Nach dem Sturz von Bashar al-Assad beginnen die Islamisten von Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) mit dem Aufbau ihres Staates. Jetzt wurde beschlossen, alle Milizen des Landes zu entwaffnen und in die reguläre Armee einzugliedern – auch die Kurden. Deren Demokratische Streitkräfte Syriens (SDF) werden die Waffen jedoch nicht kampflos abgeben, eine neue Eskalation droht. Wie aufgeladen die politische Situation weltweit ist, zeigt die Januar-Ausgabe von COMPACT “Krieg oder Frieden – Deutschland vor der Entscheidung”. Hier bestellen.

    Annalena Baerbock und ihr türkischer Außenminister-Kollege Hakan Fidan sind sich einig: Die kurdischen Streitkräfte in Nordost-Syrien müssen entwaffnet werden, außerdem soll die YPG-Miliz, die als Schwesternpartei der verbotenen Kurden-Terrororganisation PKK gilt, aufgelöst werden. Dabei sind die beiden Politiker ganz auf einer Linie mit dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Sharaa, der mittlerweile seinen bürgerlichen Namen gegenüber dem bisherigen islamistischen Kampfnamen Abu Mohammad al-Dscholani bevorzugt.

    Jener al-Dscholani verkündete jüngst, sämtliche Rebellengruppen, die zuletzt gemeinsam gegen Assad gekämpft hatten, aufzulösen und in die syrische Armee einzugliedern, Waffen sollten sich fortan nur noch in staatlichen Händen befinden. Dieser Prozess solle explizit auch die kurdischen Milizen umfassen. Während diese Eingliederung in eine offizielle Armee bei den islamistischen Milizen vergleichsweise mühelos funktionieren dürfte, ist jedoch beim Auflösungsversuch gegen die kurdischen Einheiten mit massiver Gegenwehr zu rechnen, auch militärisch.

    Vom Westen unterstützt: Kämpfer der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte Anfang Dezember 2024 in der Nähe von Aleppo. Foto: IMAGO / NurPhoto

    Schon jetzt kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen der türkeinahen Freien Syrischen Armee und kurdischen Verbänden, erst zu Wochenbeginn haben kurdische Kämpfer eine Offensive zur Rückeroberung der zuvor an die FSA verlorenen Stadt Manbidsch gestartet – kaum vorstellbar, dass beide Milizen ihre Waffen niederlegen und zukünftig teil einer gemeinsamen, syrischen Armee werden könnten. Auch sonst dürfte sich die Bereitschaft der Kurden, ihre jahrelang erkämpften Errungenschaften, darunter den weitgehenden Autonomie-Status für Nordost-Syrien, sowie die Duldung bewaffneter Verbände, aufzugeben, in engen Grenzen halten. Nach dem Sturz von Assad droht der nächste Konflikt, dessen Ausmaß noch nicht absehbar ist.

    Die Kurden als enger Bündnispartner der USA

    Seit Jahrzehnten sind die Kurden– neben Israel – die engsten Verbündeten der USA im Nahen Osten, wurden massiv aufgerüstet und bei der Festigung ihrer autonomen Regionen unterstützt. Sehr zum Missfallen der Türkei, die sowohl mit eigenen Streitkräften, als auch durch die Unterstützung pro-türkischer Milizen versuchte, die kurdischen Einflussgebiete möglichst weit von der eigenen Landesgrenze zurückzudrängen. Der Alptraum, die Bildung eines eigenen, kurdischen Staates, gilt als Worst-Case-Szenario, auf dessen Verhinderung die türkische Außenpolitik gerichtet ist. Koste es, was es wolle. Dementsprechend zufrieden dürfte die Türkei mit der Entwaffnungs-Initiative der neuen syrischen Regierung sein, die ohne türkische Unterstützung nicht an die Macht gekommen wäre und das in sie gesetzte Vertrauen wohl nicht enttäuschen möchte.

    Unklar ist jedoch, ob die USA bereit sind, ihre langjährigen Bündnispartner aufzugeben und wenn ja, welche Zugeständnisse die Türkei für grünes Licht aus den USA machen muss. Dass die Entwaffnung der Kurden ohne militärische Auseinandersetzungen verlaufen wird, ist nahezu ausgeschlossen. Die Trump-Regierung dürfte das Problem der syrischen Kurden deshalb sehr schnell auf der geopolitischen Tagesordnung vorfinden. Auch die neue Bundesregierung, der Annalena Baerbock wahrscheinlich nicht mehr als Außenministerin angehören wird, könnte zu Beginn ihrer Amtszeit mit einer Eskalation des Kurden-Konfliktes konfrontiert werden, möglicherweise wird das Thema sogar schon im Bundestagswahlkampf relevant. Gerade durch die hohe Zahl hier lebender Kurden ist zudem mit entsprechenden Begleiterscheinungen im Inland, etwa großen Protestdemonstrationen auf Deutschlands Straßen, zu rechnen.

    Wurden die Kurden seit 2011 als Teil der Anti-Assad-Allianz vom Westen unterstützt, lassen Baerbocks jüngste Äußerungen jedoch bereits vermuten, dass die Kurden auf dem Altar der Geopolitik einmal mehr geopfert werden. Sie hätten es aus langjähriger Erfahrung wissen können, dem Westen ist nicht zu trauen und wer gestern noch nützlich war, muss das heute oder gar morgen längst nicht mehr sein. In Syrien droht derweil neues Chaos und eine Zersplitterung wie in Libyen, wo auch fast 15 Jahre nach dem Sturz von Gaddafi weiter zwischen einer VIelzahl von Konfliktparteien gekämpt wird.

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