V1, V2, Amerika-Rakete und Thors Hammer: Die Entwicklung der Raketentechnologie im Dritten Reich ist untrennbar mit dem Namen Wernher von Braun verbunden. Die geheimsten Projekte liefen aber unter der Ägide des SS-Technokraten Hans Kammler. Ein Auszug aus COMPACT-Geschichte «Hitlers Geheimwaffen».
_ von Dennis Krüger
Die Raketentechnologie gewann ab Ende der 1930er Jahre nicht nur als Antrieb für Flugzeuge, sondern auch als ballistische Waffe zunehmend an Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Namen von Belang: Wernher von Braun, oft als «Vater der modernen Raumfahrt» bezeichnet, und Walter Dornberger, Chef der Raketenabteilung des Heereswaffenamtes und der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Dort arbeiteten beide ab 1939 am sogenannten Aggregat 4 (A4), das später unter dem Namen Vergeltungswaffe 2 (V2) als erstes Fluggerät in den Weltraum vordrang.

Die erste Vergeltungswaffe
Vorausgegangen war ihr die V1, der von der Firma Fieseler entwickelte erste Marschflugkörper der Welt. Bereits 1934 war dem Reichsluftfahrtministerium von den Ingenieuren Georg Madelung und Paul Schmidt der Vorschlag für eine fliegende Bombe vorgelegt worden, doch erst am 19. Juni 1942 entschied man sich für das bei Fieseler weiterentwickelte Projekt.
Innerhalb von sechs Monaten wurde die Fi 103 produziert. Am 24. Dezember 1942 erfolgte auf Usedom der erste Test dieser von einem Argus-Strahlrohr As014 (Schmidt-Rohr) angetriebenen V1, die mithilfe einer Kreiseleinrichtung und eines Magnetkompasses Kurskorrekturen selbständig durchführen konnte.
Zur Ermittlung der zurückgelegten Strecke trieb ein kleiner Propeller an der Spitze, das sogenannte Luftlog, ein Zählwerk an, das beim Erreichen einer voreingestellten Strecke durch Abstellen des Triebwerks und Abkippen der Höhenruder den Absturz auslöste. Ein Aufschlagzünder brachte dann die Sprengladung von 850 Kilogramm im Gefechtskopf zur Detonation.
Eine funk- beziehungsweise radargestützte Steuerung kam in den serienmäßigen Fi 103 nicht zum Einsatz. Für gewöhnlich wurde der 7,74 Meter lange Marschflugkörper von einer Startrampe abgeschossen, später wurde die V1 auch von Flugzeugen, insbesondere der Heinkel He 111, abgesetzt. Den letzten Einsatz der Flugbombe flog das Kampfgeschwader 53 am 5. Januar 1945 gegen London.
Der Schwachpunkt der V1 lag in ihrer relativ geringen Geschwindigkeit von 650 km/h, wodurch sie von den schnellsten alliierten Jägern erreicht und durch Kontakt am Flügel zum Absturz gebracht werden konnte. Keine Abwehrmöglichkeit gab es indes gegen die V2. Nur kam sie nicht rechtzeitig. (…)
Während die genannten Entwicklungen durchaus als sehr fortschrittlich zu bezeichnen sind, gab es Flugkörper, die diese bekannten V-Waffen noch übertrafen und wirklich revolutionär waren. Eine Waffe, die die Bezeichnung V3 mit noch größerem Recht beanspruchen konnte als die Hochdruckpumpe «Fleißiges Lieschen», war das Aggregat 9/10, die sogenannte Amerika-Rakete.

Diese zweistufige, die V2 in ihren Maßen um das Doppelte übertreffende Interkontinentalrakete sollte eine Reichweite von 5.500 Kilometern erzielen. Zu dieser Version existierte auch der Plan für eine bemannte Variante, bei der der Pilot kurz vor dem Ziel per Schleudersitz aussteigen und möglicherweise durch ein U-Boot aufgenommen werden sollte. Obgleich offiziell nie fertiggestellt, halten sich bis heute hartnäckig Gerüchte, die von einer Fertigstellung eines Exemplars der unbemannten Variante ausgehen. Es war jüngsten Ergebnissen der historischen Forschung zufolge vorgesehen, mit dieser Rakete eine deutsche Atombombe nach New York zu tragen.
Sabotage und Verrat
Neben diesem schon früh als Hauptzweck angesehenen Nutzen der A4 scheinen die parallelen Entwicklungen der ersten gelenkten Luft-Luft- und Flugabwehrraketen wie der «Ruhrstahl X-4», der «Enzian» oder der «Wasserfall» sowie der Flugbomben «Fritz-X» oder Hs 293 von Henschel kaum ins Gewicht zu fallen. Und dennoch waren diese nicht nur die Vorläufer der gesamten heutigen Abwehr- und Offensivraketen-Technologie, sondern hatten zudem auch das Potenzial, kriegsentscheidend zu wirken.
Vor allem die Flugabwehrraketen waren «der gefährlichste Trumpf des Dritten Reiches», wie es der polnische Forscher Igor Witkowski im zweiten Band seines Werkes Die Wahrheit über die Wunderwaffe (2009) formuliert. Dabei entwickelten deutsche Ingenieure eine ganze Reihe von Methoden der Zielverbesserung: Drahtsteuerung, Funkstrahl, die ersten passiven Radarsensoren, Infrarotstrahlen oder in die Flugkörper eingebaute Akustik- oder Magnetfelder. (…)

Aufgrund Hitlers daraus resultierenden Misstrauens gewann Himmlers SS auch hier zunehmend Einfluss. Im April 1943 kam der Reichsführer-SS erstmals nach Peenemünde und organisierte vorerst nur die Bewachung der Anlagen durch seine Männer. Ab November 1943 war dann der im September zum Sonderbeauftragten des Reichsführers-SS für das A4-Programm ernannte Hans Kammler regelmäßig Gast der Raketentests. Nachdem im März 1944 Wernher von Braun nach Sabotage-Vorwürfen vorübergehend interniert worden war, übernahm der SS-Obergruppenführer im Lauf jenes Jahres schließlich die Oberaufsicht über alle Raketenprojekte. (…)
Thors Hammer schlägt zu
Ebenfalls nicht eingesetzt wurde eine Rakete, über die in der Öffentlichkeit kaum etwas bekannt ist: die V-101. Es könnte diese Rakete – und nicht, wie oft angenommen, die A9/A10 – gewesen sein, die im Dritten Reich mit dem Decknamen «Thors Hammer» bezeichnet wurde. 1944 begannen deutsche Ingenieure im Zweigwerk Pibrans (Böhmen) der Firma Skoda – quasi dem Hausunternehmen der SS – die Arbeiten an dieser mehrstufigen Feststoffrakete. Sie sollte eine Länge von 30 Metern bei einem Durchmesser von 2,80 Meter aufweisen und etwa 140 Tonnen wiegen. Das Pulvertriebwerk der ersten Stufe sollte einen Schub von 100 Tonnen leisten. Die Reichweite sollte mindestens 1.800 Kilometer bei einer maximalen Flughöhe von 200 Kilometern betragen. (…)
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in unserer Geschichtsausgabe «Hitlers Geheimwaffen». Alles über die streng geheimen Waffenentwicklungen von Raketen, Panzern und U-Booten bis zur Flugscheibentechnologie und der Atomwaffe. Hier bestellen.