Der Messenger Telegram wird immer beliebter – besonders bei Oppositionsbewegungen, die die praktischen „Kanäle“ zur Verbreitung alternativer Informationen und der Organisation von Protesten nutzen. Telegram gilt als sichere WhatsApp-Alternative. Doch Vorsicht: Die Anwendung schützt nicht in dem Maße, wie ihr Ruf glauben lässt. COMPACT erklärt, wozu man Telegram nutzen sollte und wozu besser nicht.

    Ob in Hongkong, Minsk oder Berlin: Weltweit versprechen sich Telegram-Nutzer anonyme und sichere Kommunikation, die Big Brother nicht mitlesen kann. Mit 200 Millionen Nutzern ist die kostenlose App der mit Abstand beliebteste unter den Krypto-Messengern. Auch, weil es einer der ersten Ende-zu-Ende-verschlüsselten Chatprogramme fürs Handy war: Bereits 2013 wurde Telegram in Russland von den Brüdern Pawel und Nikolai Durow – den Gründern des Sozialen Netzwerks VKontake – ins Leben gerufen. Besonders die  die so genannten „Kanäle“ mit bis zu 100.000 Teilnehmern machen das „Darknet des kleinen Mannes“ für oppositionelle Bewegungen interessant: Man kann alternative Informationen austauschen oder Demos organisieren. In Deutschland beziehen viele „Querdenker“ ihre Informationen aus Telegram-Kanälen direkt aufs Handy. Auch COMPACT nutzt Telegram, um die Zensur auf Facebook und Instagram zu umgehen.

    Bei allen Vorteilen, die der Messenger hat, sollte man allerdings auch seine Schwächen kennen. Denn das Hauptproblem von Telegram ist die technische Umsetzung der Verschlüsselung. Was viele Nutzer nicht wissen: Anders als bei anderen Crypto-Messengern wie Threema oder Signal ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht standardmäßig aktiviert. Dafür muss man für jede einzelne Unterhaltung erst die Funktion „Geheimen Chat starten“ anklicken. Wer also Telegram herunterlädt und unbedarft mit dem Austausch von Nachrichten beginnt, ohne den Chat vorher zu „privatisieren“, wähnt sich in falscher Sicherheit. Und besonders wichtig: Für Gruppenchats ist die Funktion gar nicht erst verfügbar, sie sind also grundsätzlich nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Anders als die meisten anderen Messenger sind die unverschlüsselten Telegram-Chats Cloud-basiert, sämtliche Chats werden also nicht auf dem jeweiligen Endgerät, sondern in der Cloud gespeichert. Der Vorteil: Das ermöglicht, die App auf mehreren Geräten, also beispielsweise am Handy und am Rechner gleichzeitig zu nutzen. Aber genau hier liegt das Problem. Zumindest theoretisch können Nachrichten von jedem gelesen werden, der Zugriff auf den Server hat.

    Diesen Umstand macht sich unter anderem das BKA zu nutze. Seit Jahren spionieren die Ermittler Telegram-Nutzer aus, indem sie den Account eines Verdächtigen – mit richterlicher Erlaubnis – einfach an einem eigenen Gerät anmelden. So können die Behörden die unverschlüsselten Nachrichten, Bilder und Videos in Echtzeit mitlesen. Bekannt ist diese Praxis aus dem Fall der zur rechten Terrorzelle aufgebauschten Telegram-Chatgruppe „Oldschool Society“: Zwölf Tage lang las das BKA deren Nachrichten mit, bevor im Mai 2015 die Handschellen klickten. Die Mitglieder waren so dumm gewesen, im Chat Gewaltphantasien auszutauschen und über illegale Pyrotechnik zu schreiben, die sie aus Tschechien nach Deutschland brachten. Im Glauben, anonym und sicher zu kommunizieren, lieferten sie Staat und Medien eine Steilvorlage, um die Angst vor dem angeblichen Nazi-Terror zu schüren.

    Dass auch geheime Telegram-Chats „geknackt“ wurden, ist bisher nicht bekannt. Allerdings warnen die im Nahen Osten aktive Bürgerrechtsorganisation Miaan und die renommierte israelische IT-Sicherheitsfirma Check Point derzeit vor iranischen Hackern, denen es gelungen ist, die Verschlüsselung der „geheimen Chats“ durch eine ausgeklügelte Phishing-Strategie zu umgehen. So soll die Regierung in Teheran bereits seit 2014 der Lage sein, Endgeräte mit Malware zu infizieren und die Telegram-Konten der Betroffenen dann unbemerkt zu übernehmen. Die Anwendung liest laut den Sicherheits-Analysten Clipboard-Daten aus und fertigt Bildschirmfotos an. Dabei sei es gar nicht nötig gewesen, die verschlüsselten Chats zu knacken – die Angreifer hätten sich vielmehr eine Schwachstelle beim Installationsprotokoll zu nutze gemacht, um eigene Telegram-Logins zu erstellen und die App im Namen der Opfer auf einem anderen Gerät zu aktivieren. So könnten sie heimlich alle Aktivitäten der Zielpersonen überwachen. Keine Frage: Was im Gottesstaat Iran möglich ist, ist im Highttech-Land Deutschland ebenso denkbar.

    Sollten Oppositionelle deswegen auf Telegram verzichten? COMPACT sagt Nein: Die App ist eine wichtige Möglichkeit, die Zensur auf Facebook, Youtube und Co. zu umgehen. Alternative Youtuber wie Oliver Janich und Martin Sellner nutzen Telegram schon seit Monaten und haben mit ihren Kanälen starke Bastionen mit jeweils über 30.000 Lesern aufgebaut. Allerdings sollte man die App verantwortungsbewusst nutzen: Sie eignet sich hervorragend, um wichtige Info-Kanäle zu abonnieren, aber nur eingeschränkt für Chats und – weil sie sich nicht verschlüsseln lassen – absolut nicht für Gruppenchats. Wer also beispielsweise wissen will, wo die nächste Demo ist, kann das gut bei Telegram in Erfahrung bringen. Wer sich mit seinen Freunden organisieren will, um gemeinsam hinzufahren, ist allerdings besser beraten, zu diesem Zwecke ein anderes Chatprogramm zu wählen. Hier gibt es sicherere Alternativen wie den ebenfalls kostendfreien und von Edward Snowden empfohlene Krypto-Messenger Signal oder die Schweizer App Threema (3,99€ im Apple App Store oder Google Play Store).

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