die Arretierung von drei Gangbangern in Boardshorts und Flip-Flops beobachten konnte.
Meinem alten Freund Newton, einem Deutschbrasilianer, den ich vor Jahren in einem Pub in Rom kennengelernt hatte, schrieb ich von Rio aus, ich würde mich auch nach Unterkünften in seiner Heimatstadt Ponta Grossa umsehen. Darauf antwortete er mir: „Hostels in Ponta Grossa? Meine Fresse, du übernachtest hier, Mensch! Essen und schlafen und was sonst kannst du bei mir!“
Zuerst wollte er mich jedoch seinen Freunden in Curitiba vorstellen und mir eine deutsche Siedlung in der Gegend zeigen. Die Busfahrt von São Paulo war eine Augenweide. Ein einziges grünes Panorama. Urwald wechselt sich mit Bananenplantagen ab, und neben den Bananenstauden stehen in Abständen von mehreren Kilometern kleine Häuschen, vor denen Käfer und alte VW-Busse, zuweilen auch amerikanische Pickups, vor sich hin rosten.
Curitiba liegt auf der ersten paranaensischen Hochebene, dem Primeiro Planalto Paranaense. Nähert man sich der auf 934 Metern Höhe gelegenen Großstadt, so wird man zwingend der seltsamen Nadelbäume gewahr, die durch ihre kandelaberförmigen Kronen imponieren und überall aus dem Urwald herausragen.
Es handelt sich um Araukarien. Dieser Baum ziert nicht nur das Stadtwappen, sondern auch der heutige Name der 1693 von den Portugiesen gegründeten Stadt leitet sich von den Pinien ab. Er stammt aus den Tupí-Guaraní-Sprachen. Auch wenn die Etymologie nicht abschließend geklärt ist, bedeutet Curitiba sinngemäß „Land mit den vielen Araukarien“ oder einfach „viel Holz“.
Curitiba ist die Hauptstadt des drittsüdlichsten brasilianischen Bundesstaates Paraná, der etwa die Größe Frankreichs besitzt und hauptsächlich aus einer gewaltigen Hochfläche besteht, die, teilweise aufgebrochen, allmählich zum namensgebenden Rio Paraná im Westen abfällt. Im Osten erstreckt sich die steil zum Meer abfallende Serra do Mar.
Zahlreiche Pioniere aus Italien, Deutschland, Polen, Russland und der Ukraine siedelten im 19. Jahrhundert auf der Hochfläche, nachdem sie sich zunächst in den küstennahen Bereichen niedergelassen hatten. Auch viele deutsche Siedler aus den südlicher gelegenen Bundesstaaten Rio Grande do Sul und Santa Catarina zog es in die Höhenregion mit dem kälteren Klima.
Abgeholt wurde ich in Curitiba von einem Freund Newtons, der mich auf der Fahrt über die Parteienlandschaft in Europa und die Nouvelle Droite ausfragte. Nachdem wir uns über das Wahlverhalten von Männern und Frauen in Nordamerika, Deutschland und Brasilien ausgetauscht hatten, räsonierte er mit einem Lächeln über die Frage, ob es tatsächlich klug gewesen sei, den Frauen das Wahlrecht zu geben. Er war ein angenehmer Gesprächspartner, auch wenn sein Englisch nicht das beste war und mein Französisch noch weitaus schlechter als sein Englisch. Bei ihm übernachteten wir auch.
Zu dritt fuhren wir tags darauf auf der seit 1873 bestehenden, großartig geführten Estrada da Graciosa zwischen Curitiba und dem Meer über Morretes nach Antonina, wo wir zu Mittag aßen. Die Architektur der Stadt ist von portugiesischem Kolonialstil geprägt, aber in dem Gasthaus, in das wir einkehrten, stand zu unserer Überraschung eine blonde Deutschbrasilianerin hinter der Theke: drall und tüchtig, das Bild einer betagten Bäuerin!
Sie freute sich sehr, zwei Deutsche in ihrer Wirtschaft begrüßen zu dürfen und erzählte, dass sie ursprünglich aus Rio Grande do Sul komme und ihre Eltern nur Deutsch mit ihr geredet hätten, obwohl sie schon der vierten Auswanderergeneration angehöre. Sie stellte sich neben unseren Tisch und stützte ihre Hände auf ihre Hüften: „Ich sage immer: Die Leute in Antonina wollen nicht arbeiten. Sie sind faul. Kam ich hierher vor 20 Jahren, hatte ich nichts. Nur einen Sohn. Jetzt habe ich zwei Restaurants, ein gutes Auto und ein scheenes Apartament.“
Böhse Onkelz und Bier
Abends stiegen Newton und ich in einen Bus und irgendwo im Nirgendwo zwischen Curitiba und Ponta Grossa wieder aus. Rubens, ein Freund Newtons, holte uns nach einer Weile mit seinem Pick-up vom Grünstreifen und fuhr uns zu einer von deutschen Mennoniten bewohnten Siedlung. Es war zwar ein Wochentag, aber in der kleinen Kneipe des Ortes wartete man schon auf den Gast aus Deutschland, und jede der zahlreichen Heineken-Dosen, die wir hinunterkippten, ging aufs Haus.
Mitglieder des brasilianischen Fanklubs der Böhsen Onkelz hatten sich in der Hütte versammelt und so tranken wir also „auf gute Freunde, verlorene Liebe, auf alte Götter und auf neue Ziele“ – und natürlich, mit ein paar Tagen Verspätung, auch „auf ein neues Jahr!“ Diese Mennoniten waren wahrscheinlich die lebenslustigsten Protestanten, die mir je begegnet sind.
Nachdem Newton und ich bei Rubens übernachtet hatten, machten wir morgens zunächst einen ausgedehnten Spaziergang in der Kolonie. Das Wetter schlug alle paar Minuten um. Erst sticht die Sonne und man fürchtet, einen Sonnenbrand zu bekommen, im nächsten Augenblick regnet es – und dazwischen pfeift manchmal der Wind.
In der Colonia haben bei der Präsidentschaftswahl über 84 Prozent der Einwohner für Bolsonaro gestimmt, und am Ortseingang findet sich ein großes Schild, auf dem die Gemeinde ihren Dank zum Ausdruck bringt: „Por deus, por nossas famílias, por quem produz“ (Für Gott, für unsere Familien und für diejenigen, die produzieren), steht darauf in großen Lettern neben dem Konterfei des Präsidenten.
Mittags fuhr Rubens uns nach Ponta Grossa, und aus den Boxen seines VW-Pickups dröhnte Musik der britischen Kultband Status Quo. Wir aßen gemeinsam Alcatra in einer traditionellen Churrascaria der hauptsächlich von Italienern, Polen und Wolgadeutschen geprägten Stadt. Das saftige Rindfleisch wird einem an Spießen gereicht, und ständig fragt der Kellner: „Noch ein Stück, Doktor?“ Zuweilen wird man sogar zum „Professor“ gemacht.
Wird fortgesetzt.
_ Johannes Scharf (*1988) ist Deutsch-Amerikaner, stammt aus Richmond/Virginia und wuchs am Bodensee auf. In COMPACT-Magazin veröffentlicht der studierte Historiker und Buchautor regelmäßig Reisereportagen aus aller Welt.
Impf-Zwang, Corona-Terror, hohe Steuern, sinnlose Vorschriften, Orwell’sche Überwachung und Bürokratie treiben immer mehr Deutsche aus ihrem Land. Waren es im Jahr 2000 noch 150.000, steigerte sich ihre Zahl unter Merkel auf 260.000, Tendenz steigend. Für alle, die ebenfalls mit diesem Gedanken spielen, gibt Norbert Bartl in seinem Buch Richtig Auswandern und besser leben wichtige Tipps. Mehr Infos und die Möglichkeit zur Bestellung finden Sie hier.